Feindselige Gesellschaft?

Drei Geschichten über Wege aus dem Hass

54:52 Minuten
Illustration einer Gruppe von Menschen, die zusammen ein großes Megafon hält
Die Gesellschaft braucht Lautsprecher – auch, wenn diese mit Bedrohungen zu kämpfen haben. © imago images / Ikon Images / Mitch Blunt
Moderation: Alexander Moritz · 03.01.2021
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Beleidigungen und Morddrohungen sind Alltag für Journalist Hasnain Kazim, die Ex-Bürgermeisterin Silvia Kugelmann und Aktivist Jakob Springfeld. Sie sagen, wieso Solidarität wichtig ist, Ironie manchmal hilft und Hass auch Positives bewirken kann.
Wirklich schlimm wurde es für Hasnain Kazim im November 2019. Zu Beginn des Monats hatte der Journalist mit einem Post in sozialen Netzwerken gefordert, die Wähler der AfD "auszugrenzen" und zu "ächten". AfD-Parteichef Jörg Meuthen hatte diese Aussage empört aufgegriffen und als "unerträgliche Hetze" bezeichnet.
Für Kazim folgte eine Flut des Hasses: "Ich habe im November und Dezember knapp 400 Morddrohungen bekommen – konkrete Drohungen, in denen man auch gesagt hat, wo und wie. Das ist eine Massivität, die ich noch nicht kannte."

Hasnain Kazim berichtete als Spiegel-Korrespondent aus Pakistan, der Türkei und zuletzt Wien. Wegen seiner pakistanischen Eltern wird er regelmäßig rassistisch beleidigt. Dem entgegnet Kazim in ironisch überspitzter Form in sozialen Netzwerken. Empörte Leserbriefe und seine Antworten darauf veröffentlichte er auch in Buchform als "Post von Karlheinz". Zuletzt erschien seine Streitschrift "Auf sie mit Gebrüll! … und mit guten Argumenten. Wie man Pöblern und Populisten Paroli bietet", Penguin Verlag, 208 Seiten.

Dass solche Aggressionen im öffentlichen Diskurs zugenommen haben, beobachtet auch die Bürgermeisterin Silvia Kugelmann. Wegen ihres Engagements für Geflüchtete wurde sie in anonymen Briefen bedroht: "Das bleibt nicht nur bei Drohungen, sondern wir haben auch Taten zu beklagen."
Offenbar absichtlich wurde ein Nagel im Reifen ihres Autos platziert, nur durch Glück entging sie auf der Autobahn einem Unfall.

Silvia Kugelmann war bis März 2020 Bürgermeisterin der Gemeinde Kutzenhausen im Landkreis Augsburg. Sie hatte mit einer unabhängigen Wahlgemeinschaft gegen den Kandidaten der CSU gewonnen, trat aber wegen anonymer Drohungen und mehrerer Übergriffe bei der bayerischen Kommunalwahl nicht noch einmal an. Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs war sie noch im Amt.

Das Auto der Bürgermeisterin war auf einem Parkplatz mit Kot beschmiert worden. In der Dunkelheit bemerkte sie das erst, als sie bereits hineingefasst hatte.
"Das wünscht man keinem. Weil, in dem Moment hat man Angst. Ich wusste nicht, was passiert. Kommt jetzt jemand? Schlägt jemand die Windschutzscheibe ein?"
Auch der Aktivist Jakob Springfeld aus Zwickau kennt solche Momente. Der Schüler organisiert dort den lokalen Ableger der Schülerproteste Fridays for Future. Mehrfach wurde er bei Demonstrationen von Rechtsextremen gefilmt und anonym im Internet bedroht. Dabei blieb es nicht: "Ich wurde angespuckt, im Club rumgeschubst. Man hat abends Angst, durch die Stadt zu laufen."

