Der Traum vom Kurden-Staat

IS besiegt, gejubelt, nun selbst vertrieben

Demonstranten nehmen am 22.09.2017 in Erbil im Irak an einer Kundgebung des kurdischen Präsidenten Barsani zum Unabhängigkeitsreferendum teil.
Bei einem Referendum im September stimmten 92 Prozent der Kurden im Nordirak für die Unabhängigkeit. © Oliver Weiken, dpa picture alliance
Von Marc Thörner · 09.11.2017
Drei Jahre haben die Kurden im Nordirak mit deutscher Hilfe gegen die IS-Miliz gekämpft. Jetzt wurden Tausende selbst vertrieben aus der Provinz Kirkuk. Von der irakischen Armee und schiitischen Milizen. Machtkämpfe abseits der Weltöffentlichkeit.
"Mein Haus in Tuz Khurmatu haben sie kaputtgemacht und dann verbrannt. Jetzt können wir nur noch überleben, weil uns unsere Mitmenschen durch Spenden über Wasser halten."
Ein Dorf der Garmian-Region im Nordirak. Hier sind viele kurdische Familien gestrandet – geflohen aus der Provinz Kirkuk beim Einmarsch der irakischen Sicherheitskräfte vor kurzem.
Irakische Soldaten sitzen auf einem Panzer, im Hintergrund Verkehrsschilder 
Irakische Soldaten rücken im Oktober in Kirkuk ein.© AFP
Die Ortsansässigen helfen ihnen so gut es geht, quartieren die Flüchtlinge in ihren eigenen Häusern ein. Eine etwa 70-jährige Frau ist gerade angekommen, zusammen mit Nichten, Neffen und Enkelkindern.
"Wie lange wird das so noch weitergehen? Wie oft ist uns Kurden so was schon passiert? Wen sollen wir noch um Hilfe fragen? Am Ende kann nur Gott uns helfen."

Schiiten wollen ihr Einflussgebiet ausdehnen

Auch Fuad Zindani ist Kurde. Und außerdem Leiter einer kurdischen Menschenrechtsorganisation. Als solcher ist er eigentlich gewöhnt, seine Worte abzuwägen. Doch die Art, in der die schiitischen Milizen, Hascht al Schaabi, als Hilfskräfte der irakischen Armee rund um die nahegelegene Stadt Tuz Khurmatu vorgehen, lässt für ihn keine Zweifel offen.
"Das ist eine systematische ethnische Säuberung, insbesondere gegen Kurden. Unsere Bevölkerung ist jetzt auf der Flucht. Die Miliz Hascht al Schaabi hat erst gestern den kurdischen Basar im Zentrum der Stadt verbrannt. Auch mehrere kurdische Häuser haben sie angezündet und geplündert. "
Das neue Chaos, das sich im Nordirak abspielt – von außen betrachtet, könnte es aussehen wie eine plötzliche Eskalation; ein Verteilungskampf, wie er oft unter siegreichen Verbündeten aufflammt. In dem Fall: zwischen der irakischen Armee und den kurdischen Peschmerga. Seite an Seite haben beide in den letzten Jahren die Kämpfer der IS-Terror-Miliz aus weiten Teilen des Nordiraks verdrängt.
Aus Sicht lokaler Beobachter liegen die Dinge anders, handelt es sich eher um eine geplante und seit Jahren konsequent betriebene Machtverschiebung in der Region. Hauptakteur dabei sei der Iran, meint Karzan Karim, Journalist beim kurdischen Nachrichtensender KNN.
"Es geht längst nicht mehr nur um eine Krise rund um den IS. Im Zentrum stehen inzwischen die Schiiten. Die wollen ihr Einflussgebiet Richtung Norden ausdehnen und die ganze Region weiter schiitisieren. Die Stadt Tuz Khurmatu, hat dabei eine große strategische Bedeutung, sie ist ein Knotenpunkt, von dem aus eine Verbindungsstraße vom Iran nach Bagdad führt. Auch wirtschaftlich gesehen spielt diese Gegend eine große Rolle. Sie öffnet den Zugang zu den umliegenden Ölfeldern und ist auch ein Zentrum für die Landwirtschaft. "
Eine Karte des Irak von Google Maps.
Kirkuk - das Zentrum der Öl-Industrie im Irak - wurde drei Jahre von den Kurden kontrolliert.© Screenshot von Google Maps vom 09.11.2017

