Deutsche Außenpolitik

"Stümperei ohne Strategie"

Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München.
Horst Teltschik leitete von 1999 bis 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz © picture alliance / dpa / Matthias Schrader
Moderation: Dieter Kassel · 18.08.2014
Eine neue deutsche Außenpolitik mit größerer internationaler Verantwortung? Die gibt es nicht, sagt Horst Teltschik. Der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz kann nur eines erkennen: "außenpolitische Stümperei".
Dieter Kassel: Die Bundesrepublik hat angekündigt, bei der Hilfe für den Irak bis an die Grenze des politisch und juristisch Machbaren gehen zu wollen. So eine Formulierung muss nicht unbedingt was bedeuten, kann sie aber, denn inzwischen werden auch Waffenlieferungen an die Kurden nicht mehr kategorisch ausgeschlossen, und einzelne Politiker sprechen sogar schon davon, die Bundeswehr einzusetzen im Nordirak – wohlgemerkt militärisch, humanitär ist sie da jetzt ja schon im Einsatz.
Das klingt schon sehr anders als das, was man von der deutschen Politik der letzten Jahrzehnte gewohnt war. Wir wollen deshalb die Frage stellen, ob es eine neue deutsche Außenpolitik gibt und wie die wohl aussieht. Wir wollen das besprechen mit Horst Teltschik, dem ehemaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und früheren Vize-Kanzleramtschef unter Helmut Kohl. Morgen, Herr Teltschik!
Horst Teltschik: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Erkennen Sie denn konkret so etwas wie eine neue Strategie in der deutschen Außenpolitik?
Teltschik: Es wäre schön, wenn ich das bejahen könnte. Ich erkenne nur, dass einzelne Politiker – vom Bundespräsidenten angefangen – darüber nachdenken, dass Deutschland größere internationale Verantwortung übernehmen müsse, ohne dass definiert wird, wie die Strategie aussehen soll, was die deutschen Interessen sind, sodass die Antworten, die konkret erfolgen, sich auf aktuelle Krisen beziehen. Und das sieht eher, um das mal ganz frontal zu sagen, eher nach einer außenpolitischen Stümperei aus, als dass hier wirklich eine Strategie zugrunde liegt.
Schon Kohl forderte größere internationale Verantwortung Deutschlands
Kassel: Es klingt für mich aber so, als würden Sie sich eine konkrete Strategie, die auch abweicht von dem, was wir bisher kennen, durchaus wünschen?
Teltschik: Ja, ich muss Ihnen sagen: Erinnern Sie sich an die Zeit nach der Wiedervereinigung zurück, 1990. Wir sind damals größer geworden, wir sind stärker geworden, wir liegen im Herzen Europas als das größte Land. Und es war von daher völlig klar, dass allein durch diese Veränderung der Vereinigung Deutschlands, der Öffnung Europas, einer neuen Weltordnung, Deutschland eine neue außenpolitische Rolle übernehmen muss.
Der Bundeskanzler Helmut Kohl hat das auch in seiner ersten Regierungserklärung gesagt: Deutschland muss größere internationale Verantwortung übernehmen. Und das erleben Sie ja. Heute Nacht haben wir ja erlebt, dass unser Außenminister Steinmeier sich aktiv einschaltet in die Krise in der Ukraine. Warum? Weil das in Europa liegt und weil wir morgen unmittelbar betroffen sein können. Wir sind ja schon längst betroffen durch die Sanktionen.
Die europäische Integration vertiefen und Russland einbinden
Kassel: Aber wenn Sie, Herr Teltschik, schon zurückgehen ins Jahr 1990, dann tue ich das jetzt auch mal: Zu genau diesem Zeitpunkt, den Sie gerade beschrieben haben, hatten aber zumindest Teile der Welt auch Angst vor einem zu starken Deutschland. Es gab ja viele Befürchtungen, Deutschland könne eben tatsächlich plötzlich völlig anders auftreten als bisher. War es nicht gut, dass das dann doch erst mal so 15 Jahre lang gar nicht geschehen ist?
