Der Prater in Wien

Geisterschloss, Wurstl-Prater und Wiesen

Die Geisterbahn "Geisterschloss" auf dem Wiener Prater
Die Geisterbahn "Geisterschloss" auf dem Wiener Prater © Stephan Ozsváth / ARD Wien
Von Stephan Ozsváth  · 17.08.2016
Der Wiener Prater, lateinisch: die Wiese - das ist ein gut sechs Quadratkilometer großes Areal direkt an der Donau. Während vorne der Wurstl-Prater weltliche Vergnügungen bietet, liegt dahinter die Auen-Landschaft von einst, der sogenannte grüne Prater.
So ist das jedes Jahr zum Saisonstart, wenn die Wiener vor dem Tor des Schweizerhauses im Prater Einlass begehren. Das Schweizerhaus ist ein Traditionsbetrieb in Familienhand – und das seit mehreren Generationen. Und es ist das Mekka für Stelze und Krügerl – also Schweinshaxe und Bier – der kulinarische Fixpunkt jedes Prater-Besuchers. Tausend Gäste gleichzeitig können hier verköstigt werden. Der Saisonbeginn erweckt die Lebensgeister der Wiener zum Leben.
Blick in die Ausstellung "In den Prater!" im Wien Museum 
Die Ausstellung "In den Prater!" im Wien Museum erklärt die Geschichte der Wiener Vergnügungen seit 1766.© Stephan Ozsváth / ARD Wien
"Wir haben daheim gesessen, getrauert und die Tage gezählt. Jetzt haben wir wieder eine Heimat und einen Sinn im Leben."
Wurstl – Prater - warum das Vergnügungsviertel so heißt, weiß Ursula Storch, stellvertretende Direktorin des Wien-Museums und Prater-Expertin:
"Es gab ja im 18. Jahrhundert in Österreich diese berühmte Altwiener Volkskomödie, wo es diesen Protagonisten Hans Wurst gegeben hat, eine kritische Figur, die mit ihrer Meinung gegenüber Autoritäten nicht hinterm Berg gehalten hat.
Und so hat Maria Theresia diese Art von Komödie verboten und in der Folge hat sich eben diese Figur des Hanswurst oder Wurschtl oder Kaschperl auf die Puppentheaterbühnen zurückgezogen. Und von denen gab es im Prater von Anfang an eine ganze Reihe – und da hat man eben in Kürze diese Figur so sehr mit dem Wurschtl assoziiert, dass der Name auf den Wurschtlprater auch übergegangen ist."

Ehemaliges kaiserliches Jagdgebiet

"Es gibt einen Zeitungsausschnitt, wo angekündigt wird, dass Joseph II. den Prater eben ab dem 17. April 1776 für die Allgemeinheit, für die Wienerinnen und Wiener zugänglich macht. Bis dahin war es ja kaiserliches Jagdgebiet. Und hier steht eben drin, dass ab diesem Zeitpunkt alle Wienerinnen und Wiener im Prater spazieren gehen dürfen, reiten dürfen, mit Wagen fahren dürfen. Aber auch Federball und Ballon spielen dürfen, also Joseph II. hat das wirklich von Anfang an als Geschenk an das Volk – er als aufklärerischer Herrscher –gesehen, als Freizeitparadies für die Wienerinnen und Wiener."
Auf einer kleinen Lichtung nahe dem Lusthaus – einem der bekanntesten Ausflugslokale - brennt ein ewiges Licht. Verwitterte Grabsteine halten die Erinnerung an zwei Tote aus dem Ersten Weltkrieg wach – eine Insel der Stille.
Den Wurstl-Prater und den Grünen Prater verbindet die Prater-Hauptallee. Dort sind Reiter, Jogger und Nordic Walker unterwegs. Ein Rentner stapft mit seinen Stöcken am Lusthaus am Ende der Prater-Allee vorbei:
"Ich geh gerne hier, weil Natur, frische Luft und alles. Das muss man ausnutzen. Wer hat schon so eine Umgebung?"
Prater und Wien – das gehört zusammen – hier geht die Stadt in die Wildnis über.
"Man kann so schnell aus der Stadt raustreten, in dieses Grüne. Es ist nicht so ein – wenn man aufs Land fährt – dass die Stadt langsam weniger wird, sondern es ist so abrupt: Die Stadt ist aus und der Park fängt an – und zwar in einem Ausmaß, dass man auch keine Stadt mehr rundherum hat. Ich finde das sehr angenehm."

