"Der Stein" im Residenztheater

Nazi-Täter und ihre Lebenslügen

Schauspielerin Hedi Kriegeskotte als Witha in Marius von Mayenburgs "Der Stein"
Schauspielerin Hedi Kriegeskotte als Witha in Marius von Mayenburgs "Der Stein" © © Matthias Horn
Von Christoph Leibold · 18.12.2014
In Marius von Mayenburgs "Der Stein" geht es um das Verdrängen und Vertuschen von Missetaten während der NS-Zeit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Doch der - längst mehrheitsfähigen - Verurteilung von Nazi-Lügen fügt das Stück keine neuen Aspekte hinzu.
Alles dreht sich um ein Haus, und das Haus dreht sich auf der Bühne. Ein dreistöckiger Rohbau, weiß wie ein Blatt Papier, das noch beschrieben werden muss, und leer, Raum bietend für Geschichten – für die Familiengeschichte von Witha und Wolfgang, die Witha später mit ihrer Tochter Heidrun umschreiben wird.
1935 kaufen Wolfgang und Witha das Haus, eine Dresdner Villa, von einer jüdischen Familie, die emigrieren muss. Was die Käufer schamlos dazu ausnutzen, den Preis gehörig zu drücken. Kurz nach dem Kauf werfen Unbekannte einen Stein durch eine der Fensterscheiben. Offenbar haben die Nazi-Nachbarn noch nicht mitbekommen, dass gar keine Juden mehr auf dem Anwesen zu Hause sind.
Familiengeschichte wird uminterpretiert
Knapp 60 Jahre später, 1993 – da ist Wolfgang längst tot (der stramme Nazi hat sich nach der deutschen Kapitulation die Kugel gegeben) und Witha eine Greisin – zieht die Familie zurück in die Villa. Und wieder müssen andere weichen. Diesmal trifft es ehemalige DDR-Bürger, die während der deutschen Teilung darin lebten. Den Stein, der einst durchs Fenster flog, hat die Familie inzwischen uminterpretiert. Er ist nun Beweisstück einer heldenhaften Familienhistorie. Wolfgang, so die lügnerische Lesart, sollte damit erschlagen werden, weil er 1935 einer jüdischen Familie zur Flucht verhalf.
Marius von Mayenburg hat sein Stück als Zeitpuzzle konstruiert, das von Szene zu Szene zwischen 1935 und 1993 sowie einschneidenden Jahren dazwischen (u.a. 1945) hin- und herspringt. Leider handelt es sich dabei um eines jener Puzzle, bei denen es völlig ausreicht, nur wenige Teile zusammenzufügen, um ein nahezu komplettes Bild vom Ganzen zu bekommen. Die Lebenslüge der Täter, die sich zu Opfern und Widerständlern stilisieren, ist schnell durchschaut.
Dass Vergessen, Verdrängen und Vertuschen gängige Mechanismen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft waren, ist unbestritten. Erzählt allerdings wurde davon, auch im Theater, schon oft. Oft auch spannender als bei Marius von Mayenburg.
Zeitwechsel werden auf Bühne transparent
Sarantos Zervoulakos ist ein Regisseur, der meist sehr genau in die Stücke hineinhorcht, die er inszeniert, und dabei Aspekte entdeckt, die anderen entgehen. Mayenburgs "Der Stein" vermag aber auch er keine interessanten Facetten abzugewinnen. Erkennbar ist der Versuch, dem Drehbuchrealismus der Dialoge etwas entgegen zu setzen, und das Theater in seinen Mitteln transparent zu machen. Die Requisiten liegen am Bühnenrand auf Tischen und Teewagen bereit, wo die Schauspieler sich bedienen. Die Kostüme, die sie wechseln, um den Wechsel der Zeitebenen zu veranschaulichen, hängen auf einer Kleiderstange, die Darsteller ziehen sich zwischen den Szenen vor den Augen der Zuschauer um.
Danach aber lassen sie sich von den konventionellen Kostümen – Nazi-Uniform, FDJ-Hemd etc. – in einen eher biederen Psychorealismus zwängen. Schauspielerisch ist das solide, aber alles andere als aufregend. So wie auch Mayenburgs Stück gewiss kein Aufreger mehr ist, kein Stein des Anstoßes. Die Verurteilung von Nazi-Lügen ist in unserer Gesellschaft – zum Glück – mehrheitsfähig. Als Zuschauer kann man diesen Theaterabend also am Ende nur abnicken. Insofern man nicht vorher vor Langeweile eingenickt ist.
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