Der türkische Journalist Can Dündar

"Eines Tages werde ich Sie in die Türkei einladen können"

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Can Dündar steht von seiner Installation "SİLİVRİ. prison of thought", die aus einer Gefängniszelle im Garten des Gorki Theaters besteht.
"Prison of Thoughts" - Gefängnis der Gedanken - nennt der türkische Journalist seine Installation für das Maxim-Gorki-Theater. © MAIFOTO / Ute Langkafel
Can Dündar im Gespräch mit Ute Welty · 26.02.2021
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In der Installation "Prison of Thoughts" für das Maxim-Gorki-Theater verarbeitet Can Dündar seine Erfahrungen im türkischen Gefängnis. Nach fünf Jahren im deutschen Exil ist er überzeugt: Das Ende der "dunklen Zeit" in der Türkei rücke näher.
Ute Welty: "Undoing Prison" – von seinen Gefängniserfahrungen in der Türkei berichtet heute unter anderem Can Dündar im Rahmen einer digitalen Podiumsdiskussion aus dem Berliner Gorki-Theater. 2015 war der bekannte Journalist nach einem Artikel über türkische Waffenlieferungen an syrische Milizen festgenommen worden. Monatelang saß er in Untersuchungshaft und lebt seitdem im Exil.
Für das Gorki-Theater und das Festival "Re: Writing the Future", also so ungefähr "Die Gestaltung der Zukunft betreffend", hat Dündar seine Zelle aus dem berüchtigten Gefängnis Silivri nachbauen lassen. Und schon auf dem Foto kann man erkennen: So eine Zelle ist verdammt klein. Can Dündar hat mir diese Zelle genauer beschrieben.
Herr Dündar, wie muss ich mir eine solche Gefängniszelle genau vorstellen, was die Größe angeht und die Einrichtung?
Can Dündar: Stellen Sie sich einen Raum vor von 25 Quadratmetern Größe. Das ist ein kleines Zimmer, in dem ihr Leben jetzt stattzufinden hat. Da werden Sie sich waschen und werden kochen, werden schlafen und Ihre Stunden, Wochen und Monate werden dort vergehen.
Welty: Wie haben Sie es an diesem Ort über Stunden, Wochen und Monate ausgehalten und wie eine Art Alltag gestaltet?
Dündar: Das ist das Schwierigste, den Alltag zu gestalten und auszuhalten. Denn man versucht, Sie völlig von der Welt zu isolieren, dass Sie sich völlig allein fühlen, dass Sie glauben, die ganze Welt habe Sie vergessen, dass Sie glauben, Ihr Schicksal würde niemanden mehr interessieren. Um dagegen anzukämpfen, muss man gegen sich und gegen die Welt ankämpfen. Und in diesem Kampf haben mir am meisten meine Bücher und mein Stift geholfen.