Dreh- und Angelpunkt des eleganten Wien

"Und oben im ersten Stock, im Jagd-Saal, ist ein umlaufender Balkon, wo man also hinausgehen und in den Prater schauen kann, einfach die Natur genießen."
So beschreibt Lusthaus-Betreiber Helmut Raftl den Prater-Klassiker. Zu Zeiten Kaiser Franz Josefs war das Lusthaus Dreh- und Angelpunkt des eleganten Wien. Man traf sich, wenn man zum Pferdederby ging, auf der Prater-Hauptallee fanden Fiaker-Wettrennen statt. Heute schätzt manch einer das Lusthaus für Veranstaltungen, bei denen man die Musik mal etwas lauter aufdrehen kann, erzählt der Geschäftsführer, für 5000 Euro kann man es mieten. Gefeiert wird hier seit mehr als zwei Jahrhunderten.
"Das größte Ereignis, das das Lusthaus gesehen hat, war 1814. Und zwar der erste Jahrestag des Sieges über Napoleon in der Völkerschlacht von Leipzig – und da gab es also in Wien – im Rahmen des Wiener Kongresses – ein großes Militärfest."

Im Zweiten Weltkrieg verwüstet

Im Zweiten Weltkrieg fiel eine Bombe ins Treppenhaus und verwüstete das Gebäude, "devastiert" sagt Raftl. Die Schäden sind längst beseitigt. Das Lusthaus verströmt heute die Patina des Gestern, mit dem Wien protzt, mit den Holzdielen, den Säulen innen wie außen. Aber mit dem Lusthaus ist es wie mit dem Prater selbst – einst nur den Adligen vorbehalten, wurden sie vom Volk erobert. Heute ist das Lusthaus ein Kaffee-Haus, das zu einem Prater-Besuch einfach dazu gehört wie der Ober, die Melange und der Apfelstrudel.
Die Wiener Fiaker-Unternehmerin Martina Michelfeit
Die Wiener Fiaker-Unternehmerin Martina Michelfeit © Stephan Ozsváth / ARD Wien
Nicht weit vom Lusthaus entfernt – in einer Seitenstraße - schirrt Fiaker-Unternehmerin Martina Michelfeit das erste Gespann des Tages an. Es ist gegen 9 Uhr am Morgen, der Schornstein der ehemaligen Ziegelfabrik ragt hoch in die Baumwipfel. Ihre Angestellte trägt den typischen Fiaker-Look: Melone, langer Gehrock, ein bisschen Retro – wie es Touristen lieben. Nur die Turnschuhe wollen nicht recht dazu passen. Die Unternehmerin erklärt:
"Also, das ist eigentlich unser Ritual in der Früh, da werden alle eingespannt – mit meinen Berechtigungen, die ich halt hab. Heute habe ich zwei, also werden zwei Kutschen fertig gemacht. Und bei der Kollegin war es so, dass wir heute in der früh schon eine sogenannte Abholung haben, das heißt, am Weg in die Stadt liegt ein Hotel, wo wir schon Leute mit hinein nehmen."
Unternehmerin Martina Michelfeit ist mit Pferden aufgewachsen. Als Kind hat sie die Ponys im Pony-Karussell im Wurstlprater geführt. Heute hat sie immer noch Pferde. Die Arbeitstage der Endvierzigerin sind lang, tiefe Ringe unter den Augen sprechen eine deutliche Sprache.
"Wenn´s um die Herzensangelegenheiten geht, dann lohnt es sich. Wenn´s ums Geld geht, dann nicht. Mir bleibt in der Fiakerei nicht wirklich was über. Man muss das gern machen, weil man ist sowieso zehn, zwölf Stunden am Tag damit beschäftigt, manchmal mehr. Es gibt auch Nächte, die man durchmacht, weil ein Pferd krank ist. Es sind Investitionen extrem hoch. Aber der Job an sich ist so nett."

Wettern gegen das Hitzefrei für Fiaker-Pferde

In der Öffentlichkeit vertritt die studierte Soziologin alle Wiener Fiaker-Unternehmer, wettert gegen das Hitzefrei für Fiaker-Pferde, das Tierschützer erstritten haben. Gelegentlich sitzt sie auch noch selbst auf dem Kutsch-Bock. Die Konkurrenz ist groß: 28 Fiaker-Unternehmer haben den Markt unter sich aufgeteilt – regulierend greift die Stadt Wien ein.
"Zurzeit sind 380 Pferde gemeldet – und davon sind eben 116 pro Tag im Einsatz."
Martina Michelfeit setzt auf eine Mischkalkulation: Fiaker, Reitstunden, therapeutisches Reiten. In den Stallungen Heuballen, ein paar Kutschen, Fiaker-Pferde. Hier in der alten Ziegelei im Prater ist gleichsam der Backstage-Bereich der Stadt, den Touristen nie zu sehen bekommen. Und hier gehören Pferde einfach hin, sagt Martina Michelfeit, während wir im Fiaker durch den Prater fahren.
"Wir leben hier mit den Pferden. Das ist auch traditionell so. Das war mal das Jagdgebiet der Habsburger und auch nachher, wie es dann der Bevölkerung übergeben wurde, waren hier immer Reiter. Und dort, wo jetzt der Sportstall ist, das waren die Habsburger-Stallungen. Und rundherum hat sich halt eine Vielzahl von kleineren Pferdebetrieben etabliert. Und hier im Prater haben wir halt noch die Möglichkeit unsere Pferde – weil Prater heißt ja auch Wiese – auf die Wiese zu lassen, wobei die nicht lange wie eine Wiese ausschaut, weil Hufe und Gefresse dann eher zum Schlamm führen. Wissen Sie, wie das ist im Prater? Was wir über das Reiten hier sagen? Wir haben Schlamm, dann ist staubig, und dazwischen können wir zwei Tage reiten. Und dieser Staub und die Gössn – die sind seit 300 Jahren hier Thema."
Die Gössn, das sind die Stechmücken – auch die gibt es im Prater. Besonders im unteren Prater, der hier Freudenau heißt. Nur eine Straße trennt den Fluss vom Prater.

