Deutsch-syrische Rechtsanwältin Nahla Osman

"Ich verteidige die Unterdrückten"

34:35 Minuten
Nahla Osman mit Kopftuch, vor einem Fenster sitzend.
Die Rechtsanwältin Nahla Osman: "Ich kann selbst entscheiden, wie und wann und was ich trage". © Bild: Arne List
Moderation: Britta Bürger · 22.09.2020
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Mit Ungerechtigkeiten beschäftigt sich Nahla Osman seit ihrer Kindheit. Bereits mit acht träumt sie davon, Anwältin zu werden. Inzwischen vertritt die Tochter syrischer Einwanderer Asylsuchende und setzt sich für die Opfer des Krieges in Syrien ein.
Nahla Osman arbeitet seit 15 Jahren in einer Rechtsanwaltskanzlei in Rüsselsheim. Die Opelstadt ist ihre Heimat, denn ihr aus Syrien geflohener Vater findet in den Sechzigerjahren schnell Arbeit bei dem Autokonzern.
Aber der Kontakt zu Syrien bleibt eng. Regelmäßig fliegt die Familie in den Sommerferien nach Aleppo – später ohne den Vater, weil sie die Gefahr seiner Verhaftung in Syrien vermeiden wollen. 1981 werden drei Cousins verhaftet und verschwinden. Für Nahla Osman Schlüsselerlebnisse, die sie früh politisieren.

Eine Richterin mit Kopftuch ist undenkbar

Die Eltern legen Wert auf Bildung: Ihre sechs Kinder machen alle Abitur und studieren. Nahla Osman entscheidet sich für Jura und will Richterin werden.
Aber daraus wird nichts, weil sie als überzeugte Muslimin seit ihrem 12. Lebensjahr ein Kopftuch trägt: "Staatsanwältin, Richterin – das kannst du vergessen in Deutschland mit Kopftuch. Deswegen habe ich den Anwaltsberuf ausgesucht. Ich bin selbstständig, ich bin auch Organ der Rechtspflege, aber kann selbst entscheiden, wie und wann und was ich trage."

Vorerst kein Familiennachzug für Syrer

Sie spezialisiert sich auf Familien- und Migrationsrecht und hat meistens arabischsprachige Mandanten. Zu 90 Prozent kommen sie aus Syrien, denn inzwischen lebt fast eine Million Syrer in Deutschland. Seit 2016 haben viele von ihnen nur noch "subsidiären Schutz", werden also nur vorübergehend als Flüchtlinge anerkannt, erzählt Osman.
Außerdem ist der Familiennachzug ausgesetzt: "Wer alleine – ohne Frau und Kinder, weil die Flucht zu gefährlich war – hierhergekommen ist, musste oder muss immer noch drei, vier, fünf Jahre darauf warten, dass sie nachkommen können."

Kein Ende der syrischen Not in Sicht

Das Schicksal der Syrer beschäftigt sie auch in ihrer Freizeit: Sie engagiert sich im Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine. 2013 reist sie zusammen mit ihrem Vater nach Aleppo. Möglich ist das, weil das Assad-Regime vorübergehend seinen Einfluss über die zweitgrößte Stadt Syriens verliert. Sie erlebten eine Stadt, deren Bewohner mit aller Kraft für ihr Überleben kämpfen.
Drei Jahre später nehmen die Truppen des syrischen Präsidenten Assad die Stadt ein. Auch Nahla Osman ist verzweifelt: "Diese Hilflosigkeit, dass die Menschen einfach sterben, verhungern – das hat mich sehr mitgenommen. Ich konnte auch nichts mehr übersetzen, keine Videos mehr anschauen von den bombardierten Krankenhäusern oder den Menschen, die dann im Keller ausharrten."
Kraft, damit fertig zu werden, geben ihr ihre drei Kinder. Ihr Sohn träumt davon, Astronaut zu werden, und eine ihrer Töchter will Richterin werden: "Ich hoffe, dass sie das durchzieht. Es wäre ein schöner Beruf für sie."
(cg)
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