Kurden leisteten 2014 Widerstand gegen IS-Miliz

Tuz Khurmatu liegt im Einzugsbereich von Kirkuk. Der Millionen-Stadt, die das Zentrum der irakischen Öl-Industrie bildet und schon immer ein Mosaik aus unterschiedlichen Ethnien und Religionen war: In den umliegenden Gemeinden leben turkmenische und starke arabische Minderheiten, auch wenige christliche Assyrer sind noch vertreten. Mehrheitlich leben in der Provinz Kirkuk allerdings sunnitische Kurden. Verwaltet durch die Zentralregierung in Bagdad. Bis zum Angriff der IS-Miliz vor drei Jahren.
Die irakische Armee flüchtete im Sommer 2014 und überließ der Terrororganisation ein Großteil ihrer US-gefertigten Waffen. Ganz anders die Kurden. Sie leisteten Widerstand. Unterstützt von der US-Luftwaffe und gestärkt durch internationale Waffenlieferungen, als Bodentruppen des Westens sozusagen. Nach harten Gefechten und hunderten Toten konnten die Peschmerga Kirkuk verteidigen.
Kurdische Peschmerga kämpfen nahe Kirkuk gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
Kurdische Peschmerga kämpften 2014 nahe Kirkuk gegen die Terrormiliz IS.© imago/Xinhua
Nach diesem Erfolg weigerte sich die kurdische Autonomieregierung allerdings, das mehrheitlich von ihrer eigenen Volksgruppe besiedelte Gebiet rund um Kirkuk wieder zu räumen. Und auch die Öleinnahmen behielt sie ein.
Bagdad protestierte. Ohne die Öleinnahmen aus Kirkuk kann der Irak seinen Staatshaushalt kaum decken. Da die Peschmerga aber nicht weichen wollten, versuchte die irakische Zentralregierung die kurdische Macht in und um Kirkuk auszuhöhlen. Mithilfe einer ganz besonderen militärischen Einheit.
"Den Volksmobilisierungskräften unter dem Schirm der irakischen Sicherheitskräfte ist es gelungen, die Stadt Baash zurückzuerobern. Damit konnten sie in dieser Woche auf einem Gebiet von rund 1000 Quadratkilometern die Landstriche und Dörfer bis zur irakisch-syrischen Grenze erobern."
Als "Volksmobilisierungskräfte" bezeichnet dieser Sprecher der US-Armee Hilfstruppen, die die irakische Regierung landesweit aus jungen Schiiten rekrutiert. Begleitet werden die Hascht al Schaabi häufig von professionellen Offizieren und Beratern aus dem Iran. Darüber aber schweigt sich die US-Armee in der Regel aus. Hingegen heben ihre Sprecher gern die Leistungen der Paramilitärs im Kampf gegen die IS-Miliz hervor. Sie gelten, verglichen mit der regulären irakischen Armee als motivierter und schlagkräftiger.

Kurden und Schiiten einst vereint gegen Saddam Hussein

Auch Teilen der kurdischen Führung waren die Hilfstruppen hoch willkommen. Sadi Ahmed Pire aus dem Politbüro der für Kirkuk zuständigen Patriotischen Union Kurdistans, PUK.
"Wir haben eigentlich eine sehr gute Beziehung mit Schiiten. Wir haben eine Geschichte. Wir haben einander kennen gelernt im Gefängnis, im Flüchtlingslager, bei der Beerdigung unserer gemeinsamen Märtyrer, im Kampf gegen Saddam Hussein. Diese Partnerschaft ist gesegnet bei Präsident Talabani, Ayatollah Hakim, Ayatollah Sadr und auch Sistani."
Der einstige gemeinsame Kampf von Kurden der PUK mit den Schiiten gegen den früheren irakischen Machthaber Saddam Hussein hatte die beiden Gruppen lage zusammen gehalten. Und wenn Bagdad die schiitische Hilfstruppe Hascht al Schaabi angefordert habe – und nicht Teheran – könne Sadi Ahmed Pire damit leben.

