Deutsch-polnisches Geschichtsprojekt

Die verschollene Urne des Bischofs Juliusz Bursche

Der Grabstein für Bischof Juliusz Bursche auf dem Evangelisch-Augsburgischen Sankt-Trinitatis-Friedhof in Warschau.
Auf dem Evangelisch-Augsburgischen Sankt-Trinitatis-Friedhof in Warschau erinnert ein Grabstein an Bischof Juliusz Bursche. Bisher ist das Grab allerdings leer. © Deutschlandradio/Cezary Gmyz
von Sebastian Engelbrecht · 07.02.2018
Der polnische evangelische Bischofs Juliusz Bursche starb am 20. Februar 1942 in Berlin, nachdem er von den Nazis zuvor zwei Jahre im KZ Sachsenhausen interniert worden war. In Polen gilt er als einer der größten Helden in der Zeit der deutschen Besatzung. Die nationalistisch ausgerichtete Regierung möchte Bursches sterbliche Überreste von Berlin nach Warschau überführen. Die galten seit 1942 als verschollen – bis jetzt.
Juliusz Bursche war ein Protestant und er stammte von Deutschen ab. Trotzdem genießt er in Polen den Status eines Nationalhelden. Bursche war Bischof der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er Opfer des Nazi-Terrors: Zwei Jahre war er im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, dann starb er im Polizeikrankenhaus in Berlin-Mitte*. Wie er starb, war jahrzehntelang nicht geklärt. Ungeklärt war auch, wo die sterblichen Überreste dieses evangelischen Bischofs aus dem katholischen Polen geblieben waren.

Deutsch-polnische Spurensuche

Zwei geschichtsinteressierte Männer, ein Pole und ein Deutscher, haben sich im Sommer vergangenen Jahres auf die Suche gemacht, um doch noch herauszufinden, ob er eine Ruhestätte gefunden hat: Der 52-jährige Pole Pawel Wozniak und der 77-jährige Klaus Leutner, Eisenbahningenieur im Ruhestand.
"Wir haben uns im Bundesarchiv die Krankenakten zeigen lassen. Und wir hatten Glück. Wir fanden diese Akte. Und mein Freund Pawel sagte: Jetzt wissen wir, wie er gestorben ist, aber das Grab haben wir noch nicht."
Bischof Bursche hatte seit 1940 im "Zellenbau" des Konzentrationslagers Sachsenhausen gesessen, der prominenten Häftlingen vorbehalten war. Am 18. Februar 1942 wurde er ins Polizeikrankenhaus in Berlin-Mitte gebracht und starb zwei Tage später im Alter von 80 Jahren.

Anhaltspunkte im "Einäscherungsbuch"

Leutner und Wozniak recherchierten weiter – im nächstgelegenen Krematorium.
"Wir haben hier also vor uns diesen Auszug aus dem Einäscherungsbuch vom Krematorium Wedding. Und da steht dann: Bursche, Julius. Geburtsdatum. Dass er letzten Wohnsitz in Warschau hatte. Dass er am 20.02.42 im Staatskrankenhaus Scharnhorststraße mit Lungenentzündung verstorben ist. Als Beruf wurde 'Bischof' angegeben."
Im "Einäscherungsbuch" fanden Leutner und Wozniak auch die Buchstaben "Rkdf", die Abkürzung für "Reinickendorf".
Auf dem Friedhof des Berliner Bezirks in der Humboldtstraße halfen ihnen freundliche Mitarbeiterinnen weiter. Sie entdeckten die Grabkarte, die Grabnummer und einen alten Friedhofsplan. Damit war klar, wo die Urne mit den Überresten des Bischofs bestattet wurde.
Der Deutsche Klaus Leutner (links) und der Pole Pawel Wozniak (rechts) haben die Urne des polnischen evangelischen Bischofs Juliusz Bursche ausfindig gemacht. In der Mitte der polnische Journalist Cezary Gmyz.
Klaus Leutner (links) und Pawel Wozniak (rechts) haben die Urne des polnischen evangelischen Bischofs Juliusz Bursche ausfindig gemacht. In der Mitte der polnische Journalist Cezary Gmyz.© Deutschlandradio/Sebastian Engelbrecht
Nach dem Überfall 1939 war Polen vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt. Für die Besatzer war Juliusz Bursche ein Verräter. Er stammte aus einer Familie deutscher, evangelischer Einwanderer, die in den zentralpolnischen Städten Kalisch, Lodz und Warschau Teil des polnischen Bürgertums geworden waren. Bursche betrieb aus der Sicht der Nazis die "Polonisierung" der deutschen Protestanten in diesem Gebiet. Der Berliner Kirchenhistoriker Bernd Krebs hat über Juliusz Bursches Leben geforscht.
"Seine Linie war, dass er gesagt hat: Gut, die Mehrheit der Kirchenmitglieder meiner Evangelisch-Augsburgischen Kirche im Königreich Polen sind deutschsprachig, aber wir haben jetzt auch eine Gruppe, die Polnisch spricht. Und deshalb geben wir beiden, das was sie brauchen: Die Seelsorge, den Unterricht, die Begleitung, den Gottesdienst in ihrer jeweiligen Sprache."