Jakob Springfeld ist Abiturient aus Zwickau. Neben der Bewegung "Fridays for Future" engagiert er sich in der Grünen Jugend gegen Rechtsextremismus. Zwickau ist für seine starke rechtsextreme Szene bekannt. Die Terrororganisation NSU konnte während ihrer jahrelangen Mordserie unbehelligt in der Stadt untertauchen.

Mangelhafter staatlicher Schutz für Engagierte

Springfeld beklagt, dass ihn die Polizei bei der Verfolgung von Hassposts nur wenig unterstützt.
Auch Kazim hat ernüchternde Erfahrungen gemacht: "Da, wo ich Anzeige erstattet habe, hat das immer dazu geführt, dass das Verfahren eingestellt wurde – immer. Die Justiz ist völlig überfordert. (…) Ich stehe auf mehreren Todeslisten und schaffe es nicht, dass das gelöscht wird. Die Justiz sagt: Es ist nicht verboten, öffentlich zugängliche Daten zu sammeln in einer Liste. Ich stehe da drauf und kann nichts dagegen tun. Walter Lübcke stand auch auf solchen Listen."
Auslöser für den Hass gegen ihn ist häufig eine rassistische Einstellung, die Inhalte spielen nur eine Nebenrolle. Selbst für einen unpolitischen Text über eine Fahrradtour mit seinem Sohn sei er beschimpft worden:
"Die Leute suchen nur einen Grund, ihren Frust loszuwerden. Das ist oft keine Kritik an meiner Arbeit, sondern irgendein anderer Frust. Mit einem hatte ich lange hin und her geschrieben. Da kam heraus: Der hatte am Tag einen Strafzettel bekommen und musste sich am Abend auskotzen. Als Journalist ist man auch Ventil für Frustration."
Der Journalist und Autor Hasnain Kazim bei der Diskussionsrunde von Deutschlandfunk Kultur.
Der Journalist und Autor Hasnain Kazim bei der Diskussionsrunde von Deutschlandfunk Kultur.© Foto: Stefanie Loos
Kazim versucht, mit Humor auf die Beleidigungen zu reagieren. In bissigem Ton mit viel Ironie antwortet er auf ausgewählte Zuschriften. Die Antworten veröffentlicht er auf sozialen Netzwerken oder in Buchform. "Nicht, weil es etwas bringt, sondern weil es Spaß macht."

"Menschen sind nicht mehr kompromissfähig"

Die frühere Bürgermeisterin Kugelmann beobachtete, dass Menschen immer weniger bereit sind, Kompromisse zu akzeptieren – selbst bei scheinbar banalen Entscheidungen zu Baugenehmigungen.
"Das persönliche vermeintliche Recht wird über das Wohl der Gesellschaft insgesamt gestellt und ganz anders eingefordert als früher noch. Offensichtlich sind viele Menschen nicht mehr kompromissfähig. Es erschreckt mich, mit welchen Mitteln versucht wird, das eigene Recht einzufordern."
Soziale Netzwerke tragen dazu bei, Frustration zu Hass zu steigern. Hassbotschaften sind dort einfach zu verbreiten, Drohungen können anonym ausgesprochen werden. Der Hass sei aber auch schon vor dem Internet da gewesen, betont Kazim.
Der Schüler und Fridays-for-Future-Aktivist Jakob Springfeld bei der Diskussion von Deutschlandfunk Kultur.
Der Schüler und Fridays-for-Future-Aktivist Jakob Springfeld bei der Diskussion von Deutschlandfunk Kultur.© Foto: Stefanie Loos
Andererseits seien Rechtsextreme nicht die Einzigen, die online mobilisieren können, so Schüleraktivist Springfeld über die Situation in seiner Heimatstadt Zwickau:
"Ich habe den Eindruck, dass gerade Parteien wie der III. Weg auch neidisch sind. Die schaffen es offensichtlich nicht, so viele Jugendliche an sich zu reißen und eine Bewegung auf die Beine zu stellen. Wir kämpfen für eine weltoffene Gesellschaft, tun was fürs Klima und haben da offensichtlich viel mehr Erfolge mit."

