"Der Tourismus da seinen Einfluss gehabt"

Lars Frühsorge im Gespräch mit Ulrike Timm · 21.12.2012
Die Maya selbst hätten erst vor wenigen Jahren begonnen, das Datum 2012 als Zeitenwende aufzufassen, sagt der Lateinamerikanist Lars Frühwald. Rucksackreisende, die in Guatemala Kontakt zu Schamanen suchten, hätten die Erinnerung an den Maya-Kalender neu geweckt.
Ulrike Timm: Inzwischen rechnen auch eingefleischte Esoteriker damit, dass sich der Weltuntergang verspätet. Und die Astronomen etwa haben den Untergang unseres Sonnensystems ja auch erst für in ein paar Milliarden Jahren errechnet, es sei denn, der Mensch macht seiner Erde höchstselbst den Gar aus. Unsere Reihe "Apokalypse – Lust am Untergang" geht heute ins Finale und an den Ort der Prophezeiung des Maya-Kalenders, nach Mexiko. Dort werden die großen anstehenden Veränderungen schon mal vorab geprobt und gefeiert.

Jürgen Metzler über Esoteriker, die nicht nur den Weltuntergang, sondern vor allem die Zeitenwende feiern.

Und am Telefon ist jetzt der Lateinamerikanist Lars Frühsorge. Schönen guten Morgen, Herr Frühsorge.

Lars Frühsorge: Guten Morgen.

Timm: Ist es ketzerisch, zu sagen, etwas Besseres als die Story vom Weltuntergang hätte den Maya gar nicht passieren können?

Frühsorge: Es ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber es ist schon eine Tatsache, dass die Maya sehr stark profitieren können von diesem Datum.

Timm: Inwiefern?

Frühsorge: Es ist in allererster Linie einmal die Tourismusindustrie, die natürlich sehr stark angekurbelt wurde in diesem Jahr, die in geringem Maße auch Geld in die Maya-Gemeinden, ja, fließen lässt. Vor allem ist es aber die mediale Aufmerksamkeit, die es den Maya heute also erlaubt, sich an eine größere Öffentlichkeit zu wenden und auf ihre aktuellen sozialen, politischen, ökologischen Probleme hinzuweisen, mit denen sie nach wie vor zu kämpfen haben.

Timm: Welche sind denn das vor allem?

Frühsorge: Nun, die Maya sind nach wie vor eine relativ marginalisierte Bevölkerung, die sich zudem auf verschiedene Länder verteilt und nicht eine geschlossenen Nation oder ethnische Gruppe ist. Wir reden von 30 verschiedenen Maya-Sprachen. Die Menschen sind überwiegend eine bäuerliche Bevölkerung. In Mexiko machen Indigene etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus, im Nachbarland Guatemala ungefähr die Hälfte. Aber diese Menschen leben überwiegend unterhalb der Armutsgrenze, im Fall Guatemalas schafft noch nicht einmal die Hälfte der Maya überhaupt einen Grundschulabschluss. Und dementsprechend, ja, ist es um viele dieser Orte nicht sehr gut bestellt, wirtschaftlich gesehen.

Timm: Haben denn die Maya in Lateinamerika "nur" das Los der Minderheit oder zusätzlich noch den Status der unterentwickelten Ureinwohner, der es ihnen so schwer macht?

Frühsorge: Es kommt beides dazu. Es hat also lange Zeit, und dieser Gedanke wirkt auch heute noch nach, die Idee gegeben, dass praktisch nur die weißen Lateinamerikaner in irgendeiner Form positiv die Entwicklung Lateinamerikas in wirtschaftlicher, in sozialer Hinsicht bewirken können. Und lange Zeit hat nationale Politik darauf abgezielt, indigene Kulturen in irgendeiner Form zu beenden, diese Menschen zu integrieren in den Nationalstaat, um so, der Entwicklung des Landes nicht mehr im Weg zu stehen.

