"Der seltsame Fall des Benjamin Button"

28.01.2009
Basierend auf einer Kurzgeschichte von F. Sott Fitzgerald erzählt Regisseur David Fincher ein spiegelverkehrtes Leben: Ein Mann kommt kurz nach dem Ersten Weltkrieg als 80-Jähriger auf die Welt und wird immer jünger. Trotz der abstrakten Vorlage bleibt der Film erstaunlich konventionell.
USA 2008, Regie: David Fincher, Hauptdarsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, ab zwölf Jahren

"Der seltsame Fall des Benjamin Button" von David Fincher (USA 2008/166 Minuten), der am 10. Mai 1962 in Denver/Colorado geborene Regisseur, begann seine Karriere 1980 als Trickfilmzeichner bei der George-Lucas-Firma "Industrial Light and Magic" (und war unter anderem an den Spezialeffekten für "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" und "Indiana Jones und der Tempel des Todes" beteiligt).

1986 war er Mitgründer der Firma "Propaganda Films" und drehte Musik-Videos für Künstler wie Michael Jackson, Madonna, Aerosmith und die Rolling Stones. Zusätzlich produzierte er Werbeclips. Mit "Alien 3" stieg David Fincher 1992 ins Filmbusiness ein. Bereits mit seinem zweiten Spannungswerk, dem düsteren Neon-Thriller "Sieben" (mit Morgan Freeman/Brad Pitt/Kevin Spacey), kam 1995 der Durchbruch.

Danach schuf er die harten Genrestücke "The Game" (1997/mit Michael Douglas), "Fight Club" (1999/mit Edward Norton und Brad Pitt), "Panic Room" (2002/mit Jodie Foster) sowie zuletzt "Zodiac – Die Spur des Killers"(2007/mit Jake Gyllenhaal und Robert Downey Jr.). In beziehungsweise mit seinem siebten Kinofilm schlägt "der harte Hund" nun völlig andere Töne an: "Benjamin Button", 13-fach "Oscar"-nominiert, ist Kino der ganz großen Gefühle.

Uralt-Auslöser ist dabei ein Zitat von Mark Twain: "Das Leben würde unendlich viel glücklicher verlaufen, wenn wir mit 80 geboren und uns langsam auf 18 zubewegen würden". Dieses Zitat war Vorlage für die 1922 veröffentlichte, 18-seitige Novelle/Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald ("Der große Gatsby"): "The Curious Case of Benjamin Button". Die nun wiederum ist Inspiration für den Film, für den Robin Swicord ("Die Geisha") und Eric Roth ("Oscar"-Drehbuch-Preisträger für "Forrest Gump") das Drehbuch verfassten.

Als Benjamin Button am letzten Kriegstag des Jahres 1918 in New Orleans auf die Welt kommt, steckt sein kleiner Baby-Körper in den Proportionen eines 80-jährigen Greises. Seine leibliche Mutter stirbt während der Geburt, sein Vater, ein reicher Fabrikant, ist entsetzt und abgestoßen. Setzt Benjamin auf den Stufen eines Altersheims aus und verschwindet. Benjamin wächst dort als Waise auf, verbringt die Kinderstube in einer Umgebung, in der Alter und Tod allgegenwärtig sind.

Im Heim lernt er die drei Jahre jüngere Daisy kennen, die Enkelin einer Heimbewohnerin, die später eine erfolgreiche Ballerina und zur großen Liebe seines Lebens wird. Mit 17 (also 63) verlässt Benjamin das Heim, um zur See zu fahren. Und wird dabei immer jünger.

Benjamin Button eilt durch die Welt, und als er Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in New Orleans strandet, beginnt eine Art "normale Epoche": Benjamin befindet sich nun "im vollen Saft des Lebens", in der Phase, in der auch sein Aussehen zu seinem wirklichen Alter passt. Lernt die intensive Liebe, das kurze Zusammensein, die lange Trennung, das Alleine-Sein, kennen. Wird Vater eines "gesunden" Mädchens.

Doch weil er um seine "Entwicklung" weiß, verlässt er "rechtzeitig" die Familie. Um diese und vor allem um seine Tochter künftig "zu schützen". Diese erfährt, und das ist der Ausgangspunkt des Films, erstmals von ihrem "richtigen Vater" im August 2005. Mutter Daisy liegt im Sterben, während "draußen" der Hurricane Katrina tobt, ihre Tochter will ihr auf ihrem letzten Weg beistehen, und ein Tagebuch und Daisys Erinnerungen begleiten kommentierend die zurückblickenden Geschehnisse/Ereignisse. Ein Abenteuerfilm. Über das "Abenteuer Leben". In all seinen Facetten.

"Benjamin Button" handelt vom Lieben und vom Sterben, vom Reisen und Entdecken, vom Weg-Sein und Zurückkommen, vom Altern und vom Verlust. Er ist unendlich sanft, einfühlsam, völlig unkitschig und dabei höchst emotional. Und erzählt, wie selbst "Jugend" bereits ein kantiger Überlebenskampf sein kann.

Es geht um die Zeit, die Lebenszeit, und um die Wertigkeit, die wir ihr beimessen, und um die zahlreichen tragikomischen wie spannenden Spuren, die ein individuelles Leben hinterlässt. Regisseur Fincher verzichtet bewusst auf schnelle Schnitte, hektische Bewegungen, auf Rabaukentempo oder Helden-Klamauk und setzt stattdessen auf ein grandioses, nie langweilig werdendes Liebesmärchen. Mit visionär-einfallsreichen Bildern und Motiven.

Sein Film breitet sich wie ein "dickes Buch" aus, mit Hang zum Großen Klassiker. Weil er rundum, technisch, in Ausstattung, Kostüme, Masken, Sound und mit den "sensiblen" digitalen Effekten, sehr stimmungsvoll hantiert und atmosphärisch ist. Und natürlich, weil er "in der Seele", über sein vorzügliches Darsteller-Ensemble, intelligent wie melancholisch "zu identifizieren" ist: Der 45-jährige Brad Pitt (deutsche Stimme: Tobias Meister) gibt sich wunderbar leise, zurückhaltend, unaufdringlich, empfindlich, neugierig.

Mit Hilfe der modernen Digitaltechnik/Computeranimation kann er allein Benjamin in sämtlichen Altersstufen spielen, und wie er dies ausdrückt, ist ein Ereignis. Neben ihn haben bzw. bekommen die einmal mehr phantastische Charakter-.Mimin und "Oscar"-Preisträgerin Cate Blanchett ("Aviator"; "Elizabeth"; "I’m Not There") sowie "Oscar"-Kollegin Tilda Swinton genügend "Luft", um hier charismatisch-präsent-gefühlvoll adäquat mitmischen zu können. Ein emotional aufwühlendes, mitreißendes, ein beeindruckendes, ein tief-einwirkendes Melodramen-Kino von außergewöhnlicher Unterhaltungsklasse. Man fühlt sich hier wunderbar-traurig-gut aufgefangen, eingenommen, mitgenommen. Herrlich!