Der Vermesser des Himmels

Rezensiert von Kurt Darsow · 09.01.2006
Galileo Galilei gilt als Begründer der empirischen Naturwissenschaft. Mit seinen Beobachtungen brachte er das bis dahin geltende, vor allem von der Kirche verteidigte Bild von der Welt zum Einsturz. Doch dass Galilei mit seinen Thesen nichts umstürzend Neues, sondern nur die Gedanken untermauerte, die schon von Kopernikus geäußert worden waren, macht Atle Naess in seiner kulturhistorischen Studie "Als die Welt still stand" deutlich.
" Als der erbittertste Gegner des Katholizismus, Gustav Adolf, der Schneekönig des Nordens, im Herbst des Jahres 1632 in der Schlacht bei Lützen fiel, wütete der grausame Krieg nördlich der Alpen bereits seit vierzehn Jahren. Im gesamten katholischen Europa wurden Dankesmessen gefeiert. Als die Nachricht vom Tod des Schwedenkönigs Rom erreichte, ließ Papst Urban VIII. in der Sixtinischen Kapelle ein Te Deum zelebrieren, in dem er selbst die Psalmen sang. "

Mit diesem Blick auf die politische Großwetterlage lässt der norwegische Autor Atle Naess seine lesenswerte kulturhistorische Studie über Galileo Galilei beginnen. Die katholische Kirche, deren Macht über Jahrhunderte hinweg ins Schrankenlose gewachsen war, sah sich eingangs des 17. Jahrhunderts in ihren Grundfesten erschüttert. Im Gefolge der Reformation ging nicht nur ihr politischer Einfluss rapide zurück; sie verlor auch in weltanschaulichen Fragen an Autorität. Anno 1600 musste deshalb ein Exempel statuiert werden. Im Zentrum Roms, auf dem Campo dei fiori, wurde ein "reuloser Ketzer" grausam hingerichtet:

"Die Hinrichtung Brunos war ein Signal an alle, die anlässlich des heiligen Jubiläumsjahres nach Rom gekommen waren, und gemahnte an die Konsequenzen der Ketzerei. Der 52-jährige Bruno wurde entkleidet, an einen Pfahl gebunden, und nachdem das Urteil verlesen worden war, wurden die äußeren, dünnen Zweige des Scheiterhaufens angezündet. Eine große Volksmenge verfolgte, gebannt vor Schreck, wie die Flammen um den nackten Körper herum emporschlugen. "

Giordano Bruno war kein Wissenschaftler nach heutigem Verständnis. In den Augen von Atle Naess war er eher ein Visionär und Philosoph, ein charismatischer Grübler und Mystiker, ein Fantast, der sich für einen neuen Messias hielt. Er hatte die kirchlichen Ordnungshüter auf ihrem ureigensten Gebiet herausgefordert, als er die heilige Dreifaltigkeit in Zweifel zog und behauptete, die Lehre von der Endlichkeit des Universums komme einer Begrenzung der göttlichen Allmacht gleich. Doch selbst diese Ketzereien hätte ihm das Heilige Offizium vermutlich verziehen, wenn er nicht unbelehrbar an seinen Überzeugungen festgehalten hätte. Galileo Galilei, der damals eine Professur für Mathematik an der Universität Padua bekleidete, war also gewarnt. Im Gegensatz zu Giordano Bruno verstand er sich in erster Linie als empirischer Forscher. Er bediente sich eines selbstgebauten Fernrohrs und keiner Visionen, als er nachwies, dass die Erde nicht den Mittelpunkt der Welt bildet und Sonne, Mond und Sterne sie nicht in konzentrisch angeordneten Kristallsphären umrunden, wie die offizielle Lesart lautete. Warum erhitzten die Schlüsse, die er aus seiner Himmelsbeobachtung zog, dennoch die Gemüter?

"In der akademischen Welt hatte die Mathematik einen geringen Status. Wenn man nun allerdings mit Hilfe praktischer Experimente, die mit mathematischen Methoden analysiert wurden, zeigen konnte, dass die aristotelischen Deutungen falsch waren, hätten die angewandte Mathematik und die experimentelle Physik den herausragenden Platz der Naturphilosophie einnehmen müssen, sowohl was das Prestige als auch was die Entlohnung anging. "

Atle Naess arbeitet anschaulich und leicht fassbar heraus, wie es dazu kam, dass Galileo Galilei im Jahr 1632 in die Fänge der Inquisition geriet und zu lebenslangem Hausarrest begnadigt wurde, nachdem er das von ihm untermauerte heliozentrische Weltbild widerrufen hatte. Er macht deutlich, dass der Begründer der empirischen Naturwissenschaft damit überhaupt nichts umstürzend Neues vertrat, sondern lediglich Gedanken konkret untermauerte, die schon 1543 von Nikolaus Kopernikus geäußert worden waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert verging, ehe die Gedankenpolizei überhaupt von ihnen Kenntnis nahm. Offenbar lasen die Herren nicht gern, schon gar nicht mathematische oder astronomische Fachliteratur. Das von Kopernikus formulierte Weltbild, richtete sich im Übrigen weniger gegen die Lehren der Bibel als gegen die Naturphilosophie des Aristoteles, die sich das christliche Mittelalter zu Eigen gemacht hatte. Erst als Galilei sich herausnahm, in philosophischen Abhandlungen das Buch der Natur gegen das Buch der Bibel auszuspielen und die Schriftgelehrten satirisch aufs Korn zu nehmen, war sein Maß voll. Es spricht für das ausgewogene Bild, das Atle Naess von Galilei zeichnet, dass es auch auf dessen Eitelkeit und Ruhmsucht hinweist. Gerade eben wieder haben die betrügerischen Machenschaften des koreanischen Stammzellenforschers Woo Suk Hwang gezeigt, wozu die moderne Wissenschaft in dieser Hinsicht fähig ist. Galileo Galilei, ihr erster Heros, verkörperte nicht nur ihre Stärken, sondern auch ihre Schwächen.

Atle Naess: Als die Welt still stand. Galileo Galilei - verraten, verkannt, verehrt.
Übersetzt von Kerstin Hartmann-Butt
Springer Verlag, Heidelberg 2005
244 Seiten und 21 Abbildungen, 19,95 Euro