Eine Sport-Ecke hinter dem Vergnügungsviertel

Pferde gibt es auch in der Krieau. So heißt gleichsam die Sport-Ecke des Praters hinter dem Vergnügungsviertel Wurstlprater, direkt an der Donau. Dort ist ein neues Viertel entstanden: Die Wirtschaftsuniversität setzt heute auf kluge Ökonomen-Köpfe, wo früher das horizontale Gewerbe die Straße beherrschte. Das Ernst-Happel-Stadion fasst bis zu 50.000 Fußball-Fans. Pferde traben auf der Rennbahn. Vielleicht 300 Wiener hat die Sonne und die Aussicht auf ein paar Euro Wett-Gewinn auf die schmucklosen Betonstufen und Bierbänke getrieben. Rentnerin Erika Brunner hat auf das richtige Pferd gesetzt:
"Na, net viel. Aber ein bissel was. Man freut sich, wenn man das erste Mal da ist wieder. Ich war jetzt schon zehn Jahre nicht da. Mein Mann hat früher gespielt, aber jetzt ist er verstorben. Und jetzt hat meine Tochter mich zum Geburtstag eingeladen, da hat sie gesagt: Gehen wir mal wieder auf die Rennbahn."
Hauptsache, die Kulinarik stimmt, dann ist der Wiener zufrieden. An kleinen Ständen in den Eingängen zu den Wettschaltern wird Bier ausgeschenkt, werden Würstl und Schnitzelsemmeln gereicht. Das Publikum sitzt auf Bierbänken in der Sonne oder lehnt sich an die Stangen rund um den Rennplatz. Ältere Damen und junge Burschen. Familien mit Kindern. Alte Zocker im Nadelstreifenanzug oder junge Girlies wie Juliane, sie hat sich mit drei Freundinnen extra fesch gemacht: In Hut und Dirndl räsoniert sie bei einer Eitrigen mit Kren – einer Wurst mit Käsefüllung und frisch geriebenem Meerrettich - über das Publikum:
"Du hast von den 'Ich-komm-in-meiner-Freizeit-jeden-Tag-her-um-zu-Wetten-und-da-zu-sein' bis hin zu den Sonntagsgästen, die sagen: 'Heute machen wir was Besonderes', so von der Jogging-Hose bis zum Ascot-Hut. Also: ist sehr bunt, glaube ich."

Bescheidene Preisgelder für die Rennpferde

Die Preisgelder, die sich die Pferde erlaufen, sind bescheiden: Der Traber mit dem höchsten Gewinn streicht an diesem Tag 30.000 Euro ein. Andere gerade mal 1000 Euro. Die Bahn ist staubig, die trabenden Tiere mit weit offenen Nüstern fast zu schön für diese Kulisse. Klangvolle Namen haben sie: Augenweide, Assuan, Zeppelin, Venus – ein Pferd hört auf den Namen des Fußball-Stürmers Alaba. Günter Erb ist zum Wetten gekommen, aber die guten alten Zeiten sind vorbei, meint er.
"Ich denke, dass das eine Zusammengehörigkeit ist: Prater und Rennbahn, zu Kaisers Zeiten war ja der Renntag etwas. Aber das ist heutzutage leider nicht mehr so der Fall. Woran das liegt, weiß ich auch nicht, aber es ist halt schade. Die ganze Anlage, wenn man dahinten schaut, die Auen. Aber das ist halt Geschichte, was soll man machen. Ein, zweimal im Monat sind Renntage, aber es sind ja immer weniger Leute."
Gleich neben der Trabrennbahn erhebt sich das Ernst-Happel-Stadion in die Höhe, früher hieß es noch Praterstadion. Während der Nazi-Zeit sammelte die SS hier etwa 1000 polnisch-stämmige Juden, die von hier aus nach Buchenwald deportiert wurden, nur 70 überlebten.
In der Simon-Wiesenthal-Straße ein ungewohntes Bild: Senioren mit Kippa trainieren an Fitness-Geräten. Sie kommen aus dem achtstöckigen Maimonides-Zentrum herüber, der schmucklose Betonkasten ist ein jüdisches Seniorenheim, direkt am Waldrand.

