Der ukrainische Poet Maxim Musyka

Dichten an der Front

Das Foto zeigt Maxim Musyka auf dem umkämpften Flughafen von Donezk in der Ostukraine
Das Foto zeigt Maxim Musyka auf dem umkämpften Flughafen von Donezk in der Ostukraine © Sergej Loiko
Von Sabine Adler · 03.08.2016
Maxim Musyka war sowohl als Reservist als auch als Freiwilliger an der Front. Mitgebracht hat er von dort keine Orden, dafür unzählige Gedichte. Denn in der Extremsituation Krieg lernte er sich ganz neu kennen.
"Als die Zeit zu kämpfen kam
Nahm er ihren Namen
Neben sein Herz
Auf die Uniform
um es warm zu halten."

Poesie als Rehabilitation

Für Maxim Musyka ist Poesie Rehabilitation. Poesie nicht von anderen Autoren, sondern selbst verfasste.
"Manche trinken. In solchen Momenten sind viele Gedichte entstanden. Du verstehst, dass du keinen Schlaf finden wirst und freundest dich damit an."
Der 36-jährige hat sich keinen Moment vorgenommen, Gedichte zu verfassen. Seit seiner Demobilisierung vor einigen Wochen gibt er Selbstverteidigungskurse wie zu Beginn der Maidan-Proteste, als Gegner des Janukowitsch-Regimes auf offener Straße überfallen wurden. Er will nicht schreiben, er muss.

"Die Gedanken pulsieren"

"Das ist kein Wunsch. Es muss einfach raus. Das ist ein Druck, ich kann gar nicht anders. Auf Bestellung geht gar nichts. Aber wenn ich schreiben muss, hält mich nichts davon ab. Ich tue es dann, egal wo ich mich gerade befinde, ganz gleich, was ich gerade zu tun habe. Die Gedanken rasen. Zack, zack, zack, kommt die erste Zeile, die zweite, die dritte. Als würde etwas pulsieren oder vibrieren. Dumdum, dumdum, dumdumdum. Das ist nicht zu stoppen, eine Zeile reiht sich an die andere."
Wann es passiert, weiß er nie vorher. An der Front, beim Essen, tags oder nachts. Die über 20.000 Fans können genau nachverfolgen, wann es wieder soweit war.
"Einmal waren wir bei einer Übung und schliefen unter freiem Himmel. Ich blickte zu den Sternen, fragte mich, wo Norden ist und stellte fest, dass ich mit den Füßen Richtung Norden lag. Und da ging es auch schon los: "Die Füße Richtung Norden …" und so weiter. Fünfzehn Minuten später war das Gedicht fertig. Das entsteht ganz von selbst, du musst es nur noch aufschreiben. Ich lag zwischen unserer Munition und den Funkgeräten und stellte das Gedicht auf Facebook. Da fragten mich die ersten sofort: Wann hast du das geschrieben? Na jetzt, ich liege jetzt gerade mit den Füßen Richtung Norden."

Über Facebook kam der Wunsch nach einer Gedichtsammlung

Mal jeden Tag eins, mal länger nichts, mal auf Russisch, mal Ukrainisch - auf seinem Account kann jeder lesen, was er gerade gedichtet hat. Der Offizier ist so produktiv wie populär.
"Immer mehr Leute sagten: Mach ein Buch daraus! Ich kündigte an, dass ich es drucken lassen werde, wenn es genug Interessenten gibt. Das ging ganz schnell. In Kürze gab es so viele Bestellungen, dass ich eine ganze Auflage zusammen hatte. Und dann hat einer meiner Bekannten den Druck sogar finanziert. Die ganze Auflage von 2000 Exemplaren."

Ukrainische Musik mit seinen Texten

"Zoran" lautet der Titel der Gedichtsammlung, wie sein Kampfname als Freiwilliger. Schwarzes Cover, 240 Seiten. Fünf seiner Gedichte werden von einer ukrainischen Band derzeit vertont.
"Wenn ich die Songs höre mit meinen Texten, dann ist es ja nicht so, dass ich damit nichts zu tun hätte, aber sie sind ein bisschen weiter entfernt von mir. Keine Neugeborenen, sondern vielleicht Enkel."
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