Deutsche Rufe (8/8)

Der Runde Tisch

Sitzung des Zentralen Runden Tisches der Parteien und Bürgerbewegungen der DDR im Januar 1990.
Sitzung des Zentralen Runden Tisches der Parteien und Bürgerbewegungen der DDR im Januar 1990. © picture alliance / dpa-ZB / Peer Grimm
Von Thilo Schmidt · 25.08.2014
Die Macht der SED erodiert. Andere Gruppen melden sich hörbar zu Wort. Doch wann wurde aus den Rufen der "Runde Tisch"? Und was versprach er? Wer erfand ihn?
Mitschnitt DDR-Fernsehen: "Sie haben das sicherlich gehört oder kennen das aus der Zeitung: In Polen war er rund, in Ungarn war er oval, im Bonhoeffer-Haus war er eckig ..."
Kapitel 1. Ein Ruf macht die Runde
Martin Ziegler: "Wir hatten nur die bescheidene Erwartung, das Gespräch zwischen den alten Parteien und den neuen Gruppierungen in Gang zu setzen und in Gang zu halten. Wir waren nicht daran interessiert, die eigene Regie in die Sache zu bringen. Wir wollten nur Vermittler sein."
Am 7. Dezember 1989 eröffnen Pfarrer Martin Ziegler und zwei weitere Moderatoren im Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte zum ersten Mal den Zentralen Runden Tisch. Seine Mitglieder sind nicht gewählt, die Verfassung der DDR kennt keinen "Runden Tisch". Er ist ein legitimes, wenn auch kein ganz legales Instrument des politischen Übergangs.
Martin Ziegler: "Also, es saßen vorne die drei Moderatoren, und dann geht's links weiter, da saßen die Vertreter der CDU, De Maiziere zunächst, und dann der LDPD, das war Gerlach ..."
Mitschnitt DDR-Fernsehen: "Als sich kurz vor 14 Uhr die zwölf Delegationen zu ihren Plätzen im Dietrich-Bonhoeffer-Haus bewegen, kann noch niemand sagen, worauf man sich wird verständigen können. Denn alle Beteiligten wissen nur zu gut, dass sich die bekanntermaßen nicht geringen Erwartungen nur schlecht an den Realitäten vorbeimogeln können."
Martin Ziegler: "... und dann kam die Bauernpartei, Maleuda, und dann kam schon Gysi, und Berghofer ..."
Lothar Bisky: "... das knisterte förmlich."
Für die SED nimmt auch Lothar Bisky, seinerzeit Rektor der Filmhochschule Babelsberg, am Runden Tisch teil, zunächst als Stellvertreter, später regelmäßig.
Lothar Bisky: "Ja, und in dieser Situation war klar, dass man dort sich in unterschiedlicher Weise sich neu verhalten musste. Ich kann mich entsinnen, in der Raucherecke war ich öfter mit Lothar de Maiziere, auch Leute, die ich überhaupt noch nicht kennengelernt hatte - aber selbst meine eigenen Genossen kannte ich ja kaum. Den Gysi hab ich zur Wende kennengelernt. Berghofer kannte ich aus der Zeitung, irgendwie, aber nur sehr flüchtig ..."
Mitschnitt DDR-Fernsehen: "Reporter: Noch während man tagte, inzwischen hinter verschlossenen Türen, nur Nachrichtenagenturen sind noch zugelassen, tritt einer der Sprecher vor die wartenden Journalisten und informiert, über welche Themen man sich geeinigt hat. Da ist zunächst der Komplex Rechtsstaatlichkeit. Damit verbunden die rechtliche Legitimation von Bürgerkomitees sowie die Arbeitsbedingungen für neue Gruppierungen. ZRT-Sprecher: Dann kommt die große Frage der Wirtschaft, Sicherung der Versorgung, Gesichtspunkte zur Änderung der Subventionspolitik ..."
Martin Ziegler: "... und dann ging es so weiter, dann kam Platzeck ... ach nee, erstmal kam Frau Poppe."
Ulrike Poppe: "Den Begriff kannte ich aus Polen, aber wann der genau in der Gruppe "Demokratie jetzt" debattiert wurde, das kann ich jetzt nicht mehr sagen ..."