Rüstige Senioren mit Kippa an den Fitnessgeräten

Nur über eine Sicherheitsschleuse gelangt man in den Sportclub Hakoa, Hebräisch für "Kraft". Im Keller treffen sich rüstige Senioren zum Tischtennis-Training, Norbert Schächter und Rosa Cohen spielen in einer Mannschaft.
"Es sind viele verschiedene Sportarten hier, Judo, Fußball, Basketball, Fitness, Aerobic, Yoga. Und für Junge macht man zum Beispiel ein Sommer-Camp für die Kinder, was sehr wichtig ist. Und was auch sehr wichtig ist, ist, dass einige ältere Leute vom Altersheim rüberkommen und hier turnen. Da gibt es einen Trainer, der gibt ihnen richtige Stunden. Wir machen es ja, damit wir es überbrücken."
Die beiden Mannschaften flitzen um die Tische. Die quirlige Rosa Cohen würzt jeden Punkt mit ihren Kommentaren. Die 65-jährige Jüdin ist in Israel geboren, hat aber Wiener Wurzeln. Enteignung und Verfolgung – auch in ihrer Familie ein Thema:
"Ich komme aus einer alten Wiener Familie. Meine Großeltern waren K. u. k-Hoflieferanten, wir haben ein großes Geschäft gehabt, eine große Wohnung, ein Haus in Eisenstadt und gekriegt habe ich dann im Endeffekt 5000 Euro. Es war nur schade, dass meine Mutter das nicht mehr erlebt hat. Aber wie der Herr Figl schon gesagt hat, einer unserer Bundeskanzler: Wir müssen nur solang warten und das alles unter den Tisch kehren. Wenn wir nur warten, dann sterben alle aus."

Erinnerungen an die große Zeit der Hakoa

Im Erdgeschoss erinnern Fotos und ein Pokal in Vitrinen an die große Zeit des Hakoa, 1909 gegründet, weil Juden damals schon nicht mehr in anderen Sport-Vereinen zugelassen wurden. Der Zeitgeist war antisemitisch. Und die Hakoa erfolgreich: 1924/1925 waren die Fußballer des jüdischen Sportvereins Österreichischer Meister. Als die Nazis die Macht in Österreich übernahmen, erlitten auch die jüdischen Sportler der Hakoa Verfolgung, Enteignung, Vernichtungslager. Geschäftsführer Ronald Gelbard erzählt:
"Die Hakoa war vor dem Weltkrieg der größte Allround-Sportverband mit 2000 Mitgliedern. Dann gab es halt die 'Verwirrungen' des Zweiten Weltkrieges, wo der ursprüngliche Platz geraubt wurde. Und nach dem Zweiten Weltkrieg gab es immer schon Bestrebungen, diesen Platz wieder zurück zu bekommen. Hat aber 70 Jahre gedauert, bis dieser Platz restituiert wurde. Nicht der ganze Platz, aber Teile davon, und auf diesem Platz befinden wir uns heute, wo im März 2008 das Sportzentrum neu eröffnet wurde."
Der Wiener Prater-Unternehmer Stephan Sittler-Koidl 
Der Schausteller Stephan Sittler-Koidl ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Wiener Prater-Kind.© Stephan Ozsváth / ARD Wien

Der ganze Prater als Familie

Stephan Sittler-Koidl ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Prater-Kind. Er ist hier aufgewachsen. Mit seiner Familie lebt er hinter dem Blumenrad, zwei seiner vier Kinder sind auf dem Pratergelände geboren. Mit Restaurants hat seine Familie 1921 angefangen. Doch der Betrieb wurde von den Nazis zwangsweise übernommen. Die jüdische Ur-Ur-Großmutter musste sich in Ungarn verstecken. Nach dem Krieg stieg die Familie ins Schausteller-Geschäft ein.
"Die Praterfamilie bezieht sich ja nicht nur auf die eigene, sondern auf den gesamten Prater. Da gegenüber gibt es Leute, die haben mich schon als Kind Röhrln aufstellen lassen. Oder bei meiner Tante in der Geisterbahn habe ich meine ersten Schillinge verdient - als lebendiger Geist. Damals auf dem Balkon oben, der dann hinunter gewunken hat, auf die Leute, mit dem Skelettanzug, also das macht den Prater aus, diese Praterfamilie. Dieses Dorf in der Stadt."
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