Schiitische Milizen erst gegen IS, dann gegen Kurden

Vielen Menschen in der kurdischen Kirkuk-Provinz erschienen die vermeintlichen schiitischen Helfer bereits vor einem Jahr in einem ganz anderem Licht. Vor allem in der Stadt Tuz Khurmatu, gelegen an der Straße zwischen iranischer Grenze und Bagdad. Ein kurdischer Händler, der auf seinem Karren Gurken und Tomaten anbietet, erhebt schon damals schwere Vorwürfe gegen die irregulären schiitischen Kräfte der irakischen Armee.
"Die schiitischen Freiwilligenmilizen wurden hierher geschickt, um gegen den IS zu kämpfen. In unserer Stadt gibt es Kurden, arabische Minderheiten und turkmenische Schiiten. Die Hascht al Schaabi versuchen jetzt, die kurdische Mehrheitsbevölkerung zu vertreiben und ihre Häuser zu übernehmen, also zu enteignen. Meine Verwandten haben sie bereits aus ihren Wohnungen in der Stadt verjagt."
Der Menschenrechtler Fuad Zindani kennt Tuz Khurmatu seit seiner Kindheit: Eine ländliche, mehrheitlich kurdische Provinzstadt mit rund 60.000 Einwohnern, bekannt durch ihre Obst- und Gemüsemärkte. Doch als er rund 12 Monate nach der Stationierung der "Volksmobilisierungskräfte" dorthin kommt, traut er seinen Augen kaum.
"Das ist eigentlich eine kurdische Stadt, aber man sieht hier überall unterschiedliche schiitische Fahnen, Bilder von Ali, schwarze Parolen."
Binnen eines Jahres hat sich die Stadt völlig verändert. Es sieht aus wie im Iran kurz nach der islamischen Revolution. Überall flattern die rituellen schiitischen Trauerflaggen. Und an den öffentlichen Gebäuden prangen in bunten Farben die Konterfeis der schiitischen Märtyrer Ali und Hussein.
In vielen Straßen des Basars sind die Rollläden heruntergelassen, einige sind eingedellt und verrußt, andere mit einem großen roten X durchkreuzt. In einem der wenigen geöffneten Geschäfte steht ein kurdischer Händler. Er erklärt, was die Kennzeichnung bedeutet:
"Sobald man ein X auf dem Rollladen findet, heißt das: Das Geschäft gehört einem Kurden, er ist zum Plündern frei gegeben. Hier nebenan liegt der Laden meines Vaters. Wir befinden uns nur sechs Meter von einem Polizeiposten entfernt. Und trotzdem – sie haben ihn geplündert."

Was wissen die USA über Angriffe auf Kurden?

Tuz Khurmatu - eine Stadt, in der die Kurden die größte Bevölkerungsgruppe stellen und nun eine iranisch-schiitische Prägung erhält – offenbar durch systematische Diskriminierungen und Zwangsmaßnahmen. Geschieht das mit dem Wissen der USA? Immerhin sind die Amerikaner als Oberbefehlshaber der Anti-IS-Koalition verbündet mit den irakischen Streitkräften und somit auch mit deren schiitischen Hilfstruppen. Die US-Armee jedenfalls ist darüber im Bilde, welche Methoden den schiitischen Hilfstruppen vorgeworfen werden:
"Wir haben von den Vorwürfen willkürlicher Übergriffe gegen Zivilisten gehört. Auch von Folter war die Rede."
Generalmajor Doug Chalmers, von der britischen Armee war 2016 stellvertretender Chef für strategische Planung der US-geführten Anti-IS-Koalition für den Irak und Syrien.
"Diese Vorwürfe machen uns sehr betroffen, aber ich kann Ihnen sagen, dass ich darüber eine Menge hochrangiger Gespräche mit den führenden irakischen Generälen führe und, was vielleicht noch wichtiger ist: mit dem irakischen Premierminister. Er ist darüber ebenso betroffen und hat seine Generäle angewiesen, interne Untersuchungen darüber anzustellen, um zu ermitteln, was genau sich da abspielt und wenn sich die Vorwürfe als stichhaltig erweisen – die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen."
Politisch verantwortlich für das Verhalten der Schiitenverbände ist aus Sicht des Menschenrechtlers Fuad Zindani die kurdische Partei die in der Provinz von Kirkuk seit der Rückeroberung vom IS das Sagen hatte: Die PUK.
"Die Patriotische Union Kurdistan hat Hascht al Schaabi hergebracht. Sie hat geglaubt: Kein Problem, wenn sie her kommen. Jetzt sehen wir: Wie können wir Hascht al Schaabi wieder raus bekommen? Gar nicht."

