Deutsch-irakische Zusammenarbeit

"Die irakische Archäologie ist sehr gut aufgestellt"

Der historische griechische Tempel von Mrn in Hatra, aufgenommen am 21.4.2003. Die ehemalige Stadt der Parther in einem Wüstengebiet im Nordwesten des Irak wurde 1985 als Kulturdenkmal in die Welterbe-Liste der Unesco aufgenommen. |
Die historische Partherstadt Hatra auf einem Bild aus dem Jahr 2003 © AFP
Margarete van Ess im Gespräch mit Dieter Kassel · 04.01.2018
Geplündert und zerstört - viele Museen und historische Bauwerke im Irak fielen dem Krieg zum Opfer. Bei der Rettung des kulturellen Erbe will das vor gut einem halbem Jahr ins Leben gerufene Irakisch-Deutsche Zentrum für Archäologie und Assyriologie helfen. Die Archäologin Margarete van Ess zieht eine erste positive Bilanz.
Dieter Kassel: Wenn man über die Zerstörung historischer Kulturstätten im Irak spricht, dann denkt man sofort an die Stadt Mossul und ihre unmittelbare Umgebung, aber nicht nur dort wurden in den vergangenen drei Jahren Museen geplündert, historische Bauwerke zerstört. Das kann alles nicht so einfach rückgängig gemacht werden, aber zur Untätigkeit sind die Menschen auch nicht verdammt. Im Juli 2017 nahm das deutsch-irakische Zentrum für Archäologie und Asiologie auf dem Campus des College of Arts der Universität Bagdads seine Arbeit auf. Nach diesem halben Jahr wollen wir jetzt eine erste Bilanz ziehen mit Margarete van Ess. Sie ist die wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung am deutschen archäologischen Institut und seit 1982 schon immer wieder beruflich im Irak gewesen. Einen schönen guten Morgen, Frau van Ess!
Margarete van Ess: Guten Morgen!
Kassel: Wie hat sich denn dieses deutsch-irakische Projekt erst mal eine Zentrale in Bagdad entwickelt? Wie sieht die Arbeit inzwischen aus?
Ess: Die Arbeit beschränkt sich im Moment vor allem da drauf, tatsächlich Projekte zu entwickeln und in der Tat auch mit dem Schwerpunkt für den Nordirak, nämlich sich zu überlegen, was kann man tun, nicht nur hier von Deutschland aus, auch vom Schreibtisch, sondern eben mit den irakischen Kollegen, von irakischen Kollegen, und dann zu versuchen, eine Zusammenarbeit so aufzubauen, dass wir also vielleicht nicht als Deutsche vor Ort, aber vor allem unsere irakischen Kollegen vor Ort tätig werden können.

Die Leute wollen etwas tun

Kassel: Was heißt denn überhaupt irakische Kollegen? Wie viele Archäologen, die wirklich arbeitsfähig sind im Moment, gibt es denn überhaupt angesichts dieser gigantischen Aufgaben, die da eigentlich warten?
Ess: Nun, die irakische Archäologie ist eigentlich sehr, sehr gut aufgestellt, traditionell sehr gut schon aufgestellt gewesen. Das hat sich auch über die ganzen Jahre und Jahrzehnte nicht geändert. Man muss sich so ein bisschen vorstellen, dass das, was wir jetzt als Orchideenfach ansehen, vorderasiatische Archäologie ist dort unten was ganz Normales, nämlich das, was Archäologie in Deutschland für Deutschland auch ist, und da gibt es viele hundert Leute, die sich damit beschäftigen, vielleicht weniger auf dem wissenschaftlichen Sektor, aber in der Antikenverwaltung, und die Leute sind da, sie sind motiviert, sie wollen was tun. Sie haben vielleicht über die Jahre und Jahrzehnte der Krisen nicht mehr ganz die technischen Neuigkeiten mitbekommen, mit denen wir hier in Europa und weltweit so arbeiten, aber sie sind extrem motiviert, und genau da setzen wir an.
Kassel: Ich habe Mossul erwähnt, Sie haben allgemein jetzt gerade auch vom Nordirak gesprochen. Haben Sie denn überhaupt schon einen gesamten Überblick über das Ausmaß der Zerstörung und der Schäden?
Ess: Nein, einen gesamten Überblick gibt es überhaupt nicht. Man konzentriert sich natürlich ein bisschen jetzt auf die berühmten Schwerpunkte, also Mossul oder Nimrud oder Hatra, alles das, was man auch hier in den Zeitungen lesen konnte, aber das Gebiet ist in der Tat sehr, sehr groß und es hat sehr viel mehr Zerstörung gegeben, die jetzt erst so langsam evaluiert werden, das heißt, so langsam erst die Möglichkeit besteht, mal hinzufahren, auch seitens der irakischen Kollegen erst mal hinzufahren und zu schauen, was ist denn überhaupt los. Man muss sich ein bisschen vorstellen, dass dort ja Krieg geherrscht hat. Es müssen also erst mal Minen geräumt werden, es müssen Infrastrukturen bereitgestellt werden, damit man da überhaupt hinfahren kann und so weiter. Das alles ist nicht ganz einfach und natürlich auch nicht die allererste Sorge, die die Menschen dort haben, aber durchaus die zweite oder dritte Sorge.

