Der Tod des Patriarchen

Von Kersten Knipp · 21.10.2011
Der in der Schweiz lebende libysche Schriftsteller Ibrahim al-Koni ging in seinem Roman "Das Herrscherkleid" der Frage nach, warum Gaddafi nicht von der Macht lassen mochte. Jetzt sei nicht ausgeschlossen, dass diejenigen die Macht in die Hand nehmen, die dafür am wenigsten geeignet sind.
Der Tyrann, so stellt es Ibrahim al Koni in seinem Roman "Das Herrscherkleid" dar, war mit dem Tyrannen verwachsen. Das Herrscherkleid, das er vor Jahren angelegt hatte, hatte sich über die Jahre mit seiner Haut verwoben. Trennen konnte er sich von ihm nur noch um den Preis des eigenen Lebens. Aus der Rückschau mutet Al-Konis im arabischen Original vor fünf Jahren erschienener Roman geradezu prophetisch an:

"Die Liebe zur Macht. Das ist das ganz Wesentliche: die Macht um ihrer selbst willen. Macht bedeutet Existenz, sie gibt denen, die sie haben, das Gefühl, am Leben zu sein. Sie gibt ihnen Sinn, sie ist der Zweck ihres Lebens. Deshalb tendiert ein Machthaber, wie ich ihn beschreibe, auch zur Diktatur.

Niemand kann sie ihm streitig machen. Gesetze scheren ihn nicht, demokratische Verfahren auch nicht. Es geht ihm einzig und allein um die Macht. Sie ist für ihn das schöpferische Prinzip. Aber es ist kein ethisches Prinzip. Ein Herrscher wie dieser strebt einzig und allein nach der Macht."

So porträtiert der Roman vor allem das Innenleben des absoluten Fürsten. Es klingt merkwürdig, aber Politik interessierte diesen Menschen eher am Rande. Ihn trieb etwas anderes: die Macht an sich, der Genuss, sie auszuüben.
"Das Geheimnis von Gaddafis langer Herrschaft liegt in dem Umstand begründet, dass die Libyer tolerant und geduldig sind. Lange Zeit hat die Bevölkerung geglaubt, die Dinge würden sich von selbst ändern."

Doch wie mag die Zukunft Libyens aussehen? Wird das Land eine demokratische Ordnung aufbauen. Ibrahim Al-Koni ist nicht allzu optimistisch. Er lebt zwar seit langer Zeit im Exil, hat Libyen aber regelmäßig besucht. Er kennt viele der Akteure, die jetzt den Verlauf der Revolution bestimmen. Ebenso kennt er auch viele andere Exilanten, die in den letzten Monaten, als sich Gaddafis Ende abzeichnete, nach Libyen zurückkehrten. Eben darum schaut er recht verhalten in die Zukunft. Denn nicht jeder, der ein Gegner Gaddafis ist, ist darum automatisch ein Demokrat oder will tatsächlich ein neues, freiheitliches und rechtstaatliches Libyen aufbauen.

"Das wesentliche Problem für Libyen nach Gaddafi besteht in den verschiedenen Gruppen, die nun um die Herrschaft ringen. Sie waren schon während des Kampfes gegen Gaddafi selbst zerstritten. Diesen Zwist zu überwinden, dürfte die eigentliche Herausforderung der Zukunft sein.

Viele haben das Land zwar unter Gaddafis Herrschaft verlassen. Aber dass sie jetzt zurückgekommen sind, heißt nicht unbedingt, dass sie für Gerechtigkeit und die Revolution eintreten. Sie sind teils aus sehr eigennützigen Gründen zurückgekommen."

So porträtiert Al-Koni in seinem Roman "Das Herrscherkleid" zwar in erster Linie einen politischen Potentaten. Aber er liest sich auch als Kommentar zur möglichen Zukunft des Landes. Denn manche derer, die Gaddafi bekämpft haben, unterscheiden sich nicht grundlegend von ihm. Sie sind genauso machtverliebt, wie er es war. Unter den im Westen beklatschten Revolutionären, so warnt er, sind zum Teil sehr fragwürdige Gestalten.

"Diejenigen, die unter Gaddafi am meisten gelitten hatten, sind diejenigen Libyer, die im Land geblieben sind. Sicher, es gab viele, die gute Gründe hatten, das Land zu verlassen. Aber diese Leute haben viel weniger gelitten als diejenigen, die geblieben sind.

Die Exilanten versuchen nun, die Politik zu bestimmen. Viele von denen, die die Revolution anstießen, haben sich in deren Verlauf zurückgezogen. Ebenso gibt es Leute, die vorher mit Gaddafi zusammengearbeitet haben und jetzt im Rahmen der nationalen Bewegung von Neuem an die Macht streben."

Für die libysche Revolution, die mit Gaddafis Tod gerade eine entscheidende Etappe genommen hat, könnte das bedeuten, dass sie nun das tut, was schon so viele Revolutionen getan haben: Sie frisst ihre eigenen Kinder. Nicht ausgeschlossen jedenfalls meint Ibrahim Al-Koni, dass nun diejenigen die Macht in die Hand nehmen, die dafür am wenigsten geeignet sind.

"Ich habe die Befürchtung, dass gerade die, die für den Wandel aus idealistischen Gründen eingetreten sind, am wenigsten von der Revolution haben werden. Ich fürchte, diese Leute werden von denjenigen verdrängt, die eigentlich nichts Entscheidendes getan haben, sondern lediglich Phrasen und Schlagwörter verbreitet haben."

Gaddafi ist tot. Aber dass für Libyen nun paradiesische Zeiten anbrechen, ist alles andere als ausgemacht. Sicher, einen so altertümlichen Diktatoren wie Gaddafi, wird das Land nicht mehr ertragen müssen. Heute stehen smartere Typen bereit. Aber ihre Ziele, warnt Al-Koni, dürften sich womöglich von denen des verstorbenen Machthabers kaum unterscheiden.

Die Macht ist verführerisch. Es kommt darum alles darauf an, den Zugang zu ihr in geordnete Bahnen zu lenken. Der Zauber der Macht muss gebrochen werden.
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