Der Satiriker schlägt wieder zu

31.12.2012
Manchem gilt er als der Karl Kraus unserer Tage, der 1958 in Göttingen geborene und in Berlin lebende Autor Max Goldt. Jetzt ist ein Band mit 16 neuen Texten erschienen. Diese Lesestücke des einstigen Kolumnenschreibers bewegen sich nun zwischen Essay, Erzählung und Bühnensketch.
Er gilt als der Karl Kraus unserer Zeit, als scharfzüngiger, sarkastischer Vertreter jener Kulturkritik, die aus der Sprachkritik hervorgeht: Max Goldt. Ihm entgeht kein falscher Ton, keine Floskel aus dem rhetorischen Repertoire neudeutscher politischer Korrektheit, keine Phrase aus dem Kleinbürgerwortschatz des Mainstreams und der "sexy-lecker-geil-Menschen", wie Max Goldt sie nennt.

Fast ein Jahrzehnt verfasste der 1958 in Göttingen geborene Autor, der seit vielen Jahren in Berlin lebt, Kolumnen für die Frankfurter Satirezeitschrift Titanic. Er gehört neben Axel Hacke und Harald Martenstein zum Trio deutscher Kolumnisten, die bei ihren Lesern und ihrem Bühnenpublikum regelrechten Kultstatus genießen. Während Axel Hacke jedoch seinen Kolumnenstoff aus den Unbilden und Hindernissen des Alltagslebens bezieht und Harald Martenstein an einer humoristischen Chronik des falschen Bewusstseins arbeitet, ist Max Goldts auf eine unbestechliche Kritik des Stils spezialisiert, sowohl im sprachlichen wie im habituellen Sinn.

Der neue Band mit dem subtil süffisanten Titel "Die Chefin verzichtet" vereint sechzehn Texte, die Max Goldt in den Jahren 2009 bis 2012 verfasst hat. Sie bewegen sich zwischen Essay, Erzählung und Bühnensketch, sie sind nicht, wie frühere Goldt-Texte, an die Kolumnenform gebunden und zeigen den Satiriker auch stärker als literarischen Phantasten.

In einem Text mit dem recht ungewöhnlichen Titel "Fast vierzig zum Teil recht coole Interviewantworten ohne die dazugehörigen dummen Fragen" imitiert und persifliert Max Goldt auf wunderbare Weise das deutsche Talk-Show-Wesen, diese mediale Bühne des "allgemeinen Quatschens und Meinens" mit ihren Standardprotagonisten und ihren Standardformulierungen und erfindet vierzig schräge Wortbeiträge.

Nummer zwölf lautet: "Wie? Die Deutschen gaben 2009 dreimal soviel für Wellensittiche aus wie für Bildung? Das glaube ich nicht! Ach so, Sie sagten Wellness! Ich hatte Wellensittiche verstanden."

Ist in diesem Text der klassische Goldt´sche Klamaukfaktor noch leicht zu identifizieren, sind andere seiner neueren Arbeiten mit bloßem Auge kaum von ernst gemeinten Essays zu unterscheiden. So ein Text, in dem Max Goldt ergründet, weshalb sich die Begriffe "Spießer" und "Kleinbürger", die ursprünglich fast das Gleiche meinten, semantisch immer weiter voneinander entfernen.

Während der "Kleinbürger" nach wie vor ein Wesen bezeichnet, von dem es sich zu distanzieren gilt, machte der "Spießer" eine Karriere als "Vokabel fröhlicher Selbstbezichtigung". Jeder bezeichne sich neuerdings gern als Spießer. Auch bei anderen Einlassungen Max Goldts weiß man als Leser nicht ganz genau, ob er sie überhaupt ironisch meint.

So seine Forderung, dass Jeans-Träger aufgrund ihrer Verwahrlosung schlechter bezahlt werden sollten, und dass in Schulen statt Bildung zunächst einmal "Interesse an der nächsten Umgebung" herbeigeführt werden müsse. Vermutlich aber erreicht Satire die höchste Stufe ihrer Verfeinerung, wenn sie vom Nichtsatirischen nicht mehr zu unterscheiden ist. Max Goldt ist auf dem Weg dorthin.

Besprochen von Ursula März

Max Goldt: Die Chefin verzichtet
Verlag Rowohlt, Berlin 2012
158 Seiten, 17,95 Euro