Der Waldgänger am Mikrofon

16.08.2013
Berühmt und berüchtigt wurde Ernst Jünger durch sein Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" in den 20er-Jahren. Zu Hörbuch-Ehren ist er bisher kaum gekommen, doch nun gibt es eine Sammlung mit faszinierenden Aufnahmen aus fünf Jahrzehnten.
"Ich weiß, dass ich Zeit meines Lebens, das bereits länger als das Goethes währt, vielen ein Ärgernis gewesen bin. Die Ambivalenz begleitete mich durch die mehr als 60 Jahre meiner Autorschaft, die mir Gegner in allen Lagern eintrug, und es ist zu erwarten, dass sich daran auch wenig ändern wird."

Ja, so war er, der Schriftsteller Ernst Jünger, innerlich ambivalent und äußerlich umstritten, hier zu hören bei seiner Rede zur Verleihung des Goethes-Preises 1982 in Frankfurt. Sie war von Protesten gegen den vermeintlichen Militaristen und Nationalisten begleitet.

"Auch die Inquisition ist säkularisiert. Wie einst der konfessionellen, spürt sie heute der politischen Abweichung nach... Von einem gewissen Format an hat jeder seinen Verfolger vom Dienst."

"Nicht dieser oder jener Krieg wurde verloren – sondern der Krieg schlechthin"

Dabei hatte Ernst Jünger, dessen Frühwerk die Schrecken des modernen industriellen Krieges scheinbar ungerührt protokolliert, doch längst Abschied genommen von den Posen des Heroismus. In seiner Rede zu Ehren des Bruders Friedrich Georg Jünger sagt er unmissverständlich:

"Wie lange sollte es nach dem Ersten Weltkrieg dauern, bis wir erkannten, dass dort nicht zwischen Völkern und Ideen gerungen wurde, sondern dass etwas anderes eintrat, dass die Fronten übergriff und verwischte und dessen Bedrohung allen gemeinsam war. Daher wurde auch nicht dieser oder jener Krieg verloren, sondern der Krieg schlechthin, der Krieg des Kriegers."

Die längste Zeit seines Lebens widmete sich Jünger – neben dem Schreiben und der Lektüre – deshalb lieber den subtilen Jagden nach Käfern und Insekten. Fleißig gesammelt haben auch die Herausgeber Robert Eikmeyer und Thomas Knoefel – und in den Archiven gefunden, was von Jüngers literarischem Jahrhundertleben akustisch bleibt: genau 3 Stunden und 15 Minuten. Das ist nicht viel. Jünger hat den Rundfunk offenbar nicht als sein Medium empfunden. Hörbar ist, dass er sich vor dem Mikrofon nicht ganz bequem fühlt, vielleicht im Bewusstsein, dass seine Stimme kein sonores Imponierorgan ist: nichts von Stahlgewittern, sondern eine hohe, manchmal gepresst klingende Stimme mit norddeutschem Dialekteinschlag und bisweilen merkwürdigen Betonungen.

Macht aber nichts. Denn man hört Ernst Jünger nach kurzer Gewöhnung gern zu. Sehr beeindruckend seine Rede über den apokalyptisch-visionären Zeichner und Schriftsteller Alfred Kubin aus dem Jahr 1964, das eindringliche Porträt eines Geistesverwandten, das eigene Präferenzen der Wahrnehmung formuliert:

"Kubin kennt den Genuss, den das Leben gerade unter dem Aspekt des Vergänglichen gewährt. Er ist mit der Morbidezza der Dinge vertraut, die ja alle bestimmt sind, früher oder später Triumphstücke des Todes zu sein. Insofern Kubin das sieht, weiß er mehr, als man in unserer so planmäßigen Zeit begreift."

Elitäre Widerständigkeit gegen die "planmäßige" Zeit
Jünger verstand sich immer als Individualist und "Waldgänger", er pflegte die elitäre Widerständigkeit gegen die "planmäßige Zeit", hatte einen scharfen Blick für die Konformitätszwänge der Massengesellschaft, gefiel sich als philosophierender Partisan. Die eigentliche Wirkung von Literatur ereignet sich für ihn deshalb auch abseits des organisierten Geisteslebens:

"Wenn zwei 16-Jährige sich in der Mansarde oder auf einem Waldgang an ihrem Autor begeistern, so ist das wichtiger als die Tagung eines Schriftstellerkongresses oder die Verhandlung einer Akademie."

Literatur und Kunst als außenseiterische Passionen. Deshalb kann es aber auch leicht geschehen, dass man schreibend zum Sonderling wird:

"Evident ist die Gefahr, im Getriebe der ökonomischen Welt zermalmt zu werden oder zu einer halb komischen, halb erbärmlichen Existenz an ihren Rändern verurteilt zu sein. Daher werden die Eltern sogleich unruhig, wenn eine musische Neigung sich im Sohn ankündigt oder gar übermächtig zu werden droht. Sie tun alles, um ihn davon abzubringen oder wenigstens den Trieb in eine Bahn zu lenken, die, wenn auch noch so bescheidenen, Nutzen verspricht."

Ernst Jünger, der Trotzkopf mit dem abenteuerlichen Herzen, ließ sich nicht bändigen und folgte zeitlebens seiner "musischen Neigung". Und auch wenn er keine Schmeichelstimme hat, ist es faszinierend, seinen eigensinnigen Betrachtungen und Reflexionen in diesem Hörbuch zu lauschen.

Rezensiert von Wolfgang Schneider

Ernst Jünger: Mein Gegner ist die Sprache. Originaltonaufnahmen 1954-1995
Hg. von Robert Eikmeyer und Thomas Knoefel
Brigade Commerz, Pforzheim 2013
3 CDs, 195 Minuten, 24,80 Euro
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