Design aus Bayern

Urbane Sehnsuchtsobjekte aus der Provinz

Leander Angerer steht in seiner Werkstatt vor von ihm designten Rucksäcken.
Der Designer Leander Angerer steht in seinem Atelier, einer ehemaligen Schreinerei in Oberammergau. © Georg Gruber
Von Georg Gruber · 05.01.2019
"Die Kreativen" leben in den Metropolen, so will es das Klischee. Nach seinem Studium in Dessau und London aber zog es Leander Angerer zurück in die Berge Bayerns. Im Atelier in Oberammergau tüftelt der Designer an einer eigenen kleinen Kollektion.
"Hallo, hallo, komm rein. Das ist unser Wohnhaus und auch meine Werkstatt. Hier sind wir im Wohnraum, wir können aber auch gleich durchgehen in die Werkstatt."
Leander Angerer, 36, schlank, braunes Hemd, auf dem Kopf ein Cap aus Leder und dunkler Baumwolle, geht durch die Wohnküche - im Holzofen ein Feuer - dorthin, wo seine Ideen Gestalt annehmen. In die Werkstatt.
"Wo ich hauptsächlich die Näharbeiten mache. Im vorderen Teil habe ich meinen ganzen Nähmaschinenpark und den großen Arbeitstisch, im hinteren Teil bin ich so flexibel für diverse andere Aufträge, die ich so habe im Holzbereich. Aber derzeit halte ich mich eigentlich hauptsächlich im Nähbereich auf und will eigentlich auch am meisten nähen und entwerfen und entwickeln."

Ein kleines Reich mit fünf Nähmaschinen

Fünf Nähmaschinen stehen hier, für die unterschiedlichsten Stiche. An der Wand hängen Rucksäcke, verschiedene Modelle, auf dem Tisch liegt Werkzeug.
"Das ist so das kleine beschauliche Reich, das kleine beschauliche Racing-Atelier."
Nahaufnahme der Hand von Leander Angerer und einem Detail einer der Nähmaschinen in seinem Atelier
Leander Angerer arbeitet an einer der fünf Nähmaschinen in seinem Atelier.© Georg Gruber
Er und sein Bruder fuhren früher viel Mountainbike und nannten damals ihre Rad-Werkstatt Racing Atelier. Der Name ist geblieben. Das Nähen hat Leander Angerer sich selber beigebracht. Eine Adler, Baujahr 1986, ist sein Hauptarbeitsgerät:
"Mit der nähe ich alle dicken Sachen, Leder - bis zu ein Zentimeter dick - kann man da tadellos nähen. Und ansonsten ganz stabile Stoffe, die kann wirklich alles, das ist eine Maschine, die hauptsächlich aus dem Sattlerbedarf kommt. Sattler und Polsterer, die haben eh immer dick und schwer."
Die Nähte müssen etwas aushalten, das ist ihm wichtig, gerade bei Gebrauchsgegenständen, wie einem Rucksack, der ja auch alltagstauglich sein soll.
Aufgewachsen ist Leander Angerer in Steingaden, einem kleinen Dorf, rund 30 Kilometer entfernt. Der Vater Bildhauer, die Mutter Keramikerin.
"In der Werkstatt war ich halt einfach schon immer."

Von Dessau über London zurück nach Oberbayern

Und so war für ihn schon früh klar, auch gestalterisch arbeiten zu wollen: Er studiert Design in Dessau, macht dann seinen Master in London. Und spürt dann, dass es ihn zurückzieht:
"Ich liebe London, ich war grad dort. Ich war kurz davor, dort wirklich eine Werkstatt zu mieten und zu leben. Und dann habe ich habe gedacht, das schaffe ich nicht. Das fordert mich zu sehr und schränkt mich eigentlich in dem ein, was ich an Freiheit auch haben will, weil um dort irgendwie zu überleben muss man einfach Vollgas buckeln und Teil des Netzwerks sein. Und das war mir für London zu intensiv."
An der Tür zu Leander Angerers Werkstatt steht in weißen Buchstaben "Racing Atelier".
"Racing Atelier": Der Name von Leander Angerers Designlabel hat eine sportliche Vorgeschichte.© Georg Gruber
Als er vor vier Jahren vor der leerstehenden Schreinerei in Oberammergau steht, weiß er: Das ist es. Der Platz, um entwerfen, arbeiten und leben zu können, am Fuß der Berge:
"Das merke ich richtig, was da so einfach beim Hinterkopf dann ankommt, wenn ich da draußen bin. Wie ich dann auch wirklich reagiere auf Struktur, auf Nano-Dinge, wie ganz feine Rinde oder nur Farben. Das macht Spaß."

Ein komplett selbst entwickelter Rucksack

In seinem Atelier arbeitet er als freier Designer im Textilbereich und entwirft Möbel, Einzelanfertigungen. Und er nimmt sich Zeit, für seine eigenen Ideen. Der Rucksack, aus hellbraunem Leder und extrem reißfestem Segelstoff ist sein erster großer Wurf. Funktional, schlicht, ohne Gimmicks – und bis hin zu den Verschlüssen alles selbst entwickelt, keine Standardteile. Die Stückzahl ist auf 25 begrenzt, die Hälfte hat er schon verkauft. Der Preis: 1050 Euro.
"Ich bin aus meiner Sicht sehr günstig, für das was er ist. Aber das ist einfach viel Geld und deshalb findet er derzeit eigentlich am meisten Interesse in dem Modekontext, weil da irgendwie leichter mal schnell relativ viel Geld ausgegeben wird. So ist er zum Beispiel auch in Japan unterwegs. Ich habe in Japan einen Laden, der ihn auch verkauft. Und die sind sehr interessiert, was dieses handwerkliche modisch funktionale Thema betrifft."
Der Rucksack, ein urbanes Sehnsuchtsstück, ausgedacht und handgemacht in der Provinz:
"Ich glaube was dieses, ich nenne es immer so ein bisschen gemein 'auf dem Land vor sich hin bohren', was das schon mit sich bringt ist, dass eine Gestaltung entsteht, die eigenständiger ist. Wie wenn ich diesen ganzen Trends und dem ausgesetzt bin, was andere machen."

Städtisches Publikum als Zielgruppe

Doch Leander Angerer weiß, er braucht das städtische Publikum, als Käufer. Und er braucht Ausflüge in die Stadt, als Abwechslung:
"Das brauche ich schon und auch speziell weil ja hier in Oberammergau der Himmel immer blau ist und alles ist schön. Aber dass es auch Leute gibt, denen es nicht so gut geht und Obdachlose, was auch immer, das sind alles Einflüsse, die mich einfach auch interessieren. Irgendwie schlimm, wenn du aus dem Fenster rausschaust und es ist irgendwie alles wunderbar. Deswegen braucht es die Stadt schon auch."
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