Der Soldat als "Bürger in Uniform"

Jürgen Rose im Gespräch mit Ute Welty · 22.01.2011
Ein Grundsatz der Bundeswehrführung ist es, dass Vorgesetzte bei ihren Befehlen zwischen den individuellen Rechten des freien Bürgers und den militärischen Pflichten des Soldaten abwägen sollen. Nach Ansicht des Oberstleutnant im Ruhestand, Jürgen Rose, tut sich die deutsche Armee jedoch schwer damit.
Ute Welty: Drei Fälle, eine Ursache? Die Bundeswehr steht derzeit in der öffentlichen Kritik. Es geht um geöffnete Briefe an deutsche Soldaten in Afghanistan, um einen mysteriösen Schießunfall und womöglich um Meuterei auf dem Segelschulschiff Gorch Fock. Verteidigungsminister zu Guttenberg kündigte Klärung und Konsequenzen an.

O-Ton Karl-Theodor zu Guttenberg: "Konsequenzen werden immer dann gezogen, wenn man Ergebnisse von Aufklärungen hat. Und diese Aufklärungen nehmen wir derzeit vor, diese Aufklärung wird auch rückhaltlos vorgenommen, das gilt für die Gorch Fock, das gilt für den Soldaten, das gilt für jeden Fall und für jeden Vorwurf, der mich erreicht. Und wenn mich Vorwürfe erreichen, müssen sie aufgeklärt werden, das wird in der Bundeswehr immer wieder der Fall sein, und dann müssen sie rückhaltlos und schonungslos aufgeklärt werden. Und dann kann es auch harte Konsequenzen geben."

Welty: Und genau das ist inzwischen passiert: Der Kommandeur der Gorch Fock ist abgesetzt worden. Was das heißt, das bespreche ich jetzt mit Jürgen Rose, inzwischen Oberstleutnant im Ruhestand, aber immer noch Diplompädagoge und Vorstandsmitglied des bundeswehr-kritischen Arbeitskreises Darmstädter Signal. Guten Morgen!

Jürgen Rose: Guten Morgen!

Welty: Was schließen Sie denn aus dieser jüngsten Entwicklung, daraus, wie der zuständige Minister jetzt dann doch reagiert hat?

Rose: Ja das ist schwer zu sagen. Auf der einen Seite könnte natürlich der Eindruck naheliegen, dass da jetzt ganz schnell mal ein Bauernopfer den Medien zum Fraß vorgeworfen wird, um die Handlungsfähigkeit des Ministers zu demonstrieren. Allerdings könnte es natürlich auch sein, dass tatsächlich handfeste Gründe dafür existieren, dass man jetzt den Kommandanten der Gorch Fock abgesetzt hat. Man wird das sicherlich nicht ohne Grund gemacht haben, denn den Medienberichten zufolge scheint es schon so gewesen zu sein, dass dort nicht entsprechend den Grundsätzen der Inneren Führung mit den Auszubildenden umgegangen worden zu sein scheint.

Welty: Das scheint ja allen drei beschriebenen Fällen gemeinsam zu sein, dass es sich um Vorkommnisse handelt, die das Prinzip der Inneren Führung der Bundeswehr eigentlich verhindern will, das eben abwägt zwischen Befehlgehorsam und dem Bürger in Uniform, der nicht den Helm aufsetzt und das Hirn abgibt. Hat das Prinzip versagt oder seine Umsetzung?

Rose: Nein, das Prinzip ist natürlich nach wie vor gültig, und ich hoffe auch, dass das von dem General und Friedensforscher Wolf Graf von Baudissin formulierte Prinzip auch weiterhin in der Bundeswehr Gültigkeit haben wird. Die Verantwortlichen reklamieren das jedenfalls ständig. Aber es ist natürlich so, in einer riesigen Institution, wo Tausende von Menschen handeln, machen Menschen auch Fehler und verstoßen gegen solche Prinzipien. Das ist bei der Bundeswehr nicht anders als in übrigen gesellschaftlichen Bereichen auch.

Welty: Aber ist der denkende Soldat nicht der fleischgewordene Widerspruch? Eine Armee kann doch ohne Befehl und Gehorsam nicht funktionieren?