Ein deutscher Bischof in Polen

Als Generalsuperintendent gehörte Bursche nach dem Ersten Weltkrieg zur polnischen Delegation bei den Pariser Friedensvertragsverhandlungen.
"Er hat bei den Friedensvertragsverhandlungen in Versailles und Paris zugearbeitet, was die Grenzfragen anging. Er hat da natürlich, wie das alle Seiten gemacht haben, die jeweiligen ethnographischen, konfessionellen Fragen in den Grenzräumen thematisiert und hat damit versucht, einerseits die Grenzen Polens zu sichern, andererseits für seine evangelische Kirche weitere Kirchenmitglieder zu gewinnen, die er mit einbeziehen konnte."
1937 wurde Bursche der erste Landesbischof seiner Kirche. Zwei Jahre später überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Am 3. Oktober 1939 wurde Bischof Bursche vom Sicherheitsdienst der SS verhaftet, kam wenig später ins Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin und Anfang 1940 ins KZ Sachsenhausen.

Urnensuche für die Verständigung

So sehr Bursche bei den Nazis verhasst war, so hoch geschätzt war er in Polen. Heute soll die Entdeckung des Grabes von Juliusz Bursche aus der Sicht von Klaus Leutner der deutsch-polnischen Verständigung dienen.
"Wir beweisen bei unterschiedlichsten Intentionen – nationaler Denke, politischer Denke, religiöser Denke – wir beweisen, dass Polen und Deutsche gemeinsam etwas zustande bringen, was verbindet und nicht trennt."
Für den 20. Februar plant die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz eine Gedenkandacht im Familienkreis mit geladenen Gästen auf dem Friedhof in Berlin-Reinickendorf. Aus Warschau werden die Nachfahren des Bischofs erwartet. Die Evangelische Kirche in Deutschland lädt zum Empfang ein.
Sollte auch noch die Urne mit den Überresten Bursches gefunden werden, soll diese auf dem evangelischen Sankt-Trinitatis-Friedhof in Warschau beigesetzt werden. Falls man sie nicht findet, wollen die Nachfahren Erde von der Grabstätte Bursches in Berlin nach Warschau überführen lassen. Dort befindet sich schon heute ein Grabstein für den "Märtyrerbischof", wie ihn seine Kirche nennt.

"Ein KZ-Opfer kommt wieder nach Hause"

Für Klaus Leutners Kollegen Pawel Wozniak, den Mit-Entdecker des Bursche-Grabs, hätte die Rückführung der Urne große symbolische Bedeutung.
"Das ist auch eine Gefangener, welcher im KZ-Lager gestorben ist, und das hat symbolische Bedeutung: Einer von den Opfern in deutschen KZ-Lagern kommt wieder nach Hause."
Nach Schätzungen wurden im Zweiten Weltkrieg bis zu 5,7 Millionen polnische Zivilisten getötet. Die meisten von ihnen haben kein Grab. Schon deshalb hat der Fund in Reinickendorf besondere Bedeutung. Pawel Wozniak, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, investiert viel Zeit in die Suche von Gräbern seiner Landsleute aus der NS-Zeit.
"Ich finde, ich muss auch in meiner privaten Zeit Zeit finden zum Gedenken für solche Leute, bekannt machen solche Leute, weil ich sehe mich als Glied einer Kette von Generationen, welche verantwortlich sind für meine Heimat und auch für unsere gemeinsame Zivilisation."
In Polen findet die Entdeckung von Berlin schon seit Monaten große Aufmerksamkeit in den Medien. Das polnische Fernsehen (TVP) berichtet zur besten Sendezeit.

* Im Vergleich zu einer früheren Version haben wir die Angabe präzisiert.
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