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25 Jahre Deutsche Einheit
"Blühende Landschaften" auch im Osten?

Höhere Arbeitslosigkeit und deutlich niedrigere Löhne: Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands hinkt der Osten bei der Wirtschaftskraft hinterher. Im Bundestag warnte heute die Ost-Beauftragte der Regierung deshalb davor, die finanzielle Unterstützung der neuen Länder zu stoppen.

Von Johannes Kulms | 02.10.2015
    Für Gregor Gysi ist es ein besonderer Auftritt: Er hält an diesem Freitag seine letzte Rede im Deutschen Bundestag im Amt des Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke. Und er nutzt die Rede, um die deutsche Wiedervereinigung zu würdigen:
    "Die Vorteile für den Osten sind offenkundig: Es ist ein Gewinn an Freiheit und Demokratie. Nie wieder wird es eine Mauer in Deutschland geben."
    Auch auf ökonomische Verbesserungen weist Gysi hin:
    "Wir haben eine funktionierende Wirtschaft und keine Mangelwirtschaft. Endlich hatten die Ostdeutschen eine freikonvertierbare Währung. Die Deutsche Mark statt der Mark der DDR. Das heißt, eine Währung, die man weltweit einsetzen konnte."
    Aufbau Ost: insgesamt gelungen?
    Aber Gysi betont auch: Es hänge von der subjektiven Bewertung jedes einzelnen ab, was Vor- und Nachteile der Wiedervereinigung angehe:
    "Für viele gab es eine Bereicherung. Auch für mich. Aber sehr viele wurden auch arbeitslos. Ein 50-Jähriger, der bis zur Rente arbeitslos blieb, hat die Bereicherung kaum empfunden."
    "Ostdeutschland hinkt bei der Wirtschaftskraft deutlich hinterher", sagt Iris Gleicke, die Ost-Beauftragte der Bundesregierung:
    "Die Arbeitslosigkeit ist deutlich höher als im Westen und die Löhne sind deutlich niedriger."
    Doch auf der anderen Seite sieht die SPD-Politikerin auch deutliche Verbesserungen und meint, der Aufbau Ost sei insgesamt gelungen. Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse sei in vielen Bereichen erreicht, es gebe mittlerweile eine moderne mittelständisch-geprägte Wirtschaft und eine gut ausgebaute Infrastruktur. Auch seien massive Umweltschäden beseitigt und die Städte saniert worden, meint Gleicke.
    Strukturschwache Regionen weiterhin fördern
    Gleicke warnt angesichts eines erlahmenden Aufholprozesses aber davor, die finanzielle Unterstützung der neuen Länder zu stoppen:
    "Aber ein Ende der Ostförderung würde bedeuten, einen Motor abzuwürgen, den man gerade mit viel Aufwand ans Laufen gebracht hat. Das wäre grotesk. Dann wäre ganz vieles umsonst gewesen."
    Gleicke spricht sich dafür aus, nach dem Auslaufen des Solidarpaktes strukturschwache Regionen in Ost- und Westdeutschland zuverlässig zu fördern.
    Natürlich dürfen in dieser Debatte auch die blühenden Landschaften nicht fehlen. Der Thüringer CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann bringt sie rein – und verweist darauf, dass die Lebenserwartung in den neuen Ländern um sieben Jahr gestiegen sei seit der Wiedervereinigung:
    "Das heißt, die Menschen profitieren selber davon und können tagtäglich nicht nur bei Besuchen von Bundesgartenschauen- und Landesgartenschauen erleben, dass blühende Landschaften heute Realität geworden sind."
    Mittlerweile gebe es auch in Ostdeutschland sogenannte hidden champions – also Unternehmen, die Weltmarktführer in bestimmten Bereichen seien, sagt Hauptmann und fordert, stolz darauf zu sein, was bisher erreicht wurde.
    Wirtschaftskraft trotz moderner Infrastruktur kaum gestiegen
    Der Grünen Abgeordneten Stephan Kühn fordert dagegen grundsätzlich eine Kursänderung der Bundesregierung mit Blick auf die neuen Länder:
    "Ich finde, die Wirtschaftspolitik muss weg von der Investitions- und Infrastrukturförderung hin zu einer Bildungs- und Innovationsförderung. Richtig ist dabei der Ansatz, die Förderprogramme der ostdeutschen Länder in ein gesamtdeutsches System für strukturschwache Regionen zu überführen."
    Kühn bezweifelt, dass die Verkehrsprojekte der deutschen Einheit für einen erfolgreichen Aufbau Ost stünden: Denn trotz moderner Infrastruktur sei die Wirtschaftskraft der neuen Länder in den letzten Jahren kaum gestiegen.