Deutsch-österreichische Grenze im Inntal

Hupkonzerte, Blechlawinen und kilometerlange Staus

Stau auf der Inntal-Autobahn
LKW-Stau - Dauerzustand auf der Inntal-Autobahn © imago/Roland Mühlanger
Von Tobias Krone · 30.01.2018
Nichts geht mehr: Auf der Inntal-Autobahn zwischen München und Innsbruck ist der Megastau mittlerweile Dauerzustand. Ursache dafür sind nicht nur der zunehmende Verkehr und zusätzliche Kontrollen, sondern auch Scharmützel zwischen deutschen und österreichischen Behörden.
Die Montagmorgenkolonne reicht bis vor Rosenheim. Knapp 40 Kilometer lang stauen sich die Lastwagen auf der rechten Spur der Inntalautobahn zwischen München und Innsbruck. Es ist der 8. Jänner, wie die Österreicher sagen. Heute heißt es wieder Blockabfertigung für die Brummis, weil die Tiroler sich nach dem Feiertag Heilig Drei König vor der Verkehrslawine schützen wollen.
Nur im Schneckentempo dürfen LKWs bei Kufstein über die Grenze fahren, nur 300 pro Stunde. Kurz vor zehn sitzt Brummifahrer Dirk in seinem Führerhäuschen auf einem Rastplatz kurz vor Österreich.
"Ich find's auf eine Weise gut, auf eine Weise scheiße. Also heute finde ich es gut, weil ich habe damit nichts zu tun. Ist ja jetzt vorbei. Aber sonst ... eigentlich schlecht. Aber lässt sich halt nicht ändern, ne?"
Dirk war schlau, er hat die Blockabfertigung in seine Routenplanung vom Ruhrgebiet nach Süditalien miteinberechnet.
"Ja, das habe ich gewusst, natürlich, war ja Feiertag, ne? Dann ist Blockabfertigung. Aber das ist halt für mich und für andere, die erst Sonntagabend losfahren, deutlich einfacher. Weil wir ja unsere Ruhepause noch machen müssen, ... Wir kommen ja nicht in einem Schritt durch. Und jetzt ist ja nichts mehr los, ne?"

Der ganz normale Wahnsinn

Der Brummifahrer hat den Stau auf dem Parkplatz daneben einfach verschlafen – nun hat er sich nahezu aufgelöst. Viele seiner Kollegen aber mussten heute früh schon weiter, aber konnten nicht. Und schliefen im Stau ein, auf der rechten Spur. Was zu morgendlichen Hupkonzerten führte.
"Morgens um fünfe, da sind noch einige müde, die pennen dann nochmal, wenn das überhaupt nicht vorwärts geht. Überholen darfste auch nicht. Da wird halt gehupt."
Hupkonzerte, Blechlawinen und kilometerlange Staus. Es ist der ganz normale Wahnsinn im engen Inntal. Seit Jahren schon spitzt sich, hier zwischen den Gipfeln des Kaisergebirges und des Wendelstein, die Lage immer mehr zu. Europas Verkehr wächst immer stärker, gerade hier im Nadelöhr zum Brennerpass, wo sich Deutschland, Österreich und Italien ganz nahe kommen. Doch Europas Wachstum, so kann man sagen, hat eine Grenze, genauer gesagt den Grenzübergang Kiefersfelden. Der dient in diesen Monaten der Politik auf Tiroler und bayerischer Seite für rhetorische Scharmützel.