Der runde Tisch: Ein Symbol der Ebenbürtigkeit, der Augenhöhe. Es gibt keine Ecken, keine Kanten. Jedoch: Zunächst war der Runde Tisch in der DDR viereckig. Rund war der Runde Tisch in Polen, sein politisches Vorbild. In der DDR macht im Oktober der Ruf nach einem "Runden Tisch" die Runde. In den Stasi-Akten wird der Ruf erstmals am 25. Oktober 1989 erwähnt.
"... irgendwann sprachen alle davon, …"
Ulrike Poppe, Bürgerbewegung "Demokratie jetzt" ...
"... und irgendwann wurde das dann vorbereitet, in dieser Kontaktgruppe, die ihren Anfang am vierten Oktober genommen hatte, und die Vertreterinnen und Vertreter der neuen Gruppierungen trafen sich regelmäßig und bereiteten diesen Tisch sozusagen vor ..."
Martin Ziegler: "... und dann, ja ... dann kam die SPD, Gutzeit ..."
"... das war Ende Oktober."
Martin Gutzeit, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR.
"Ich hörte davon nach dem 25. Oktober, da war ein Treffen von verschiedenen Vertretern, auch von westlichen, Weisskirchen, SPD-Abgeordneter, war zum Beispiel dabei, wo die über verschiedene Dinge geredet haben, und da wurde auch der Vorschlag diskutiert, einen Runden Tisch zu machen ..."
Tatsächlich bereiten die Oppositionellen, die sich am 25. Oktober mit Gert Weisskirchen und drei anderen westlichen Bundestagsabgeordneten treffen, einen Forderungskatalog vor. In Punkt 2 werden gefordert:
DDR-weite Gespräche am "Runden Tisch" auf bezirklicher und zentraler Ebene entsprechend dem polnischen Vorbild.
... notiert ein Informant der Staatssicherheit. Bereits zwei Tage zuvor, am 23. Oktober, zitierte der "Spiegel" Willi Brandt mit dem Satz:
"Wer immer da die Nummer eins ist, der sollte wissen, dass er bald relevante Kräfte an einen Tisch bringen muss - ob der nun rund, viereckig oder achteckig ist, das ist alles wurscht".
Am 4. November stimmt das Volk mit den Füßen ab. Eine Million Menschen demonstrieren auf dem Alexanderplatz. Und schieben die Machthaber hinweg. Das Eis ist gebrochen. Am 1. Dezember verzichtet die SED auf ihren in der Verfassung festgeschriebenen Machtanspruch. Der Runde Tisch ist die Instanz des Übergangs. Sein Hauptziel: Die ersten freien Volkskammer-Wahlen.
Martin Ziegler: "Und ... ach so. Vor allem saß in der Ecke rechts noch Ullmann. Der eigentlich die positivste Rolle spielte am Runden Tisch."
Wolfgang Ullmann. Bürgerbewegung "Demokratie jetzt". Einer der wichtigsten Köpfe der Wendezeit. Er soll, so heißt es, als einer der ersten von einem Runden Tisch gesprochen haben - zusammen mit Ludwig Mehlhorn, ebenfalls "Demokratie jetzt". Und dies noch vor Willy Brandt.
Kapitel 2. Neue Atmosphäre, neue Themen
Radio DDR: "Moderator: Also, Dr. Ullmann, jetzt sind sie in der Sendung "Für und Wider - Politik am Runden Tisch" von Radio DDR ... ( ... ) Wie war ihnen zumute, als sie dann nun endlich, nun schließlich, nun doch, oder wie immer sie darüber denken, am Runden Tisch saßen? Ullmann: Wenn die Sendung "Für und Wider" heißt, dann muss ich sagen: Das Ergebnis dieses ersten Tisches ist für mich "für" den Runden Tisch und für seine Weiterarbeit ..."
Lothar Bisky: "Man hat sich dort nicht feindlich gegenübergestanden. Sondern der Zentrale Runde Tisch war sich der Aufgabe wohl bewusst, man musste Lösungen schaffen, die einigermaßen konsensfähig waren. Und das war eine konsensdemokratische Orientierung. Bei allen. Anders wäre es auch nicht gegangen!"
Die alte Macht - SED und Blockparteien - und die neuen, oppositionellen Bewegungen sind paritätisch vertreten. Die SED entsendet Reformer an den Runden Tisch, die im alten System keinen Platz hatten - ihre einzige Option, in der neuen Zeit - die wohl kommen wird - noch eine Rolle zu spielen. Die Grenzöffnung am 9. November setzt die Regierung zusätzlich unter Druck. Hans Modrow wird Ministerpräsident. Ab 8. Januar wird der Runde Tisch live im Fernsehen übertragen.