Helfen geplante Gesetzesverschärfungen?

Die Bundesregierung will der zunehmenden Hasskriminalität mit mehreren Gesetzesinitiativen begegnen. Eine Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes soll Plattformbetreiber wie Facebook, YouTube oder Twitter zwingen, Hassposts von sich aus zu melden und im Falle von Ermittlungen Daten über die Urheber an das Bundeskriminalamt weiterzugeben.
Außerdem sollen Strafen für Beleidigung von Kommunalpolitikerinnen verschärft werden. Das sei ein wichtiges Signal, findet Ex-Bürgermeisterin Kugelmann. Doch die Gesellschaft als Ganzes müsse dem Thema Hasskriminalität mehr Bedeutung zumessen.
Die Bürgermeisterin Silvia Kugelmann bei der Diskussion von Deutschlandfunk Kultur.
Die frühere Bürgermeisterin Silvia Kugelmann bei der Diskussion von Deutschlandfunk Kultur.© Foto: Stefanie Loos
Kugelmann wünscht sich daher auch bessere Demokratiebildung in Schulen. Oftmals wüssten die Menschen nicht, wie Kommunalpolitik überhaupt abläuft – beispielsweise, welche Befugnisse Bürgermeister überhaupt haben. "Es fehlt den Leuten oftmals an Verständnis für demokratische Wege. (…) Eine Bürgermeisterin ist kein König." Politische Bildung müsse auch in den Familien ernstgenommen werden:
"Es geht darum, ein gutes Beispiel zu geben, dass man Kinder mit Empathie aufzieht und sich mit Respekt begegnet. Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht jeder in unserer Gesellschaft wahrnehmen muss."

Solidarität als Strategie gegen den Hass

Dass Kugelmann nicht erneut als Bürgermeisterin antrat, lag auch an der mangelnden Unterstützung aus der Gemeinde:
"Das Schweigen derer, die zuhören, finde ich feige. Das macht etwas mit einem. Die, die nicht helfen, sich zurückziehen, die haben vielleicht selber Angst – oder es ist ihnen egal. Der, der angegriffen wird, ist alleine. Das ist sehr einsam."
Umso wichtiger sei eine Unterstützung durch die breite Gesellschaft, sind sich Kazim, Kugelmann und Springfeld einig. "Ich bin stärker als euer Hass – ich wandle den Hass in Stärke um", schwört sich Kugelmann.
Moderator Alexander Moritz und die Podiumsteilnehmer Jakob Springfeld, Silvia Kugelmann und Hasnain Kazim auf der Bühne im Museum für Telekommunikation Berlin.
Die Podiumsdiskussion wurde im Museum für Telekommunikation Berlin aufgezeichnet.© Foto: Stefanie Loos
Die Übergriffe gegen ihn hätten auch zu einer Solidarisierung beigetragen: "Wenn wir mit dem Hass offen umgehen, sagen, was uns teilweise täglich passiert, dann merken wir, dass sich Leute uns anschließen, Solidarität zeigen und auch "Fridays for Future" und unsere Bewegung für Offenheit in Zwickau an Zuwachs gewinnt. Das ist der positive Aspekt."
Der 17-jährige Springfeld will nach seinem anstehenden Studium auf jeden Fall wieder in Zwickau aktiv werden: "Der Hass war schlimm, aber eigentlich überwiegt für mich das Positive."

Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 3. März 2020. Sie entstand in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte und wurde im Museum für Kommunikation Berlin aufgezeichnet. Zum Zeitpunkt der Sendung war Silvia Kugelmann noch Bürgermeisterin in der Gemeinde Kutzenhausen im Landkreis Augsburg, trat aber bei der bayerischen Kommunalwahl am 15. März 2020 nicht mehr erneut an.

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