Das tägliche Grenzdrama

Die Blockabfertigung auf der Inntalautobahn ist nun der neueste Höhepunkt im Grenzdrama. Seit vergangenem Herbst war es schon die sechste. Peter Böttinger, Chef der Verkehrspolizei-Inspektion Rosenheim quittiert es mit einem Seufzen.
"Ja. Wir gewöhnen uns langsam dran."
Immerhin, berechenbar sind diese Maßnahmen, denn sie finden immer nach Fahrverbotstagen statt. Diesmal war es Heilig-Drei-König. Da durften Brummis in Deutschland fahren – und in Österreich nicht.
"Das Problem tritt ja immer dann auf: Die LKW dürfen in Deutschland fahren, wollen nach Italien oder nach Österreich, können aber an dem Tag, an dem sie sonst normal eingereist werden – in dem Fall war's halt der Samstag – nicht nach Österreich einreisen. Und fahren so weit wie möglich an die deutsch-österreichische Grenze ran. Wollen natürlich möglichst weit vorne stehen, weil es am nächsten Tag weitergeht. Und wenn dann das Nachtfahrverbot am Montagmorgen um fünf Uhr endet, würden sich die LKWs alle in Bewegung setzen. Dann käme es in diesem Zeitraum zu einem deutlich erhöhten Verkehrsaufkommen. Und dieses deutlich erhöhte Verkehrsaufkommen wird eben von den österreichischen Behörden gebremst, sodass sich die Störungen in Österreich nicht so stark auswirken."
Doch was den Tirolern Entlastung bringt, heißt für die bayerischen Polizisten Mehrarbeit, denn der morgendliche LKW-Stau zieht sich auf deutscher Seite sogar bis auf die A8 München Salzburg, die ohnehin schon ächzt. Peter Böttinger und seine Kollegen müssen dafür sorgen, dass die linke Spur für PKWs frei bleibt.
"Die Leute, die dort auf der linken Spur fahren, müssen aber irgendwann auf die Autobahn draufkommen und auch mal irgendwann die Autobahn verlassen können. Deswegen ist unsere Aufgabe auch, die Anschlussstellen, also die Ein- und Ausfahrten freizuhalten, und das geht eben nur mit Posten, das heißt, wir müssen an jede Ein- und Ausfahrt Polizeikräfte hinstellen, die die LKWs dann anhalten und eine Lücke freizulassen, die den PKWs ermöglicht, die Autobahn wieder zu verlassen oder auf diese aufzufahren."

Eine mutwillige Behinderung?

Mit der Blockabfertigung der Tiroler sind auf deutscher Seite 40 Einsatzkräfte beschäftigt. Das ist nur mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei zu schaffen. Während Polizisten stöhnen, empört man sich in der bayerischen Landespolitik lauthals über die Österreicher. Schon ganz im Wahlkampfmodus für die Landtagswahlen im Oktober poltert Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann los.
"Wir halten diese mutwillige Behinderung des LKW-Verkehrs für überhaupt nicht vertretbar."
Der Minister und CSU-Politiker stellt sich vor die Brummi-Fahrer. Doch das Schimpfen wird vorerst wenig ändern an der Situation. Ein Anruf in Innsbruck bei Dr. Bernhard Knapp. Er steht der Abteilung Verkehrsrecht der Tiroler Landesregierung vor – und verteidigt die Blockabfertigung, die man auf österreichischer Seite lieber Dosierung nennt.
"Wir nennen es ja Dosierungen. Das Wort Blockabfertigung klingt vielleicht irgendwie noch strenger, was es ja nicht ist."
Der Herr über den Verkehr in Tirol ist höflich, aber eindeutig. Auch in Tirol ist schließlich gerade Wahlkampf. Aber es geht Bernhard Knapp auch um die Verkehrskapazität des Alpentales, das jenseits der Grenze beginnt – die A12 hinauf zum Brennerpass.
"Dieser Straßenabschnitt ist eigentlich an der Grenze der Belastbarkeit angelangt."

