Der Skandal geht weiter

Nach Fipronil nun Amitraz

Legehennen stehen am 10.09.2014 in einem Betrieb für die Produktion von Eiern aus Freilandhaltung in Bergen im Landkreis Celle (Niedersachsen).
Im Skandal um mit Fipronil belastete Eier geriet ein weiteres Milbengift ins Visier der Ermittler. © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Von Udo Pollmer · 25.08.2017
Nicht nur Fipronil hat unsere Eier vergiftet. Auch das Milbengift Amitraz wurde gefunden - in Eiern und Bio-Honig. Es gilt als "bienengefährlich" und soll "Sprachstörungen" hervorrufen. Da lachen doch die Hühner, findet unser Lebensmittelchemiker.
Kaum beginnt sich die Aufregung um‘s Milbengift im Ei zu legen, kommen neue krumme Touren ans Licht. Den Fipronilskandal hatte ein Stallreinigungs-Unternehmen ausgelöst, das vorgab, den Vogelmilben in den Hühnerställen mit homöopathischen Kräuterauszügen den Garaus zu machen. Natürlich ist kein Hühnerhalter, auch kein biologischer, so naiv zu glauben, dass sich die lichtscheuen Blutsauger durch Versprühen von verdünntem Kräutertee abmurksen lassen, egal wie widerlich dieser auch schmecken mag. Aber das geheimnisvolle Präparat wirkte einfach granatenmäßig. Wenn etwas hilft, die Hühner von ihren Plagegeistern zu befreien, dann greifen viele Halter dankbar zu – und stellen keine dummen Fragen.
Als die belgischen Behörden den Inhalt der aufgefundenen Kanister genauer analysierten, entdeckten sie in der vermeintlichen Homöopathie-Mixtur nicht nur Fipronil, sondern noch ein weiteres Milbengift namens Amitraz. Das ist bei Hühnern ebenso verboten, aber genauso wirksam. Wie bei Fipronil besteht jedoch eine Zulassung zur Bekämpfung von Zecken und Milben bei Hunden. Während der Tierhalter das Mittel dankbar seinem vierbeinigen Liebling verabreicht, warnen Qualitätsmedien wie die Internetseite der Zeit vor schlimmen Folgen wie "Sprachstörungen, niedrigem Blutdruck und Desorientierung". Nicht auszumalen, was Hunden und Hühnern dadurch alles droht. Chronische Bellstörungen oder kopfloses Gegacker? Da lachen doch die Hühner!

Der perfekte Freibrief für Pflanzenschutzmittel

Auch im Obstbau ist Amitraz geschätzt. Das Mittel schützt Kernobst-Plantagen vor dem Birnenblattsauger und vor Spinnmilben. Inzwischen ist es in der EU als Pflanzenschutzmittel verboten. Doch immer wieder wird Importobst mit Rückständen angetroffen. Allerdings sind die Beanstandungen rückläufig. Offenbar ist in den Erzeugerländern inzwischen bekannt, wie sich Rückstände nach der Ernte wieder entfernen lassen: Durch eine Behandlung mit Ozon verschwinden verdächtige Spuren. Und somit ist das der perfekte Freibrief für den gedankenlosen Einsatz von Pestiziden.
Das Milbengift wurde von den Zulassungsbehörden als "bienengefährlich" eingestuft, weshalb es nicht während der Blüte versprüht werden durfte. Laut Spiegel-Online ist Amitraz für Honigbienen sogar "in hohem Maße giftig".
Eine Honigbiene (Apis mellifera) auf der Blüte des Löwenzahn (Taraxacum). Sie sammelt dort Pollen und Nektar für ihr Volk. Kleinschmalkalden, Thüringen, Deutschland, Europa Datum: 16.05.2017 | Verwendung weltweit
Was von Amts wegen als "bienengefährlich" eingestuft wird, ist noch lange kein Bienengift, sagt Pollmer.© dpa
Doch das Mittel, das in den Gedankenwelten argloser Leser fleißige Immen sterben lässt, wird von unseren Imkern direkt in den Bienenstock gegeben: zur Bekämpfung von Milben. Sie hängen imprägnierte Streifen in ihre Beuten, damit die Bienen darauf hin- und herlaufen und so die für Milben tödliche Dosis aufnehmen. Was von Amts wegen als "bienengefährlich" eingestuft wird, ist noch lange kein Bienengift, es ist und bleibt ein Milbengift. Doch Umweltschützer verbreiten ungerührt, bereits Spuren seien für den drohenden Kollaps der Biene verantwortlich.

Nicht Pestizide sind schuld am Bienensterben

Die wichtigste Ursache des Bienensterbens sind nicht Pestizide, sondern die Varroamilbe. Über den Stich des Blutsaugers gelangen gefährliche Viren direkt in die Hämolymphe, also in das Blut der Biene. An diesen Infekten gehen viele Bienen ein. Einige Viren nisten sich im Nervensystem ein, die Opfer verlieren die Orientierung und verirren sich zu anderen Bienenvölkern, um auch sie zu infizieren. Imker, die regelmäßig die Varroa bekämpfen, verlieren praktisch keine Völker. Wir verdanken also den Erhalt der Bienenbestände einem "bienengiftigen" Pestizid, das in wesentlich höherer Dosis direkt in den Bienenstock kommt, als sich im ungünstigsten Fall auf einer Blüte befindet.
Bei Bio-Imkern ist Amitraz verboten. Schade, denn auch deren Bienen leiden unter der Varroa. Das Ende vom Lied: Auch in Bio-Honigen wird immer wieder Amitraz gefunden, gerade so wie Fipronil in Bio-Eiern. Schließlich ist es vernünftiger, die Bios behandeln ihre von Parasiten befallenen Schützlinge mit wirksamen Medikamenten, statt sie leiden oder gar krepieren zu lassen, nur damit die Kundschaft ihren Bio-Willen bekommt. Mahlzeit!
Literatur:
Anon: Weiterer Giftstoff in Desinfektionslösung entdeckt. Zeit-Onine vom 18. Aug. 2017
Anon: Weiterer Giftstoff in Desinfektionslösung entdeckt. Spiegel-Online vom 18. Aug. 2017
Wehrmann J: Öko-Test: diese drei Bio-Honig-Produkte sind ’sehr gut‘. Utopia vom 28. Okt. 2016
McBean C: A World Compendium – The Pesticide Manual. BCPC, Alton 2012
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Hardebusch B et al: Pflanzenschutzmittel und Organische Kontaminanten in Lebensmitteln tierischer Herkunft – Ergebnisse des Jahres 2012. CVUA Stuttgart, Bericht vom 7. Juni 2013
Aebischer K: «Den Imker des Vertrauens finden» Freiburger Nachrichten vom 16. Feb. 2017
Strub M: Naturreines Bienenwachs ein wichtiger Aspekt in der Apitherapie. Vortrag im Bildungszentrum Wallierhof am 4. Feb. 2017
Genersch E, Aubert M: Emerging and re-emerging viruses of the honey bee (Apis mellifera L.). Veterinary Research 2010; 41: e54
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