Timm: Herr Frühsorge, kennen eigentlich die sechs Millionen Maya, die so über Lateinamerika verteilt leben, ihren uralten Kalender selbst?

Frühsorge: Der Kalender ist ja jahrhundertelang nach Ankunft der Spanier nur mündlich überliefert worden. Es ist sehr, sehr viel Wissen verloren gegangen. Konkret die lange Zählung, auf die sich dieses ganze 2012-Phänomen bezieht, ist sogar schon vor Ankunft der Europäer in Vergessenheit geraten. Und es ist eigentlich erst in den 90er-Jahren so gewesen, dass dieses Wissen von Wissenschaftlern wieder an die Maya herangetragen wurde. Und konkret dieses Datum 2012 als ein neues Zeitalter, als eine Zeitenwende, das konnte ich während meiner eigenen Forschungen beobachten, ist etwas, was vielleicht 2006, 2007 ganz, ganz langsam in diesen Orten ankam.

Timm: Also, Sie haben den Maya von ihrer Zeitenwende erzählt und die Maya waren ganz überrascht davon?

Frühsorge: In der Tat. Es ist ursprünglich tatsächlich so gewesen, dass das mehr Gerüchte waren, da wäre irgendetwas und man könnte sich das nicht so vorstellen. Es sind nicht nur die Forscher, die dieses Datum popularisiert haben, sondern viel, viel stärker hat der Tourismus da einen Einfluss gehabt. Es gibt also seit den 60er-Jahren einen sehr stark esoterisch orientierten Tourismus, also Rucksackreisende, die zum Beispiel nach Guatemala kommen und dort aktiv Kontakt mit Maya-Schamanen suchen, also den Menschen, die heute diesen Kalender noch praktizieren und die in den letzten Jahren immer wieder natürlich dieses Datum, den 21. Dezember auf den Tisch gebracht haben. Und irgendwann ist bei den Maya das Bewusstsein entstanden, dass man aus diesem Datum etwas machen kann und dass man auf diese bohrenden Fragen eine Antwort finden muss. Und so haben sie sich dieses Datum zu eigen gemacht.

Timm: Zugleich berichtete unser Korrespondent eben davon, dass es tatsächlich ein großes Fest heute gibt bei den Maya. Fest ist ja auch viel schöner als Weltuntergang – aber was bedeutet denn diese Zeitenwende für das Selbstverständnis der Maya eigentlich?

Frühsorge: Für die Maya ist unsere Welt eigentlich in Zyklen eingeteilt, und wenn es jetzt ein Übergang von einer Welt zur anderen ist, dann ist das nicht so dramatisch, wie das für uns klingt, sondern es ist einfach so, dass etwas endet, aber auch etwas Neues anfängt. Und die Maya sind nicht so Menschen, die eine ganz passive Vorstellung vom Schicksal haben wie in vielen christlichen Gemeinschaften, sondern die eher denken: Es gibt vielleicht eine vorbestimmte Ordnung, aber es ist die Aufgabe des Menschen, diese zu erkennen und diesen Weg auch aktiv zu beschreiten. Also in diesem Sinne ist es eher ein Datum des Aufbruchs für sie. Ein Datum, wo sie sagen, wir blicken zurück auf unsere Vorfahren, das, was also in der Vergangenheit erreicht wurde, was oft verloren gegangen ist. Wir blicken aber auch in die Zukunft und fragen uns, was müssen wir, was muss die Menschheit tun, um den aktuellen Herausforderungen vom Klimawandel bis zur Globalisierung der Wirtschaft, um mit all dem klarzukommen.

Timm: Aber so ein Maya-Zukunftsprogramm für die Zeitenwende gibt es nicht?

Frühsorge: Ganz konkret ist das nicht. Es ist mehr, dass sich das in mehr allgemeiner Art und Weise artikuliert oder dass auch einzelne Gemeinden ganz konkrete, lokale Probleme ansprechen. Probleme mit multinationalen Konzernen, die also Bergbau betreiben, Maya-Gemeinden, die umgesiedelt oder niedergebrannt wurden, damit man dort Biokraftstoff produzieren kann, Dinge in der Art.