Ulrike Poppe: "Alles war öffentlich. Und das war eine neue Erfahrung, eine wichtige Erfahrung, erzeugte natürlich auch enormen Druck, und gerade die Mitglieder des Runden Tisches, die von den neuen Gruppierungen entsandt wurden, hatten ja keine großen Apparate hinter sich, die die Arbeit machten, die Vorlagen erarbeiteten, die Briefe beantworteten, die zuhauf in unseren privaten Briefkästen landeten, und deshalb wurde manches durchaus mit heißer Nadel gestrickt. Aber immerhin: Es wurde öffentlich debattiert."
Martin Gutzeit: "Was wir sagten: Ihr, die ihr Euch die Macht angemaßt habt und sie die ganzen Jahrzehnte getragen habt, ihr müsst das jetzt verwalten und auch verantworten. Der Bürger konnte fragen: Was hast du gemacht? Was machst du? Und warum machst du das?"
Sprechchöre: "FDJ / nicht allein / aber Jugend muss es sein / FDJ / nicht allein / aber Jugend muss es sein ..."
Doch welche Gruppen dürfen Platz nehmen am Runden Tisch? Begehrlichkeiten gab es viele. Sowohl bei der alten, als auch bei der neuen Macht. Die ersten Sitzungen des Runden Tisches sind bestimmt von Verfahrensfragen.
Rundfunkbericht: "Reporter: Herr De Maiziere, sie haben einen anstrengenden Parteitag hinter sich, heute schon wieder hier beim Runden Tisch - mit welchen Erwartungen? De Maiziere: Na ich hoffe, dass wir heute nicht wieder Besetzungsfragen klären, sondern zur konstruktiven Arbeit übergehen, uns über Grundsätze des Wahlrechts unterhalten, denn das muss auch sein, damit die Leute wissen, worauf sie sich in Formationsbildung einlassen müssen, nicht? Und ich hoffe, dass das durch eine straffe Leitung des Tisches möglich wird, dass wir nicht wieder elf Stunden sitzen ..."
Sprechchöre: "Wollt ihr auch noch morgen essen / uns're Bauern nicht vergessen! / ist der Tisch auch noch so klein / Aber Bauern müssen rein!"
Der Protest des VDGB, des Verbands der gegenseitigen Bauernhilfe, ist erfolgreich.
Rundfunkmitschnitt: "Reporter: Vielleicht können Sie mal ganz kurz zusammenfassen, was passiert ist, wer hat die Abstimmung gekippt? Denn ursprünglich war ja schon beschlossen, dass ihre Vertreter nicht teilnehmen. VDGB-Vertreter: Nach weiterer Diskussion hat die SED, vertreten durch Gysi, gesagt, wir verzichten auf einen Platz, damit die Bauern mit einer Million Menschen Platz nehmen können am Runden Tisch."
Der VDGB gehört zur alten Macht und nimmt nun auch am Runden Tisch teil - neben SED, Gewerkschaften sowie den Parteien der Liberalen, Nationaldemokraten und Christdemokraten. Wie nun verhalten sich die Blockparteien in der neuen Zeit, wie die SED?
Lothar Bisky: "Man wurde sich bewusst: So kann es nicht weitergehen, es war klar: Es wird freie Wahlen geben, es war absolut nicht abzusehen, ob die Partei, die mich geschickt hat, auch erneuert, ob die überhaupt reinkommt, in die Volkskammer. Und es war auch nicht sicher, wie verhalten sich denn die Blockparteien aus der DDR? Die haben am Zentralen Runden Tisch noch ihre Rolle gespielt, und mit der Deutschen Einheit waren's plötzlich Widerstandskämpfer."
Kapitel 3. Alte und neue Teilnehmer dieser und jener Art
Hans Modrow: "Und ich bitte die Vertreter aller Parteien und Gruppierungen hier am Runden Tisch, den Ministerpräsidenten und seine Regierung an ihrer Aufgabe nicht zerbrechen zu lassen, sondern dafür zu sorgen, dass sie die notwendige Arbeit tun können."