Rose: Ja, böse Zungen behaupten ja ohnehin, dass es sich bei dem Wort Soldat um eine Abkürzung handelt, die ausgesprochen lautet: Soll ohne langes Denken alles tun. Aber das ist natürlich eher sarkastisch gemeint.

Welty: Aber in jedem Sarkasmus steckt doch ein wahrer Kern?

Rose: In der Tat. Das unterscheidet den Soldaten vom zivilen Mitarbeiter einer Firma, der Soldat ist in der Tat – und zwar von Gesetzes wegen – zum Gehorsam verpflichtet, allerdings nicht zum grenzenlosen Gehorsam. Ja, es gibt sogar eine Pflicht zu Ungehorsam, auch im Soldatengesetz formuliert, und zwar dort, wo Befehle gegeben werden, die ganz klar gegen Gesetze und Völkerrecht verstoßen. Und Befehle beispielsweise, die gegen die Menschenwürde verstoßen, die brauchen gar nicht befolgt zu werden, ebenso wie Befehle, die keinen dienstlichen Zweck haben.

Welty: Welche Erfahrungen haben Sie als Oberstleutnant mit dem Staatsbürger in Uniform gemacht, mit der Inneren Führung? Denn Sie waren ja sowohl Befehlsempfänger als auch jemand, der Befehle erteilt hat.

Rose: Es gibt Höhen und Tiefen, auch in meiner Biografie, was die Umsetzung des Themas Innere Führung betrifft. Ich habe da sowohl positive Erfahrungen gemacht in meinen über 30 Jahren bei der Bundeswehr in der Gestalt, dass ich Vorgesetzte hatte, die das sehr gut umgesetzt und vorgelebt haben; ich habe allerdings auch zutiefst frustrierende Erlebnisse gehab, die nicht zuletzt darin mündeten, dass man mich aus der Bundeswehr hinausgemobbt hat, nachdem ich doch sehr deutlich von meinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht habe.

Welty: Könnten Sie das noch mal eben genauer erklären für diejenigen, die jetzt Ihre Biografie nicht so ganz auf dem Schirm haben?

Rose: Nun ja, also im Jahre 2007, als meines Erachtens die Bundesregierung unter Bruch von Völkerrecht und Grundgesetz Tornados nach Afghanistan entsandt hat - mittlerweile sind die auch schon wieder abgezogen worden –, habe ich mich geweigert, die dafür logistische Unterstützung zu erbringen. Ich habe dann auch ein Buch geschrieben, "Ernstfall Angriffskrieg", wo ich mich mit der Kriegspolitik, der Angriffskriegspolitik der Bundesregierung seit dem Ende der 90er-Jahre intensiv auseinandergesetzt habe. Und das hat natürlich keine eitle Freude ausgelöst und letztlich dazu geführt, dass man mich doch vorzeitig in den Ruhestand abgeschoben hat mit der Begründung, bei mir läge eine Anpassungsstörung vor. Also wer nicht bedingungslos bereit ist in Angriffskriege zu ziehen, der wird eben abgestraft und rausgemobbt aus der Institution.

Welty: Zurück zu den aktuellen Fällen: Die sind wie gesagt alle noch nicht endgültig geklärt. Was aber klar ist, ist, dass die öffentliche Empörungsmaschinerie vor allem den Verteidigungsminister ins Visier nimmt. – Ein erprobtes Verfahren, aber ist es auch ein probates Verfahren?

Rose: Nun ja, man baut eine Menge Druck in den Medien auf, der natürlich dazu führt, dass unter Umständen nicht die Zeit besteht oder die Zeit knapp wird, vernünftig zu ermitteln und dann auch angemessen zu reagieren. Das tut der Sache vielleicht nicht immer gut. Auf der anderen Seite fordert natürlich die Politik, die Karl-Theodor zu Guttenberg in den letzten Monaten betrieben hat, vielleicht sogar das auch ein Stück weit heraus. Also diese sozusagen unantastbare Lichtgestalt, als die er da gehandelt wurde auch in den Medien, die reizt natürlich dann in dem Moment auch umso mehr dazu, an dieser Gestalt zu kratzen, wenn es da Anlass zu geben scheint.

Welty: Jürgen Rose vom bundeswehr-kritischen Arbeitskreis Darmstädter Signal, ich danke für die Einordnung!

Rose: Ja, gerne!