"Der Tod ist eine Transformation"

Von Bernd Sobolla · 07.05.2013
Der Amerikaner Luther Price hat eines der ungewöhnlichsten Gesamtwerke im Experimentalfilm geschaffen. Bekannt ist er unter anderem für seine emotional intensiven Super-8-Filme, die teils biografisch geprägt sind.
Die Musik erinnert ein wenig an einen Thriller von Alfred Hitchcock, die Stimme von Luther Prices Mutter wiederholt sich immer wieder und spricht von einem Boot, das ihr Mann nicht kaufen sollte. Dazu sieht man einen Küchentisch mit Donuts, einen sperrigen Kühlschrank, den schlafenden Vater im Bett, dann Kinderfotos von Luther und seinen Geschwistern. Und gelegentlich durchbrechen angsterfüllte Schreie die melancholisch raue Stimmung. In dem Super-8-Film "Home" hat Luther Price seine Kindheit rekonstruiert: Das Leben in einer Arbeiterfamilie in einem Vorort von Boston. Seit seiner Kindheit wollte der heute 50-jährige Price Künstler werden und studierte zuerst Bildhauerei.

"Es war nicht so, dass ich zu einem anderen Medium gewechselt wäre. Film ist für mich ohnehin wie Bildhauerei. Da gibt es keinen Unterschied. Als ich Kunst zu studieren begann, machte ich Videoaufnahmen von mir. Als ich dann aber eine Kamera nahm und Super-8 drehte, wurde mir klar, dass ich das weiter erforschen wollte. Das war etwa 1986."

In seinen frühen Filmen widmete sich Luther Price hauptsächlich seiner Familie. Dass er Künstler wurde, hat ihm wohl auch dabei geholfen, seine traumatischen familiären Erlebnisse zu verarbeiten: Seine Tante beging Selbstmord, seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder verfielen dem Alkohol, zudem wurden die Schwester, der Vater und die Mutter fast zeitgleich Mitte der 90er Jahre krebskrank und starben bald. Kurz darauf montierte Price Aufnahmen von seiner Mutter zu einem Film, der schlicht "Mother" heißt. Ein Werk, das in abwechselnden Einstellungen die Hände, das Kleid und das Gesicht der Mutter zeigt. Wobei die Musik des Films im Kontrast zur Trauer in ihrem Gesicht steht.

"Es gibt da diese Trauer. Das Filmmaterial wurde gedreht, bevor sie krank war. Ich bat sie einfach, sich in den Garten zu setzen. Aber es war, als ob sie wüsste, dass ihr etwas Schlimmes bevorstand."

Vielleicht sind es auch diese Todesumstände, dass Luther Price nur mit Filmmaterial arbeitet, das er zuvor zerkratzt oder verfärbt oder dessen Perforation er versetzt hat. Zuweilen vergräbt er das Filmmaterial eine Zeit im Garten, bevor er es montiert. Es reizt ihn, die Bilder zu verformen, ihnen weitere Deutungsschichten zu geben.

"Alles scheint sich irgendwie um Vergänglichkeit zu drehen. Aber es gibt auch Erneuerung. Für mich ist Vergänglichkeit nichts Schlechtes. Es ist eine Transformation. Und der Tod ist auch eine Transformation. Ich liebe den Verbrennungsprozess beim Vergraben und die Schönheit, die sich daraus ergibt."

Sein bekanntestes Werk, "Sodom", schuf Luther Price 1994. Er nahm schmierige Gay-Pornofilme, lochte das Filmmaterial und montierte es zu einem 18-minütigen Streifen, zu einer sich ekstatisch windenden menschlichen Landschaft. In einer Zeit, in der das Thema Aids in der Öffentlichkeit hohe Wellen schlug, wurde er dafür zunächst von allen Seiten angegriffen. Ihm, einem Homosexuellen, wurde gar Homophobie vorgeworfen.

"Die Leute verbinden mich ganz eng mit "Sodom", und dass ich der böse Typ war, der nur über Sex und Fleisch reden wolle. Aber ich will viel mehr. Für mich gibt es viele Schichten."

Eigene Filmaufnahmen macht Luther Price schon lange nicht mehr. Er setzt ausschließlich gefundenes Material zusammen. Was auch damit zu tun hatte, dass Price weg von seiner Biografie wollte. Mit dem Found Footage thematisiert er heute eher gesellschaftliche Zustände: in "Nice Biscotts" zum Beispiel verarbeitet er Filmmaterial über ein Pflegeheim zu einer Bestandsaufnahme über Isolation. Und in "Shelly Winters" montiert er Interviews über häusliche Gewalt: Aussagen von betroffenen Frauen, prügelnden Ehemännern, Polizisten und Nachrichtensprechern. Wobei die Leinwand weiß bleibt. So drückt Price aus, dass die Frauen einfach nur gefangen sind.

""Ich schlug ihr ins Gesicht, und ihre Nase blutete. Sie ging ins Badezimmer. Ich sagte, sie solle den Mund halten, und dass eine blutende Nase keine große Sache sei. Ich sagte: "Halt den Mund!" Aber sie tat es nicht. Also hielt ich ihren Nacken fest und ihren Mund zu, bis sie aufhörte.""

Seit einigen Jahren arbeitet Luther Price als Professor im "Massachusetts College of Art and Design". Dort versucht er, seinen Studenten eines besonders zu vermitteln:

"Ich möchte, dass sie Film als materielle Sache verstehen und keine Angst davor haben. Er ist eine leere Vorlage. Film ist eine Möglichkeit, um ein Werk zu produzieren. Dabei geht es um Oberfläche und Tiefe. Film ist eine physische Sache, eine Konstruktion, um eine Art Choreographie von Bildern zu erschaffen. Und ich würde sehr gern die Leute animieren, sich selbst mit dem Medium zu erforschen."