Doch was ist notwendig? Und wer entscheidet, was notwendig ist? Der Runde Tisch fordert die Auflösung der zwischenzeitlich in "Amt für nationale Sicherheit" umbenannten Staatssicherheit. Die Regierung Modrow sperrt sich zunächst dagegen. Zu seiner neunten Sitzung lädt der Runde Tisch am 22. Januar Egon Krenz ein.
Egon Krenz: "Lassen Sie uns nach unserem heutigen Erkenntnisstand folgendes darlegen: Das Verhältnis von SED und Ministerium für Staatssicherheit widerspiegelt sich besonders klar in der vom Ministerium für Staatssicherheit verwandten Losung, Schild und Schwert der Partei zu sein. In Wirklichkeit entwickelte sich das Ministerium für Staatssicherheit zunehmend zu einem nach außen hin abgeschirmten Staat im Staate, der selbst Mitglieder der Partei unter Kontrolle nahm."
Martin Gutzeit: "Sicher haben diese Vertreter, wenn sie vorgeladen waren, gelogen, dass sich die Balken gebogen haben. Das Lügen vor Parlamenten oder parlamentartigen Zusammenkünften ist ja nichts Unübliches. Aber es ermöglicht ja doch dann dem Bürger, wenn er es sieht, sich ein Urteil zu bilden. Und das ist schon viel wert."
War die Staatssicherheit ein Staat im Staate, wie Krenz es formuliert? Hat sich die SED hinter der Staatssicherheit versteckt, sich als Opfer inszeniert, um von einer eigenen Schuld abzulenken?
Lothar Bisky: "Ja, das kann sein. Ich will aber sagen, Krenz hat zu dem gestanden, was er getan hat, Krenz hat sich nicht entzogen. Das nötigt mir individuellen Respekt ab. Es hat ja viele gegeben, die Wendehälse, oder die Steigerungsform des Wendehalses ist der Spirelli, die sich noch und noch gedreht und gedreht und gewendet haben - dazu zählte Krenz nicht. Er hat das Kreuz hingehalten. Damals war es so, dass bei Krenz man doch sehen konnte: Er weiß, dass sie die DDR verspielt haben, und nicht irgendein böser, böser Geist."
Krenz hat sich dem Runden Tisch gestellt - andere, wie Stasi-Chef Erich Mielke, nicht. Das MfS, zuvor in "Amt für Nationale Sicherheit" umbenannt, wird ersatzlos aufgelöst, der Runde Tisch hat sich durchgesetzt. Paradoxerweise saßen auch am Runden Tisch Spitzel der Staatssicherheit. Eigentlich nichts besonderes, saßen sie doch an beinahe jedem Tisch.
Ulrike Poppe: "... wir haben diese Leute eher auf der Seite der alten Kräfte vermutet, aber konnten natürlich auch nicht ausschließen, dass die auf unserer Seite saßen, und das hat sich ja dann als wahr herausgestellt."
Es gerät einiges durcheinander am Runden Tisch. Dass Ibrahim Böhme, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, und Wolfgang Schnur vom Demokratischen Aufbruch inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, weiß noch keiner. Mancher ahnt es aber. Die alte neue DDR-Ordnung wackelt auch aus anderen Gründen.
Kapitel 4. Von Allianzen und Einflüssen
Martin Gutzeit: "Es deutete sich in der zweiten Hälfte des Januar an, dass hier plötzlich dann auch die Westparteien als Mitspieler in den Ring steigen könnten. Und da können Sie dann sehen: Am Runden Tisch haben sie dann plötzlich die Allianz für Deutschland, das heißt also ein Teil der Blockparteien suchte dann westliche Verbündete, das heißt also, wenn man die Anfangsformation Opposition-Blockparteien als Gegenüber sieht, sah es plötzlich anders aus!"
Die Ost-CDU ist von heute auf morgen keine "Partei des Sozialismus" mehr und verbündet sich mit der bundesdeutschen CDU. Ähnlich verfahren FDP und LDPD. Der Westen sucht und findet seinen Einfluss. Kohls Fahrplan: Das Zehn-Punkte Programm. Punkt 10: Deutsche Einheit, oder: Der Anschluss des Ostens an den Westen.
