Der Siegeszug des "Bubikopfs"

Ein Symbol von Modernität und Emanzipation

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Tänzerinnen mit Bubikopf des Varieté “Luciano-Ballett”, ca. 1925.
Der "Bubikopf" war auch bei den Tänzerinnen des Varieté “Luciano-Ballett” angesagt. © akg images
Helga Lüdtke im Gespräch mit Shelly Kupferberg · 22.05.2021
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Frisuren machen Mode und die ist Ausdruck ihrer Zeit. Der "Bubikopf" stand in den 1920er-Jahren für ein neues weibliches Selbstbewusstsein. Dazu war er noch praktisch. Bei den Männern war er dadurch umso unbeliebter.
Shelly Kupferberg: Der "Bubikopf" war für großstädtische Frauen der Zwischenkriegszeit ein Symbol von Modernität und Emanzipation. In dieser Bedeutung rangierte er weit vor dem Auto, der Zigarette und dem Charleston-Kleid. Das kann in dem neuen Buch "Der Bubikopf. Männlicher Blick, weiblicher Eigen-Sinn" von Helga Lüdtke nachgelesen werden.
Wer den "Bubikopf" tatsächlich erfunden hat, darüber gibt es diverse Quellen. Wie und von wo kam dieser Haarschnitt in den 1920er-Jahren nach Deutschland?

Von Paris in die Welt

Helga Lüdtke: Der "Bubikopf" hatte seine Vorgänger, insofern war er nicht ganz neu. Allerdings war der Begriff "Bubikopf" neu. Zurück geht er in den 1920er-Jahren auf den "Coupe à la Garçonne" aus Paris. Paris war die Modeweltstadt und alle blickten dorthin, auch was die Haarmode anging. Gleichzeitig entwickelte sich der "Bubikopf" auch in den USA, in England …
Kupferberg: … in China, in Japan, in Mexiko, in Indien. So steht es in Ihrem Buch. Der Begriff "Bubikopf" stammt von dem Wort Bubenkopf. Da fragt man sich, warum war der "Bubikopf" so beliebt bei den Frauen?
Lüdtke: Er erwies sich als ungemein praktisch und vor allen Dingen auch zeitsparend, was die Haarwäsche anlangte. Die langen Haare zu trocknen und in Form zu bringen, war immer ein richtiges Unternehmen. Der "Bubikopf" wirkte verjüngend und man konnte ihn aus Preisgründen selbst herstellen. Frauen haben sich untereinander die Haare geschnitten – die Nachbarin, die Mutter, die Schwester, die Freundin. Manche haben auch selber zur Schere gegriffen.
Frauen hatten nach dem Ersten Weltkrieg das unglaubliche Bedürfnis, in der Öffentlichkeit gesehen zu werden und eine moderne Form des Lebens zu finden. Ich denke, es war auch – selbst wenn das unausgesprochen war – der Kampf gegen das Hoheitsgebiet des Mannes, dem das Frauenhaar bis dahin zugehörig war.
Es war ein Rütteln an den Machtstrukturen, an der männlichen Definitionsmacht, wie Frauen zu sehen sind, und an Weiblichkeitsbilder, die infrage gestellt wurden. Dabei spielte der "Bubikopf" eine enorm große Rolle, auch gegen den vehementen Widerstand von Männern – sei es der eigenen Familie, also Vater, Ehemann, Bruder und so weiter –, aber auch der Arbeitgeber und insgesamt der Gesellschaft. Es war ein Signum oder eine Chiffre, modern, modisch und selbstbestimmt zu sein. Frauen haben sich da ausprobiert.

Widerstand der Männerwelt

Kupferberg: Es gab eine Menge Widerstand - nicht nur von Männern. Auch unter Frauen gab es Debatten über den "Bubikopf". Für was genau stand er, warum war das so revolutionär, rebellisch oder eigensinnig?
Lüdtke: Es gibt keine "Bubikopf"-Bewegung. Frauen haben sich nicht untereinander solidarisiert, um etwas durchzusetzen. Sich die Haare abschneiden zu lassen, war immer eine sehr individuelle und persönliche Entscheidung. Das betraf natürlich auch die Konsequenzen.
Aus der Frauenbewegung, die in sich fraktioniert war, wurde sich zum Teil gegen den "Bubikopf", das kurze Kleid oder die Jazzmusik ausgesprochen. Doch das stand nicht im Vordergrund, der Frauenbewegung waren politische Ziele wichtig. Der "Bubikopf" lief als eine Ausdrucksform nebenher.
Zu dem Widerstand der Männer ist zu sagen, dass der "Bubikopf" als unethisch und unweiblich galt, denn langes Haar galt als Krone der Weiblichkeit. Den Frauen wurde deswegen Selbstverstümmelung vorgeworfen, übrigens auch von den Friseuren. Die Kirche hat den "Bubikopf" als gottlos angeprangert und Frauen mit kurz geschnittenen Haaren von den Sakramenten ausgeschlossen.
Die Nationalsozialisten haben ihn nach dem Motto, der "Bubikopf" kommt durch "verlauste Russinnen" nach Deutschland, als "undeutsch oder unpatriotisch" eingeordnet. Die nationalen Turnverbände haben mit dem Slogan "Arisch ist der Zopf – Jüdisch ist der Bubikopf" operiert und Frauen aus den Turngemeinden ausgeschlossen.

International beliebt

Kupferberg: Trotzdem hat sich der "Bubikopf" rasant durchgesetzt. Zuerst war er eher in der Avantgarde unter Künstlerinnen zu finden und später wirklich in der breiten Masse. Die Teilhabe am Luxus, an der Mobilität und neu gegründete Magazine trug diese Bilderwelt der Waren und Moden weit in die Gesellschaft hinein.
Sie schreiben auch vom Massenphänomen "Bubikopf" – zumindest in einer Metropole wie Berlin. In ländlichen Regionen kam der "Bubikopf" erst Anfang der 1930er-Jahre auf. Auch international war der "Bubikopf" eine beliebte Frisur außerhalb der Metropolen Europas, etwa in Mexiko, Indien, Japan, China. Wurde er denn in diesen Ländern ähnlich konnotiert und angefeindet?
Lüdtke: Darüber kann ich im Moment noch viel zu wenig sagen. Man kann das nicht eins zu eins miteinander vergleichen, weil die kulturellen Unterschiede enorm sind. Die politischen Zustände in den Ländern sind in den 1920er- und 1930er-Jahren auch nicht in allem vergleichbar. Die Kosmetikindustrie und die Modeindustrie hat natürlich dafür gesorgt, dass das Bild des "Modern Girls" überall verbreitet wurde, aber wie sich das für die Frauen angefühlt hat, darüber würde ich gern noch weiter forschen und schreiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Helga Lüdtke, Der Bubikopf. Männlicher Blick, weiblicher Eigen-Sinn
Wallstein Verlag 2021
304 Seiten, 24 Euro

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