Der Vatikan, der Sex und der Teufel

Von Ludger Fittkau · 05.10.2011
Eine kritische Sicht auf die katholische Sexualmoral, das wollte die Amtskirche nicht dulden. Eine Veranstaltung mit dem provokativen Titel "Let´s Think about Sex" wurde verboten. Stattdessen tauschten sich die Theologinnen und Theologen nun im Foyer der "Frankfurter Rundschau" aus.
Kritische Theologen reden über die Sexualmoral der Kirche. Das ertragen katholische Kirchenfürsten in einer Zeit nicht, in der ein zutiefst konservativer Papst die Weltkirche leitet. Deshalb wird die Keule des Verbots geschwungen. Der niederländische Theologe Erik Borgmann erinnert wenige Tage nach der Papstreise in Frankfurt daran, dass Benedikt XVI. trotz seiner Dialoge mit Jürgen Habermas und Bundestags-Avancen an die Grünen eine zutiefst anti-moderne Theologie vertritt:

"Und das kann ja gut oder schlecht gemacht sein, er macht es verhältnismäßig gut, aber es ist eine anti-moderne, neo-konservative politische Theologie."

Auch Sex und vor allem der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Kleriker ist für die römische Kirche das latent Böse, das von außen kommt, so der Tilburger Theologe. Die Kirche hingegen ist heilig. Laut Borgmann ist dieses Denken im 19. Jahrhundert auf die Spitze getrieben worden, als sich die katholische Kirche zum Hort der Anti-Moderne stilisierte. Der Papst knüpft an diesen Denkstil an, so Erik Borgmann:

"Das ist das, was man sieht in dieser ganzen Debatte auch mit diesem Papst, der es ganz klar selbst sehr schwierig hat mit diesem sexuellen Missbrauch. Er kann nicht denken, dass es etwas zu tun hat mit dem Kern des katholischen Glaubens selbst. Er muss mehr oder weniger Denken, das es von außen kommt, weil das Böse ist mehr oder weniger außen ist und es kann nicht von innen kommen."

Ein Schutzschild gegen schändliche Sex-Teufel soll der Zölibat sein. Anderthalb Jahrtausende lang war die sexuelle Enthaltsamkeit das Ideal der Kleriker. Durchgesetzt hat es sich im 4. Jahrhundert nach Christus – in dem Moment, als sich zunächst vereinzelte Asketen verstärkt zu klösterlichen Gemeinschaften zusammenschlossen. Kein Sex, keine Ehe, das wurde das Credo dieser leistungsorientierten "Verzichts-Christen", wie der Essener Kirchenhistoriker Hubertus Lutterbach diese Gruppe nennt. Ihre Enthaltsamkeit dient der Optimierung täglicher religiöser Kulthandlungen, so Lutterbach heute in Frankfurt:

"Es ist ein religionsgeschichtliches Grundgesetz, dass es eine bestimmte Distanz gibt zwischen dem Kult und dem Heiligen auf der einen Seite und der Welt auf der anderen Seite. Ursprünglich hat man sich nur an Sonntagen zur Eucharistie versammelt. Das heißt, nur einmal in der Woche entstand also die Frage, wie muss ein Kult-Diener leben? In dem Maße, wie im Mittelalter die Messe täglich zelebriert werden sollte, sagen wir ab dem siebten oder achten Jahrhundert, stellt sich natürlich verschärft die Frage, wie tritt der Kultdiener an den Kult? Also hat man gesagt, er soll möglichst sexualitätsfrei leben."

Da aber heute wieder heilige Messen in der Regel nur noch an den Wochenenden stattfinden, könnte die auf den Kult bezogene "Leistungs-Askese" des Pflicht-Zölibats also wieder aufgegeben werden, folgert Lutterbach.

Für die Tübinger Theologin Regina Ammicht Quinn müsste die Abschaffung des Zölibats mit einer grundlegenden Änderung der patriarchalen Strukturen innerhalb der katholischen Kirche einhergehen, in der Frauen keine Chance haben. Die Priesterehe sei keine automatische Garantie für eine neue, menschen- und körperfreundliche Sexualmoral in der Kirche, so Ammicht Quinn, eine der Veranstalterinnen der Frankfurter Tagung. Das sähe man aktuell an verheirateten Priestern, die aus anderen Konfessionen zum Katholizismus übertreten und trotzdem weiter im Amt bleiben dürfen:

"Die Reformansage, nämlich das Zölibat aufzuheben, betrachte ich auch mit Misstrauen, weil wir sehen, dass die Priester, die jetzt als verheiratete Priester innerhalb der katholischen Kirche tätig sind und ich meine hier jetzt vor allem angelikanische Priester, auch keinen Innovationsschub geben. Das heißt, wir brauchen eine grundsätzliche Veränderung der Strukturen und nicht eine Nachbesserung nach dem Motto: Frauen sind ja auch Menschen."

Die Tagung "Lets think about sex" zeigt vor allem eines: Eine neue Sexualmoral wird es in der katholischen Kirche mit diesem Papst nicht geben. Katholiken, die sich danach sehnen, müssen auch künftig mit Ausgrenzung rechnen. Die einst für Stuttgart geplante Veranstaltung im "Frankfurter Rundschau"- Exil: Das ist ein Zeichen des Widerstands kritischer Theologen – aber es gleichzeitig Ausdruck einer intellektuellen und kulturellen Sackgasse, in der sich Katholikinnen und Katholiken befinden.

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