Martin Ziegler: "Dieser Anschlussgedanke der kam dann erst so im Februar. Da war dann ja aber schon die Regierung der Nationalen Verantwortung von Modrow gebildet, mit Vertretern des Runden Tisches. Das widersprach der ursprünglichen Zielsetzung des Runden Tisches. Der ausgesprochenermaßen erklärt hat: Wir wollen keine parallelparlamentarische Bewegung inszenieren."
Hans Modrow nimmt am fünften Februar acht Mitglieder des Runden Tisches - alle aus den Reihen der Oppositionsgruppen - als "Minister ohne Geschäftsbereich" in die Regierung auf. Darunter Rainer Eppelmann, Gerd Poppe, Wolfgang Ullmann und Matthias Platzeck.
Moderator: "Wir danken Ihnen, Herr Ministerpräsident, für Ihre Darlegungen, Herr Platzeck, Minister ohne Geschäftsbereich ..".
Platzeck: "Dem Bericht von Hans Modrow kann ich voll zustimmen, ich möchte aber noch mal sagen, was ich schon in der Bundesrepublik gesagt hab: Dass mein persönlicher Eindruck zumindest stellenweise der einer Zumutung war, was die Verhandlung im großen Kreis betraf, wenn Herr Waigel sagt, dass er kein Geld in ein 'rotes Fass ohne Boden' stecken möchte, ist das schlichtweg falsch ..."
Mitte Februar reist eine Regierungsdelegation zum Deutsch-Deutschen Gipfel nach Bonn. Und erstattet anschließend Bericht am Runden Tisch. Es sind vor allem die Vertreter der oppositionellen Bewegungen, die das Verhalten Kohls gegenüber der DDR-Regierung und Ministerpräsident Modrow kritisieren.
Moderator: "Vielen Dank, Herr Minister Poppe jetzt …"
Gerd Poppe: "Ja, ich möchte noch ein paar Bemerkungen machen zum Verlauf der Verhandlungen dort, mir ist aufgefallen, dass eigentlich immer nur von Geld die Rede war, von Seiten des Bundeskanzlers, es ging aber weder um die 40-jährige Geschichte der beiden Staaten, es ging auch nicht um die Akzeptanz einer spezifischen DDR-Identität, es ging auch nicht um die sozialen Probleme, die in diesem Lande zu erwarten sind, wenn es zu einer schnellen Währungsunion kommt."
Moderator: "Danke, die nächste Wortmeldung ist Herr Weiß, Demokratie jetzt."
Weiß: "Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich denke, die Behandlung, die die Delegation in Bonn erfahren hat, zeigt uns, was wir zu erwarten haben, wenn die Einigung nach dem Bonner Modell vor sich geht ..."
Lothar Bisky: "Aber es war klar, die deutsche Vereinigung kam, und damit war klar: Wer ist der Sieger, wer ist der Besiegte. Und in der Geschichte ist es relativ eindeutig, wer die Geschichte schreibt. Und da setzte auch die Uminterpretation der Ereignisse an, und im Großen und Ganzen können wir ja sagen: Es ist ja gut gegangen. Wir haben ja großes Glück noch einmal gehabt, dass da nichts explodiert ist. Dieses "Keine Gewalt" als Losung spielte damals eine unheimlich gute Rolle. Und wurde durch alle politischen Kräfte getragen. Und das war unsere gemeinsame Formel. Soviel Gemeinsamkeit war ja noch da."
Der runde Tisch. Legitim, wenn auch nicht legal. Mit vier Ecken. Und wechselnden Allianzen. Und doch: Ein Instrument des Dialogs, des Übergangs, des Neubeginns. Hundertfach kopiert von Verbänden, Kommunen, Initiativen. Landauf, landab Runde Tische. Für Toleranz, gegen Kindesmissbrauch, für oder gegen den Bau einer Straße.
Und das große Vorbild? Es hat sich gerne aufgelöst. Der letzte Runde Tisch tagt am 12. März 1990. Wenige Tage später finden die erste freie Volkskammerwahl statt.
Martin Gutzeit: "... und diejenigen, die dazu eingeladen haben, die haben das auch gesehen, dass es auch sein Ende haben musste. Das ist ja klar. Wir wollten eine parlamentarische Demokratie, wir haben sie bekommen, dann brauchte es keinen runden Tisch mehr. Die Legitimierung dieses Tisches stand ja auf sehr wackeligen Füßen. Was war das schon? Uns hatte ja keiner gewählt."
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