Desintegration auf allen Ebenen

11.06.2007
Der Protagonist Sirhan arbeitet in einem Schlachtunternehmen. Er reist nach Ägypten und gerät dort in die Fänge der Geheimpolizei. Zurück in Deutschland ermordet er seinen Arbeitgeber. Hussain Al-Mozany hat mit "Das Geständnis des Fleischhauers" ein Buch über Exil und Identität, kulturelle Muster, über Zwänge und Missverständnisse geschrieben.
Der gebürtige und in Deutschland lebende Iraker Hussain Al-Mozany beschränkte sich in seinem letzten Roman "Mansur oder der Duft des Abendlandes" von 2002 auf den relativ überschaubaren Kosmos eines geflüchteten Neuankömmlings in Köln. Sein neuer Roman "Das Geständnis des Fleischhauers" greift sowohl räumlich als auch thematisch viel weiter aus: Er spielt in Ägypten und in Deutschland, verhandelt dabei nicht nur Fragen von Exil und Identität, von kulturellen Mustern, Zwängen und Missverständnissen. Es geht um ein grundsätzliches Phänomen, um Desintegration auf persönlicher, politischer und religiöser Ebene und damit auch um existenzielle Zerrüttung, um Willkür und Verachtung, um Wahn und Paranoia.

Der Protagonist Sirhan arbeitet bei einem Kölner Schlachtunternehmen, ist integriert und dennoch Außenstehender, will dazu gehören, pocht auf seine Verdeutschung und interpretiert mit penetranter Spitzfindigkeit jegliche Anzeichen von Ablehnung und Verachtung. Er schwankt zwischen überkompensatorischer Bereitwilligkeit zur Anpassung und bedeutungshuberischen Erklärungen für deren Unmöglichkeit: hellsichtig und aberwitzig daneben. Nach dem Scheitern seiner Ehe sucht er in Ägypten nach Zugehörigkeit und einer neuen Frau, gerät jedoch mitten hinein in den für ihn unerträglichen Alltagsirrsinn und in die politische Realität eines totalitären Regimes. Ohne Hilfe des deutschen Konsuls wäre er wohl kaum aus den Fängen der Geheimpolizei gerettet worden. Was den zum Krüppel Gefolterten nicht daran hindert, zurück in Deutschland seine Rachevision in die Tat umzusetzen und seinen Chef, den "Fleischbaron", während einer Theatervorstellung hinzurichten.

Was wir lesen, ist eine furiose Lebensbeichte aus dem Gefängnis, eine schonungslose Abrechnung mit sich und mit der Welt, eine wenig menschenfreundliche Anklage und vor allem auch eine ebenso bittere wie böse und zuweilen satirische Bestandsaufnahme diktatorischer Politik und ihrer Menschenfeindlichkeit sowie des islamistischen Blutrausches. Denn wenn der "Fleischhauer" über das Schächten redet, über den Gebrauch der richtigen Anrufungsformel, dann steht das ritualisierte und religiös verbrämte Menschenschlachten im Irak im Raum. Und wie Sirhan über seine Begegnungen in Ägypten schreibt, hätte dort keine Chance, je veröffentlicht zu werden. Weil er keinerlei Folklorismus gelten lässt und die grandiose Selbstüberschätzung im Verhältnis zum Westen ebenso herausstellt wie die schablonenhaften Sprachgesten und den immensen Rechtfertigungsdruck; weil er benennt, was er am eigenen Leib erlebt hat, dass nämlich die reklamierte arabische Solidarität in Wirklichkeit keinerlei Bestand hat. Iraker mit deutschem Pass zu sein, das genügt, um Neid, Geschäftssinn und politische Verfolgung auf den Plan zu rufen. Dieser Wütende wirbt nicht um Verständnis.

Hussain al Mozany hat einen düsteren Roman geschrieben. Der Verrücktheit seines Protagonisten und dessen "Selbstzerfleischungsprozess" nähert er sich, indem er beständig die Ebenen wechselt, von Reflexion zu Erlebtem springt, von Worten zu neuen Assoziationen kommt, Klischees aufruft und durchdekliniert, die Logik des Absurden auf die Spitze treibt. Zahlreiche Details seiner eigenen Biographie nähren das Buch, doch derart radikal und subjektiv hat noch kein arabischer Autor das wahnhafte Innenleben eines von der eigenen Kultur angewiderten und in der fremden nicht angekommenen Protagonisten dargestellt – und erst recht nicht in deutscher Sprache.

Rezensiert von Barbara Wahlster

Hussain Al-Mozany: Das Geständnis des Fleischhauers
Verlag Hans Schiler, Berlin 2007
280 Seiten, 22 Euro