Gewalttätige Provokateure im Dienste der Türkei?

Im Politbüro der Patriotische Union Kurdistan weist man das zurück. Nicht die Hascht al Schaabi insgesamt seien das Problem; es gebe aber böswillige Elemente, die dort von außen eingeschleust worden seien.
"In der Kirkuk-Gegend haben wir Hascht al Schaabi aus Turkmenen. Innerhalb dieser Turkmenen, die auch Schiiten sind, gibt es Elemente, die versuchen diese Beziehung kaputtzumachen."
Wer sind diese Elemente, die den Frieden stören? Aus Sicht des Kurden Sadi Ahmed Pire stehen sie im Dienste der Türkei. Sie setzen rund um Kirkuk ihre agents provocateurs ein, um Gewalt zwischen Kurden und Schiiten zu schüren.
"Wir haben das Gefühl, dass die Schiiten und die Kurden aufeinander gehetzt werden. Ebenso die Kurden mit der Regierung in Bagdad und dem Iran. Nur, um von weitem - aus Istanbul oder Ankara - zuzuschauen. Diese Art von Spielchen kennen wir schon."
Ist die türkische Regierung in Ankara also verantwortlich für die Übergriffe in der kurdischen Stadt Tuz Khurmatu im Nordirak durch schiitischen Milizen?
Um dieses Denkmuster der verantwortlichen Kurdenführer zu verstehen, hilft es sich zu fragen, wer diese Kurdenführer eigentlich sind.

"Kurdische Politiker sind die reichsten der Welt"

Eine nationale Einheit, eine gemeinsame Freiheitsbewegung , das sind die Peschmerga nur in den Propagandasongs und -videos, die überall in der irakischen Autonomieregion in Cafés und Restaurants zu hören und zu sehen sind.
Tatsächlich teilen sich vor allem zwei große Parteien die Macht: Die Kurdisch Demokratische Partei, KDP des vor kurzem zurück getretenen Autonomiepräidenten Masud Barzani, die die Gegend rund um Erbil nahe der türkischen Grenze regiert.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) und der Präsident der Region Kurdistan-Irak, Mazoud Barzani (r), kommen am 20.04.2017 in Salahaddin im Präsidentenpalast zur Pressekonferenz. 
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) und der damalige Präsident der Region Kurdistan-Irak, Masud Barzani, im April 2017.© dpa
Und die schon erwähnte Patriotische Union Kurdistans, PUK, des jüngst verstorbenen Jalal Talabani, die verantwortlich ist um Suleymaniah, nahe der iranischen Grenze.
Ideologisch sind die Unterschiede zwischen ihnen marginal. In beiden Fällen handelt es sich um alteingesessene Familienclans, die ihre politische Führung mit einer regen Geschäftstätigkeit verbinden. Die Barzanis treiben einen regen Handel mit Partnern in der Türkei, die Talabanis mit Partnern im Iran. Für alle Fehler und Übel macht beide jeweils die Handelspartner der anderen Seite verantwortlich. Die PUK zeigt bei Bedarf auf die Türkei. Die KDP beschuldigt den Iran. Denn beide fahren gut mit ihren jeweiligen regionalen Partnern.
"Die politischen Führer in der nordirakischen Kurdenregion sind die reichsten Politiker der Welt."
Ali Hamah Saleh gehört zu einer kleinen kurdischen Oppositionspartei und leitet im Parlament der Autonomieregion die Kommission für Öl und Gas. Er erklärt den Konflikt mit der irakischen Zentralregierung um das Öl von Kirkuk, was kürzlich zum Einmarsch der irakischen Armee geführt hat:
"Die kurdische Autonomieregierung ist nicht bereit, die Öleinnahmen an die irakische Zentralregierung weiterzuleiten. Und auch die kurdische Bevölkerung bekommt von diesen Einnahmen nichts zu sehen. Die Frage ist also: Wer streicht die Ölgewinne ein? Wer versteckt das Geld – und wo?"
Das fragen sich zunehmend auch die Menschen in der Autonomieregion, die tagtäglich ihre Politiker in nagelneuen Geländewagen durch die Straßen brausen sehen und beobachten wie in den Hochburgen der KDP und PUK immer neue Wolkenkratzer hochgezogen werden, die den Barzanis, Talabanis und den Führungskadern ihrer Parteien gehören.
Die Fahnen des Irak, Kurdistan und der Türkei wehen vor dem Hotel Divan Erbil im Irak
Die Fahnen des Irak, Kurdistan und der Türkei wehen vor dem Hotel Divan in Erbil.© picture alliance/dpa/Foto: Michael Kappeler
Im Schatten der neuen Immobilienprojekte betteln Kinder. Viele Eltern schaffen es nicht mehr, sie zur Schule zu schicken.
Schon lange habe niemand in seiner Einheit mehr Sold ausbezahlt bekommen, berichtet ein Peschmerga-Kämpfer am Telefon dem Menschenrechtler Fuad Zinadani. Zu Hause, bei den Familien, fehle Geld für das Nötigste.
"Seit drei Monaten gibt es Verspätungen, die haben keinen Lohn bekommen. Und natürlich, wenn ein Peschmerga pro Monat 300 Dollar Miete bezahlt – wie kann er leben?"