Die Kreativität der Menschen wird ausgestellt

Welty: Neben dem Zellennachbau haben Sie auch eine Installation geschaffen, ein Museum der kleinen Dinge, die in der Haft dann plötzlich ganz wichtig werden. Welcher Gegenstand hat Ihnen geholfen? Ihre Bücher und Ihren Stift haben Sie ja bereits angesprochen.
Dündar: Tatsächlich besteht das Ganze aus zwei Teilen. Einmal geht es um einen Kerker der Ideen, das ist eine Zelle, wo in der Türkei immer noch viele Politiker, Journalisten, Schriftsteller, Juristen und Künstler ihre Zeit verbringen müssen. Ein zweiter Teil ist ein Museum der kleinen Dinge, wie Sie es erwähnt haben. Dort stellen wir aus, was die Menschen finden und erfinden, um sich in dieser Zelle zu erhalten. Das heißt, die Kreativität der Menschen wird dort ausgestellt. Der erste Teil ist eher pessimistisch, der zweite Teil macht eher Hoffnung.
Für mich als Journalist war die Kommunikation das Wichtigste. Denn dort versucht man, die Kommunikation der Inhaftierten mit der Welt abzubrechen. Und da ist es sehr spannend, was für Kommunikationskanäle man erfindet. Ich war ja Chefredakteur einer Zeitung, und in der Nachbarzelle war ein weiterer Journalist. Und wir konnten miteinander nur kommunizieren, indem wir in die Kanalisation hineingerufen haben oder kleine Zettelchen mit Botschaften in Wasserflaschen gesteckt und die rübergeworfen haben. Dieses Beispiel hat mir noch einmal deutlich gemacht, dass es unmöglich ist, die Kommunikation unter den Menschen zu verbieten, zu unterbinden, wenn sie es nur wollen.
Welty: Coronabedingt kann ja zurzeit niemand Ihre Ausstellungsstücke im Gorki-Theater tatsächlich sehen. Was denken Sie über diese Isolation der Darstellung von Isolation?
Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theater, und Can Dündar, Journalist und ehemaliger Chefredakteur der türkischen Wochenzeitung Cumhuriyet, stehen bei einem Presserundgang am Maxim Gorki Theater. Mit der Adaption einer Gefängniszelle im Garten des Gorki-Theaters macht der im Berliner Exil lebende türkische Journalist Can Dündar auf politische Inhaftierungen in seiner Heimat aufmerksam.
Intendantin Shermin Langhoff holte Can Dündar für das Festival Re:writing the Future ans Maxim-Gorki-Theater.© picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Dündar: Es ist tatsächlich eine ironische Zeit, eine ironische Situation, die wir durchmachen. Und jetzt erleben die Menschen tatsächlich das, was wir versuchen, ihnen durch diese Ausstellung mitzuteilen. Jetzt können sie die Isolation an sich selber testen. Aber eines würde ich allen trotzdem ans Herz legen, nämlich daran zu denken, wie die Isolation wäre ohne Telefon, ohne Zoom-Treffen, ohne die Möglichkeit, im Park spazieren zu gehen. Und wenn man das alles bedenkt und wenn man bedenkt, dass die Menschen Jahre in dieser Situation verbringen müssen, dann wird man viel besser verstehen, was man dort erlebt.
Welty: Ihre Untersuchungshaft ist jetzt mehr als fünf Jahre her. Hat die Erinnerung eine Chance, wenigstens ein bisschen zu verblassen?
Dündar: Natürlich! Die Anpassungsfähigkeit der Menschen ist groß. So, wie man sich schnell anpassen kann, wenn man in eine Zelle geworfen wird, kann man sich auch an das normale Leben anpassen, wenn man wieder draußen ist. Diese Tage habe ich hinter mir gelassen. Aber jetzt versuche ich, denjenigen, die noch in den Zellen in diesem Gefängnis sind, eine Stimme zu geben. Und ich wünsche mir, dass die Menschen tatsächlich sich mit der Ausstellung beschäftigen und sich fragen, was sie dagegen tun können, was sie tun können, um diesen Menschen zu helfen.

Hoffnung auf eine freie Welt

Welty: In Abwesenheit sind Sie im Dezember wegen Spionage und wegen Terrorunterstützung zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Auch hat der türkische Staat Ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt. Was kann man Ihnen nicht nehmen?
Dündar: Die Vorstellung einer freien Türkei und die Hoffnung auf eine freie Welt. Jedes Mal, wenn ich verurteilt werden, jedes Mal, wenn ich ins Gefängnis gesteckt werden soll, geben mir diese beiden Ideen neue Hoffnung, aber auch den Willen weiterzukämpfen. Und diese Ausstellung ist deswegen so wichtig. Sie ist Teil dieses Kampfes.
Welty: Im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 154 von 180, also deutlich näher an Nordkorea als an Norwegen. Wer kann denn in der Türkei überhaupt noch auf einen fairen Prozess hoffen?
Dündar: Niemand. Leider wurde das Recht in der Türkei völlig ausgehöhlt. Und diese Installation und Ausstellung sind auch Teil eines Kampfes für die Menschenrechte. Sie zeigen in aller Deutlichkeit, wie es um die Demokratie, um die Menschenrechte, um die Pressefreiheit in der Türkei steht, wie die Menschen dafür kämpfen. Und ich hoffe, dass die Menschen in Berlin und die Europäer sich das anschauen und dass sie wirklich Zeuge dessen werden, was dort erlebt wird.
Die Ausstellung ist nur wenige Hundert Meter entfernt von der Wohnung von Bundeskanzlerin Merkel. Wenn sie einmal den Weg zu der Ausstellung finden würde, sich dort umsehen und zuhören würde, würde sie bestimmt ganz andere Dinge sehen und hören als das, was Erdogan ihr erzählt.

"Eines Tages werde ich Sie in die Türkei einladen können"

Welty: Werden Sie eines Tages die Möglichkeit haben, in die Türkei zurückzukehren? Und werden Sie das dann wollen?
Dündar: Ja, natürlich! Jeden Morgen wachen wir mit der Frage auf: Ist dieser Tag schon gekommen? Und jeden Tag, wenn wir ins Bett gehen, haben wir die Hoffnung, dass dieser Tag morgen anbrechen könnte. Diese Hoffnung rückt immer näher. Die Türkei rückt dem Ende dieser dunklen Zeit immer näher. Und ich bin mir sicher, eines Tages werde ich Sie in die Türkei einladen können und in ein Museum führen – nämlich das Gefängnis, in dem ich war, in dem so viele Menschen immer noch sind. Ein Museum über diese dunklen Tage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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