Aufbauen, ohne historische Hinterlassenschaften zu zerstören

Kassel: Nun denken Menschen mit anderen Berufen – ich vermeide gerade den Begriff normale Menschen –, denken in anderen Zeiträumen als Archäologen und sagen jetzt sofort, hier muss aber auch mal der Wiederaufbau beginnen. Ich glaube, so weit ist man noch lange nicht, oder?
Ess: Die irakische Bevölkerung, zum Beispiel in Mossul oder auch in den Institutionen, denkt schon, dass das möglichst schnell gehen sollte, und das muss es auch, erstens, um Zeichen zu setzen, und zweitens geht es ja nicht nur um, sagen wir mal, abwegige archäologische Orte, sondern es geht auch um bis vor Kurzem noch funktionsfähige islamische, religiöse Monumente, oder es geht um Orte, die mit der Archäologie gelebt haben. Viele Städte und Dörfer im Irak sind sozusagen auf oder um archäologische Stätten herum errichtet. Das heißt, wenn jetzt dort das normale Leben wieder erwacht oder wiederaufgebaut wird, muss man sofort sehen, was passiert denn da mit den historischen Hinterlassenschaften. Das heißt, es ist schon gleich eine erste Sorge, wie kann ich mein Haus wiederaufbauen, ohne etwas zu zerstören, oder wie kann ich mit den Institutionen, den Behörden in Verbindung treten, um das so zu organisieren, dass es keinen Ärger gibt.
Kassel: Das ist aber ganz interessant. Ich hatte fast erwartet, dass Sie möglicherweise sagen, ja, die Zusammenarbeit mit der örtlichen Bevölkerung ist manchmal ein bisschen schwierig, weil die andere Sorgen jetzt haben, aber jetzt klingt es fast so, als sei es manchmal ein bisschen schwierig, weil die zu ungeduldig sind, weil sie müssen doch sicherlich – nicht Sie persönlich, aber die vielen Kolleginnen und Kollegen –, zu Archäologen auch sagen, wir können jetzt nicht schlagartig irgendwas zusammenstöpseln, wir müssen erst mal dokumentieren, wie es zerstört wurde und was überhaupt noch da ist.
Ess: Genau, das ist immer das, was wir sagen, aber in der Tat ist das etwas, was halt normale Bevölkerung nicht ohne Weiteres versteht. Für die muss das Leben möglichst schnell weitergehen, egal auf welche Art und Weise, und das ist sowohl mit der Archäologie als auch manchmal gegen die Archäologie, das heißt also, wenn ich Wiederaufbau betreibe, muss ich damit rechnen, dass ich zum Beispiel bei der Erweiterung meines Hauses einen archäologischen Ort zerstöre, und dann bekommen die Menschen es sofort mit den Antikenverwaltungen zu tun. Das heißt, da ist schon ein ständiger Austausch und ein ständiges Überlegen, wie geht denn das jetzt, wie können wir das überhaupt in Angriff nehmen, und umgekehrt für die Antikenverwaltungen und auch die Universitäten, wie können wir denn jetzt bewerten, was wirklich wichtig ist, so wichtig, dass man so eingreifen muss, dass man zum Beispiel Wiederaufbauüberlegungen stoppt oder verlangsamt, und was ist weniger wichtig. Das ist, wie soll man sagen, sind Überlegungen, die man weltweit immer wieder anstellen muss, auch hier in Deutschland, wenn zum Beispiel irgendwo eine Eisenbahnstrecke neu gebaut wird, steht dieselbe Frage im Raum, und es bedarf Ausbildung, es bedarf Wissen, um das bewerten zu können.
Kassel: Mal gucken, wie wir das in den nächsten Jahren bewerten und wie diese Zusammenarbeit weitergeht. Für heute erst mal herzlichen Dank für das Gespräch, Frau van Ess!
Ess: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema