Deradikalisierungsprojekte

Kann man junge Menschen vom Extremismus abbringen?

Ein Jugendlicher sitzt am Bildschirm eines PCs, der die Flagge der Terrormiliz IS zeigt.
Projekte in Hamburg und Berlin versuchen, extremistische Jugendliche zu deradikalisieren. © imago / Ralph Peters
Von Philipp Schnee · 19.06.2017
Was tun mit dschihadistischen Jugendlichen? Präventionsprojekte, die das Abtauchen von Jugendlichen verhindern sollen, gibt es viele. Zwei Konzepte aus Hamburg und Berlin setzten auch dann an, wenn ein Mensch schon radikalisiert ist.
"Radikal sein ist ein ganz normaler Prozess der Jugend, deshalb sprechen wir auch über religiös begründete Radikalisierung, weil das heißt nicht immer, dass es problematisch ist, aber es kann problematisch werden: Wenn man bestimmte Dinge nicht eindämmt, zum Beispiel soziale Entbindung."
André Taubert hat eine klare Haltung und einen klaren Ansatzpunkt: Deradikalisierung muss beim sozialen Umfeld, bei Familie und Freunden ansetzen, den sozialen Bindungen:
"Das kann die Mutter sein, mit der wir dann vermehrt oder verstärkt arbeiten wollen. Das kann aber auch jemand anderes sein, der eine bessere Bindung hat zu diesem Menschen. Das kann ein Sozialarbeiter sein, das kann ein Bruder sein. Auf jeden Fall suchen wir Menschen, mit denen wir daran arbeiten können, das der Mensch sich nicht weiter radikalisiert oder sich deradikalisiert."
Seit gut zwei Jahren berät er und sein Team von der Hamburger Beratungsstelle Legato vor allem Angehörige von islamistisch Radikalisierten:
"Deradikalisieren können wir als äußere Institution nicht. Ich glaube das ist ein Prozess, den der junge Mensch selber machen muss."

Religion als Thema bewusst aussparen

Aber Taubert versucht, den Radikalisierungsprozess aufzuhalten. Mithilfe der Angehörigen, die er vor allem für die Kommunikation mit den Jugendlichen schult:
"Es geht zum Beispiel darum, in dem Moment, wo ein junger Mensch immer wieder das Thema des 'wahren Islam' in den Vordergrund rückt, auch mal das Thema zu wechseln. Gelassen zu reagieren ist ganz, ganz wichtig, interessiert zu reagieren: Ja das ist ne interessante Idee, kann ich jetzt aber nichts mit anfangen. Nur nicht panisch und hektisch reagieren. Nicht mit massiver Gegenwehr und einer eigenen abwertenden Haltung und dem jungen Menschen zu sagen, das, was du da machst ist falsch, du hast was nicht verstanden, du bist dumm. Das sind ja die klassischen Reaktionen. Und die führen dazu, dass der junge Mensch sich weiter radikalisiert."
Die Mitarbeiter von Legato sparen ganz bewusst das Thema "Religion" immer aus. Keine inhaltliche Diskussion. Systemisch nennt sich der Ansatz, der ganz bewusst das "familiäre, soziale System" in den Vordergrund rückt.
"Das sind ganz profane Probleme der Jugend, mit denen wir es da zu tun haben. Da geht es um die erste große Liebe, da geht es um den Vater-Sohn-Komplex, oder einfach keine Lust mehr auf Fußball zu haben. Aber eine gute Möglichkeit zu finden, moralisch den Kopf über den Wasser zu haben und zu sagen und trotzdem zu sagen: Leute ich kann kein Fußball mehr spielen, deshalb spiele ich nicht mehr mit Kufar, mit ungläubigen..."

Ein für Außenstehende überraschender Ansatz

Für Außenstehende wirkt der Ansatz von Legato, keine inhaltliche Auseinandersetzung und Konfrontation mit den teils menschenverachtenden Einstellungen ihrer Klienten, sondern klassische sozialarbeiterische, fast familientherapeutische Arbeit, überraschend.
André Taubert hat aber aus seiner Arbeit gelernt:
"Der junge Mensch radikalisiert sich, weil er einen Brücke oder einen Weg braucht, um über dieses Problem zu kommen. Das ist aber in aller Regel ein profanes, ein weltliches Problem. Und dann baut er sich eine ideologische Brücke. Und das ist unter Umständen die ideologische Brücke des IS. Und wenn man jetzt einfach anfängt diese Brücke abzubauen, das ist alles gar nicht schlüssig, dann hat der junge Mensch keine Brücke mehr über sein Problem."
Dass Konfrontation nichts bringt, davon ist auch Thomas Mücke vom Violent Prevention Network in Berlin überzeugt:
"Du hast unrecht, ich habe recht, das ist dasselbe, was er auch in der extremistischen Szene hört."
Trotzdem arbeitet Mücke mit seinen Kolleginnen und Kollegen, anders als vorwiegend Legato, auch inhaltlich. Mücke ist überzeugt:
"Die Ideologie kriegt man aus dem Kopf raus. In dem Moment, wo der junge Mensch beginnt, unabhängig und frei zu denken."

Vertrauen aufbauen und Fragen stellen

Columbo-Methode nennt er deshalb seinen Ansatz, Vertrauen aufbauen und Fragen stellen, vor allem Fragen:
"Deradikalisierungstrainer entwickeln immer Columbo-Fragetechniken, das heißt, dass der Mensch wieder anfängt, zu denken. Das passiert nicht mit Gegen-Narrativen, das passiert mit der Fragestellung."
Thomas Mücke, Politologe
Thomas Mücke vom Violence Prevention Network in Berlin© Sven Klages/VPN/dpa
Trotzdem warnt Mücke, der auch schon jahrelang Erfahrung in der Arbeit mit rechtsextremistischen Jugendlichen gesammelt hat: Die Pädagogik dürfen nicht den Eindruck erwecken, bei jedem Menschen etwas bewirken zu können. Er und seine Kollegen arbeiten mit Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren. Sind die radikalisierten älter oder sind sie schon lange in der Szene aktiv, kann sein pädagogischer Ansatz wenig bewirken, sagt Mücke. Es sind eher die Mitläufer, die man erreichen kann. Nicht jeder kann deradikalisiert werden:
"Nein, Horst Mahler nicht, und man wird auch einen Deso Dogg und ähnliche nicht deradikalisieren."
Horst Mahler, der inzwischen verurteilte rechtsextreme ehemalige RAF-Anwalt, und Deso Dogg, ehemaliger Berliner Rapper, dann im dschihadistischen Kampf für den Islamischen Staat.
"Man wird diejenigen, die agieren, die das mit einem wahnsinnigen narzisstischen Machtbedürfnis tun, da sicherlich nicht erreichen können. Man muss auch nicht jeden deradikalisieren. Ansonsten gibt es auch Personen, die wir nicht erreichen können mit solchen Angeboten. Und das sage ich ganz ehrlich, dafür sind dann die Sicherheitsbehörden zuständig."
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