Teltschik: Nein. Gerade weil unsere Nachbarn die Geschichte nicht vergessen haben und jetzt plötzlich mit einem größeren und stärkeren Deutschland konfrontiert waren, stellte sich doch die Aufgabe: Welche Rolle übernimmt denn zukünftig Deutschland? Und damals gab es im Prinzip zwei Zielrichtungen oder Prioritäten, zumindest unter Helmut Kohl, aber zeitweise wurde das auch fortgesetzt, das hieß: einmal Vertiefung der europäischen Integration und Erweiterung der Europäischen Union einerseits, aber die zweite zentrale Frage war die Entwicklung der Beziehungen damals noch zur Sowjetunion, später zu Russland.
Welche Rolle soll Russland zukünftig in Europa spielen? Damals war die Idee, Russland ganz klar in Europa einzubinden und zu verhindern, dass Russland eine Rolle einnimmt, wie es das zunehmend heute tut, nämlich unabhängig von den Europäern und zum Teil gegen Europa gerichtet.
Kassel: Kommen wir doch noch mal zur Lage im Irak und natürlich auch in Syrien. Wenn Sie sagen, wir brauchen eine neue deutsche Außenpolitik, müsste das auch eine Strategie sein, die es grundsätzlich ermöglicht, zum Beispiel Waffen an die Kurden zu liefern?
Kurden könnten Waffen für einen eigenen souveränen Staat einsetzen
Teltschik: Nein, da bin ich strikt dagegen, dass wir jetzt da anfangen, ohne dass wir überhaupt eine politische Antwort haben, wie die Entwicklung in diesem Raum aussehen soll, jetzt an eine der Konfliktparteien Waffen zu liefern. Wenn die Kurden jetzt in der Auseinandersetzung obsiegen sollten, dann können Sie doch heute nicht ausschließen, dass die Kurden die Waffen dann nutzen, um ein anderes Ziel zu verfolgen, nämlich einen eigenständig souveränen kurdischen Staat.
Und das würde sich sowohl gegen die Türkei oder könnte sich gegen die Türkei richten, gegen Syrien, gegen Iran, gegen den Irak, weil überall Kurden sind, und damit hätten wir unter Umständen sogar einen Konflikt mit einem NATO-Land Türkei. Dann ist die Frage: Unterstützen wir dann die Türkei? Das ist doch alles augenblicklich aus der Krise, aus der aktuellen Krise heraus eine Antwort, die nicht durchdacht ist.
Die Bundeswehr? Um Gottes willen!
Kassel: Wobei ich mich natürlich frage bei dieser aktuellen Krise: Wenn Sie so argumentieren, führt das nicht logischerweise zu der Frage, ob es besser wäre, wirklich die Bundeswehr dort einzusetzen, militärisch einzusetzen?
Teltschik: Um Gottes Willen! Erst mal: Die Bundeswehr ist schon mehr als belastet in Afghanistan und steht dort vor einem Abzug, das ist ein riesen-logistisches System. Wo fangen wir an, wo hören wir auf? Die Bundeskanzlerin hat gesagt, Israel ist Teil unser Staatsräson. Lassen Sie morgen den Konflikt dort eskalieren – heißt das dann, dass wir Truppen für die Israelis einsetzen?
Das wäre ja dann naheliegender, als in Syrien oder Irak ... Also, das ist mir alles ... Aus dem Augenblick heraus sind das Diskussionen, ohne dass man erkennen kann, da liegt ein Konzept und Strategie dahinter. Diese Krisen können nur von den Europäern gemeinsam beantwortet werden. Und da ist das Defizit: Wir haben keine europäische Außen- und Sicherheitspolitik.
Kassel: Wo fängt es an, wo hört es auf? Das ist vielleicht die zentrale Frage der künftigen Strategie der deutschen und der europäischen Außenpolitik. Horst Teltschik war das, unter anderem langjähriger Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Herr Teltschik, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Teltschik: Ja, gerne, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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