Timm: Es gibt aber, und darüber habe ich schon gestaunt, in Guatemala so etwas wie, ich sag mal, spezielle Regierungsschamanen, sprich einen spirituellen Beraterstab der Maya für die guatemaltekische Regierung. Was macht denn dieser Beraterstab und wie wichtig ist der?

Frühsorge: Das ist also ein Repräsentationsorgan, was keinen direkten politischen Einfluss hat. Es hat in Guatemala einen sehr, sehr schlimmen Bürgerkrieg gegeben, in dem 200.000 Menschen gestorben sind, überwiegend Maya. Und dieser Bürgerkrieg ist auch von der UN als ein Versuch eines Genozids an den Maya bewertet worden. Und seit dem Friedensschluss 1996 gibt es in Guatemala Bestrebungen, die Maya-Kultur anzuerkennen, sie in der Verfassung zu erwähnen und irgendwie da zu einem multikulturellen Land aufzusteigen in irgendeiner Form. Und das sind Versuche, religiöser Freiheit da Ausdruck zu verleihen. Es gibt seit 2002 beispielsweise Gesetze, die es den Maya erlauben, diese archäologischen Stätten aufzusuchen, dort Rituale durchzuführen. Und so ist den Maya möglich, ihre Religion heute wieder freier auszuleben.

Timm: Das heißt, so ein spiritueller Beraterstab der Maya in der Regierung nutzt tatsächlich auch den Ureinwohnern oder den Nachkommen der Ureinwohner, und nicht nur dem Tourismusministerium als Plakat?

Frühsorge: In der Tat. Es sind vor allen Dingen religiöse Interessen, die dort vertreten werden. Es ist natürlich auch so, dass mit diesen Ruinenstätten und den damit verbundenen Einnahmen aus dem Tourismus gewisse wirtschaftliche Faktoren betroffen sind. Es ist also schon ein überschaubares Feld, wo dieser Beraterstab eine Funktion hat, aber der kann nicht im großen Stil die nationale Politik beeinflussen.

Timm: Herr Frühsorge, was geschieht mit all unseren schönen Geschichten und Ideen von morgen an?

Frühsorge: Das ist die große Frage. Es gibt viele Menschen, die auch gesagt haben: Was machen sich Wissenschaftler überhaupt die Mühe, hier Pressearbeit zu betreiben? Es ist ja mehr der Sensationismus, der in irgendeiner Form dieses Interesse generiert. Ich persönlich habe schon die Hoffnung und ich habe sehr viele Vorträge in diesem Jahr gehalten und bin da sehr optimistisch, dass ich es geschafft habe, eine Begeisterung, ein Interesse an der Maya-Kultur, auch eine Sensibilität für die Probleme der heutigen Bevölkerung zu wecken. Und ich hoffe schon, dass das auch über dieses Datum hinausreicht. Wenn also die esoterischen Bücher verramscht werden, dass da trotzdem ein Interesse an der Kultur vielleicht bleibt.

Timm: Das wünsche ich Ihnen, und den Mayas auch! Lars Frühsorge war das, der Lateinamerikanist. Vielen Dank für das Gespräch – und wenn das noch klappen sollte mit dem Weltuntergang, dann nimmt ihn unser abendliches Kulturmagazin "Fazit" ganz zuverlässig mit. "Fazit" beginnt nämlich heute erst ausnahmsweise um Mitternacht, denn zuvor überträgt Deutschlandradio Kultur aus Dresden das "Konzert zum Ende der Zeit" mit musikalischer Live-Schaltung nach Mexiko. Wir sind also für alles gewappnet.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Programmhinweis:

Apokalypse Now - Der Maya-Kalender und die Lust am Untergang
Reihe im Radiofeuilleton
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