Anders leben

Eine Frage der Perspektive

05:23 Minuten
Die Frankfurter Skyline upside down.
Eine andere Perspektive einzunehmen, hilft manchmal das eigene Leben neu zu ordnen, und Dinge anders zu machen. © picture alliance / Jan Eifert
Von Henrike Möller · 30.06.2021
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Einen Caffè Latte in der Hand und mit dem blau bereiften Mietfahrrad zum Co-Working-Space. Das ist urban, hip, trendy. Doch manche Menschen verzichten auf den Lifestyle einer sich immer schneller drehenden Welt und entdecken ein anderes Leben.
Jedes Jahr bringen die Tech-Konzerne aus Kalifornien, Korea oder China die neuesten Smartphones heraus. Und wer etwas auf sich hält, hat das neueste Modell in der Tasche. Für andere ist ein schickes Loft erstrebenswert oder die Dachgeschosswohnung im Szenekiez.
Josef, Michi, Susann und andere versuchen, anders zu leben. Sie verzichten auf die immer neuen Trends der urbanen Szene und blicken mit einer anderen Perspektive auf die Welt.

Teil 1: Captain Analog – Josef will kein Smartphone

Ein pixeliges Farbdisplay, das ist der größte Luxus seines Mobiltelefons. Josef hat es im Internet erstanden – für 12 Euro, inklusive Versand. Für Josef war gar nicht von vornherein klar, dass er kein Smartphone will. "Ich habe beobachtet, wie es den Umgang der Menschen miteinander beeinflusst", sagt er. "Zwei sitzen an einem Tisch und reden nicht miteinander, sondern fummeln an ihren Telefonen rum."
Die Hand eines Mannes hält ein altes Tastentelefon.
Sein Smartphone war für Josef purer Stress. Er wechselte zurück zu seinem alten Handy (Symbolbild)© picture alliance / dpa Themendienst / Christin Klose
Josef hatte ein Smartphone gefunden, das er behalten und auch genutzt hat. Dann stellte er auch bei sich ein anderes Verhalten fest. Ständig guckte er auf das Display, las sich irgendwas durch, dauernd piepste etwas und dann war das Datenvolumen erschöpft. Es war der pure Stress. "Konsum ist nicht mein Freund", sagte sich Josef und nutzt seitdem sein altes Handy wieder.

Teil 2: Ich lebe so, wie ich es will

Michi Hartmann lebt in Berlin gemeinsam mit einer Syrerin und einer Brasilianierin in einer internationalen Frauen-WG. Tagsüber baut sie in ihrer Ladenwerkstatt Gitarren. Dieses Handwerk hat sie sich selbst beigebracht. Als sie in einer renommierten Berliner Gitarrenbauwerkstatt ein Praktikum machte, habe man ihr gesagt, Gitarren zu bauen, sei eine Art zu denken, die man nicht erlernen könne - und die für Frauen untypisch sei. "Das kriege ich auch ohne dich hin, du Arsch", dachte sich Hartmann.
Einzelteile und der Rahmen einer Gitarre hängen in einer Werkstatt an einem Brett.
"Gitarrenbau ist eine Art zu denken, die man nicht lernen kann", bekam Michi Hartmann im Praktikum zu hören. (Symbolbild)© Imago / teutopress
"Ich habe eine verrückte Biografie", sagt die 56-Jährige. Sie hat Musik gemacht und arbeitete in der Filmbranche. Doch das hielt nicht lang. "Ich habe ein Problem mit Autoritäten", sagt Hartmann. "Und wenn du deine Wut und Aggression in die richtigen Bahnen lenkst, kann dir das sehr viel Energie geben." Diese Energie brauchte sie. Nach einem sehr schweren Moment in ihrem Leben riss sie alle Brücken ein und sagte sich: "So! Und jetzt lebe ich so, wie ich es will."

Teil 3: Susan lebt im Wagendorf

Der Blick über die Felder und Wiesen wirkt beruhigend auf Susan. Mit ihrer Familie ist sie vor sieben Jahren vom Südwesten Berlins in den Nordosten gezogen, vom Zehlendorfer Reihenhaus in ein Wagendorf bei Karow. Susan ist Dänin und hat viele Jahre in der dänischen Botschaft gearbeitet. Nach zwei Burnouts ging sie in Frührente.
Umgeben von grünen Bäumen und Büschen stehen ehemalige Bauwagen. Davor grüner Rasen.
Susan lebt seit sieben Jahren im Wagendorf in Karow. © Imago / Kai Horstmann
In ihrem gemütlichen Wagen kocht Susan Kaffee. Sie habe vorher dort gewohnt, wo Architekten und Professoren wohnen. "Die meinen, das perfekte Haus haben zu müssen, damit sie ihren Freunden zeigen können, dass sie es geschafft haben." Das braucht Susan alles nicht. Sie ist dort glücklich, wo sie ist, auch wenn dort auch nicht alles perfekt ist.

Teil 4: Shoob will ohne Geld leben

Shoob lebt in Berlin in einem Wagendorf und will mit so wenig Geld wie möglich auskommen. In seinem früheren Leben hat Shoob eine Musikschule geleitet. Ihm wurde klar, wie fremdbestimmt er war. Banken und Versicherungen hatten großen Einfluss auf seine Entscheidungen. Das wollte er nicht länger mit sich machen lassen. Er schloss die Musikschule, kündigte alle Versicherungen und sein Konto bei der Bank.
Eine Gruppe von Bauwagen unter einem Baum.
Shoob kündigte alle Versicherungen und sein Konto und lebt heute in einem Berliner Wagendorf.© Imago / Bernd Friedel
"Es wird einem bewusst, wie frei man sich ohne Geld fühlen kann", sagt Shoob. Man verbringe sonst sehr viel Zeit damit, über Geld nachzudenken und sich mit Geldfragen zu beschäftigen. "Das ist für mich die wertvollste Entwicklung", sagt Shoob. "All diese Zeit stecke ich in mich, in Selbstarbeit und in die Gemeinschaft". Das Geheimnis sei eine funktionierende Gemeinschaft, meint Shoob. Doch ein Leben ohne Konto und mit wenig Geld birgt viele Herausforderungen, wie Shoob erfahren hat.
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Teil 5: "Ich habe gekündigt und bin in den Wald gezogen"

Mo hat ein naturwissenschaftliches Studium abgeschlossen und danach begonnen, in ihrem Beruf zu arbeiten. "Aber irgendwie ging es mir die ganze Zeit schlecht damit. Ich dachte, ich mache etwas vollkommen Falsches", sagt Mo. Sie wollte das kapitalistische System nicht länger unterstützen und hat gekündigt, erzählt sie. "Und dann bin ich in den Wald gezogen."
Blick von unten in die Krone eines Baumes. Hoch oben in die Krone wurde eine Plattform mit Baumhaus gebaut.
Mo lebt in einem Baumhaus hoch über der Erde. Nur mit Strickleiter oder Kletterausrüstung gelangt man in ihr illegales Zuhause.© Imago / Tim Wagner
Heute lebt Mo in einem Baumhaus. Um an Lebensmittel zu kommen, geht sie tagsüber "containern", sie organisiert Wasser und betätigt sich als Aktivistin. "Schwer zu sagen, ob ich schon immer eine anarchistische Person war", sagt sie. Doch im Gespräch mit ihr werden auch Widersprüche deutlich.
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