Züge sollen die Straße entlasten - doch es stockt auf deutscher Seite

Gerade der LKW-Verkehr ist in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen. Laut den Tirolern allein elf Prozent gegenüber dem Vorjahr.
"Im Grunde liegt das zum einen an der Gott sei Dank steigenden Wirtschaftsleistung Europas, der Nachbarstaaten, auch Österreich, Italien, Deutschland. Das merken wir in einem gewaltigen Anstieg an Schwerverkehr, so haben im Jahr 2017 über 2,3 Millionen LKWs diesen Korridor befahren. Und zum anderen gibt es auch mehr PKWs. Die Leute fahren mehr auf Urlaub, fahren kürzer, aber dafür öfter auf Urlaub. Und dieser Mix macht eben bei uns die Stausituation aus."
Auch der schnellste Weg in zahlreiche Skigebiete führt über die Autobahn an Kufstein vorbei - theoretisch. Wenn da nicht die vielen LKWs wären. Dabei gäbe es ja eine Alternative zur Brummi-Lawine:
"Die Verlagerung auf die Schiene, wo wir ja quasi unsere Hausübungen schon gemacht haben. Wir haben ja die Unterinntaltrasse ausgebaut, wo größtenteils die Züge unterirdisch fahren, um das Tal nicht zu belasten, die dort lebende Bevölkerung nicht zu belasten. Diese mündet ja in den Brenner-Basistunnel, der auch schon sehr weit gediehen ist."
In knapp zehn Jahren fahren Züge von Brixen in Südtirol nach Kufstein an der deutschen Grenze fast nur noch im supermodernen Tunnel, schnell, lärm- und energiesparend. Doch an der deutschen Grenze wird die High-Tech-Trasse in die alte kurvenreiche Bahnstrecke Richtung Norden münden. Denn seine Hausübungen, oder Hausaufgaben, wie man hierzulande sagt, hat man in Deutschland noch nicht gemacht. Gerade erst beginnen die Planungen zu einem Ausbau der Linie, Bürgerproteste und Baustellen inklusive. Fazit: Frühestens zehn Jahre nach Eröffnung des Brenner-Basistunnels wird man diesen in adäquater Geschwindigkeit auch von Deutschland aus erreichen. Auch darum geht es den Tirolern mit der Blockabfertigung. Sie wollen Druck machen beim Ausbau des Schienengüterverkehrs. Denn vom Stau haben auch sie genug. Dafür sorgen vor allem die deutschen Grenzkontrollen bei der Einreise. Nach wie vor dosieren Bundespolizisten den Verkehr nach Deutschland, der im Schritttempo an ihnen vorbeirollt.
"Wie viele Flüchtlinge die wirklich finden oder fangen, kann ich mir nicht vorstellen. Für mich ist das eine reine Schickaniererei. Diese ganzen Wintersportgebiete, die leiden natürlich alle sehr darunter."

Die ganze Region leidet

Kurt Wieser steht neben seinem Renault auf einem Rastplatz nahe Kufstein. Der Salzburger ist Fachjournalist für Seilbahntechnologie. Ihn frustrieren die Grenzkontrollen. Zumal er den Grenzstau oft passiert, wie viele Österreicher. Wer von Innsbruck Richtung Salzburg und Wien will, den führt der bequemste Weg über Deutschland. Auch die Deutschen wollen mit den Kontrollen bekanntermaßen ihre Zeichen setzen. Innenminister Joachim Herrmann.
"Wichtig wäre, dass die Kontrollen eben schon zum Beispiel intensiver sind, dass in Italien mehr kontrolliert wird, dass im Süden Österreichs Richtung Slowenien stärker kontrolliert wird."
Bei der Tiroler Landesregierung hält man indes die bayerische Kontroll-Politik für übertrieben. Bernhard Knapp.
"Erforderlich sind die Kontrollen. Wenngleich – man muss dann schon sagen, der Raum Kufstein ist auch ohne Dosierung oder ohne Grenzkontrollen von bayerischer Seite immer ein Hotspot. Gerade jetzt kommen wieder ganz starke Samstage. Wo auch der Urlauberschichtwechsel da ist, wo auch die Tagesschifahrer da sind."
Urlauberschichtwechsel. Den spürt man vor allem an den Wochenenden nicht nur auf der Autobahn. Wenn die Urlauber kommen, dann ist auch für die Grenzbewohner neben der Autobahn Schicht. Im bayerischen Kiefersfelden reiht sich Stoßstange an Stoßstange.
"Der ist beschissen, der Verkehr. Weil Freitag Samstag Sonntag geht alles über diese Hauptstraße. Wenn wir einkaufen wollen, wir können nie reinfahren, rausfahren. Die Leute, die in den Autos sitzen, die sind stur, die lassen einfach niemanden gehen. Man muss immer schnell flitzen und dann passt's oder passt's nicht."
Diese Kiefersfeldenerin leidet unter den Touristen, die für ihre Fahrt ins Schigebiet auf eine Autobahnvignette verzichten. Neun Euro kostet das Pickerl für Österreich, dafür nimmt man lieber den Stau durch die Grenzorte in Kauf, der sich von Kiefersfelden bis rüber ins Tiroler Städtchen Kufstein zieht.
"Das geht aber in Kufstein genauso zu. Die leiden ja genauso drunter, gell?"
Bei allem Dosierungs-Populismus hüben wie drüben. Wer nahe genug an der Grenze lebt, merkt bald, dass Nachbarn meist die gleichen Probleme haben.
Mehr zum Thema