Kämpfe zwischen Peschmerga und schiitischen Milizen

Frust über fehlende Bezahlung und Führungsschwäche. Das Resultat: Die Peschmerga-Truppen, die in Tuz Khurmatu stationiert waren, warten irgendwann nicht länger auf Anweisungen ihrer Führung: Sie schlugen zurück, als Schiitenmilizen weiter kurdische Zivilisten misshandelten. Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten blutige Kämpfe.
Wer Anfang des Jahres durch das Stadtzentrum fährt, sieht viele Zerstörungen entlang der Straßen. Im Basarviertel sind in ganzen Straßenzügen zu beiden Seiten die Gebäude ausgebrannt und ausgeweidet. Von einigen Häusern sind nur noch die Gestänge der Eisenträger übrig. Auch Privathäuser wurden von MG-Schüssen oder Granatwerfern getroffen. Wir stoppen vor einem, dessen Außenmauern verkohlt sind und in dessen Vorhof sich Trümmer auftürmen. Hier wurde ein Zwölfjähriger von einer Mörsergranate getroffen,
"Hier kam ein Mörser von Hascht al Schaabi. Dieser Tank war voller Öl. Und getroffen. Und das Kind war unten und das Haus verbrannt, infolge dieser Verbrennungen kam das Kind ums Leben."
Der Onkel des getöteten Jungen kommt aus dem zerstörten Haus.
"Als die Mörsergranate den Öltank traf, war das Kind auf dieser Außentoilette, verschlossen mit einer Plastiktür. Wir wussten nicht, dass er sich dort aufhielt. Wir sind zuerst aufs Dach gelaufen, um die Kinder zu retten, aber dort war er nicht, sondern war schon unten und brannte. Er kam aus der Toilette und dann sahen wir, was los war. Die Explosion des Öltanks hat auch die Gasflaschen in die Luft gesprengt, es gab ein starkes Feuer. Der Junge ist an seinen Verbrennungen gestorben."

Kurden bleiben noch lange Volk ohne Staat

Durch die Angriffe auf Kurden durch die schiitischen Milizen und den Einmarsch der irakischen Armee in Kirkuk – sehen viele Kurden in Tuz Khurmatu und der gesamten Provinz Kirkuk keine Zukunft mehr für sich. 200 kurdische Familien sind laut UNO aus Tuz Khurmatu geflohen. In der gesamten Provinz Kirkuk verließen laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR 61.200 Menschen ihre Wohngebiete. Einige kehrten nach dem Abflauen der Kämpfe wieder zurück, wie viele ist noch unklar.
So hat der Kampf gegen die IS-Terrormiliz den kurdischen Zivilisten am Ende wohl wenig gebracht. Keine Unabhängigkeit vom Irak. Viel Leid durch die Vertreibung erst durch die IS-Kämpfer und nun durch die schiitischen Hilfstruppen der irakischen Armee. Und solange die politische Führung der irakischen Kurden vor allem an Wolkenkratzer und eigene Geschäfte denkt, werden die Kurden noch lange ein Volk ohne Staat bleiben. Auch, weil internationale Unterstützung fehlt.
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