Der Papst regiert "wie ein einsamer Monarch"

Marco Politi im Gespräch mit Gabi Wuttke · 16.04.2012
Der Vatikanexperte Marco Politi hat Papst Benedikt XVI. zu seinem Geburtstag ein gespaltenes Zeugnis ausgestellt. Der Papst sei zwar ein Intellektueller mit besonderen geistigen Fähigkeiten, habe aber "eigentlich nur Beziehungen mit seinem Stab der Mitarbeiter im Vatikan".
Gabi Wuttke: Das Geburtstagsgeschenk für Joseph Ratzinger kam 2005 mit nur dreitägiger Verspätung: Kurz nach seinem 78. Geburtstag wurde er zum Papst gewählt. Heute wird das Oberhaupt der katholischen Kirche 85 und schon kurz nach dem Frühstück wird er die bayerische Politprominenz und etliche deutsche Bischöfe empfangen.

Am Telefon ist um 07:50 Uhr Marco Politi. Über 20 Jahre hat er für "La Repubblica" über den Vatikan berichtet, im vergangenen Herbst wurde in Italien sein Buch "Joseph Ratzinger. Krise eines Pontifikats" veröffentlicht. Einen schönen guten Morgen, nach Rom, Herr Politi!

Marco Politi: Guten Morgen!

Wuttke: Welchen Eindruck machten die Bilder des Papstes aus Kuba auf Sie? War er besonders angestrengt oder wurden da Zeichen von Hinfälligkeit sichtbar?

Politi: Nein, natürlich war es eine große Anstrengung für den Papst, diese Reise zu machen. Aber ich würde sagen, er war sehr tapfer. Denn nach der Reise aus Australien im Jahre 2008 hieß es im Vatikan, der Papst wollte und konnte nicht mehr interkontinentale Reisen machen. Aber man hat gesehen, dass er in der letzten Zeit wieder angefangen hat, nicht Angst zu haben, nicht Angst vor dem Stress zu haben. Er war in Afrika, er war in Mexiko, er war in Kuba, und im Herbst wird er auch nach Libanon fahren.

Wuttke: Das heißt, er ist nach wie vor ein auch für Sie beeindruckender Intellektueller?

Politi: Ja, ganz bestimmt, ganz bestimmt. Er ist ein großer Intellektueller, er ist ein großer Prediger, ein großer Theologe und er fasziniert immer die Eliten. Also, ob es nun im Bundestag in Berlin ist oder in Prag, in Paris, in London. Aber auch, wenn er in eine kleine Pfarrei in Rom geht, dann hat er wirklich das Talent, das Evangelium sehr klar hervorzubringen. Und er verficht ein wesentliches Christentum. Also, Liebe zu Gott, aber auch Liebe zu den Mitmenschen und soziale Verantwortung. Und das ist sozusagen seine Gabe.

Wuttke: Das, sagen Sie, sei seine Gabe, aber Sie kritisieren sein Pontifikat in Ihrem Buch heftig. Warum hätte er Ihrer Meinung nach nicht Papst werden dürfen?

Politi: Ja, erstens ... Er ist eigentlich Papst geworden, weil Johannes Paul II. in den 90er-Jahren die Regeln geändert hatte. Denn für 1000 Jahre brauchte es eine Zweidrittelmehrheit und dann hat Papst Johannes Paul II. die Regel geändert und sagte, nach so und so Stimmen, Wahlgängen genügt auch nur die Hälfte, die absolute Mehrheit. Und sonst hätte wahrscheinlich eine polarisierende Figur wie Kardinal Ratzinger nicht eine Zweidrittelmehrheit bekommen. Und selbst der Papst, also Benedikt XVI., hat gesehen, dass das ein Fehler war, die Regeln zu ändern, denn kurz nach seiner Wahl hat er wieder gesagt und hat ein Dekret erlassen, dass man jetzt wieder in Zukunft nur Papst werden kann mit einer Zweidrittelmehrheit.

Aber sagen wir, das ist nur ein Detail. Der große Punkt ist, dass Papst Benedikt XVI. ein Intellektueller hat, aber nicht so das Gespür hat als religionspolitischer Leader. Es hat so viele Krisen in seinem Pontifikat gegeben, wie es nicht gegeben hat in den letzten 100 Jahren mit den anderen Päpsten. Also Krise mit der jüdischen Gemeinschaft, Krise mit dem Islam, Krise mit den Katholiken wegen der vorkonziliaren Messe und auch wegen den Verhandlungen mit den Lefebvrianern, die großen Gegner des Konzils Vatikanum II, Krise mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den europäischen Regierungen wegen AIDS und Kondomen.

Und dann hat es auch den großen Missbrauchsskandal gegeben, wo der Papst einerseits sehr streng ist gegen den Missbrauch und gegen die Priester, die so etwas tun, aber andererseits hat er nicht ein Dekret erlassen, dass es allgemeine Pflicht ist, diese Kriminellen anzuzeigen. In Deutschland tut man es, aber weil das Gesetz es so will, und auch in Frankreich. Aber in Italien zum Beispiel gibt es nicht ein Gesetz, das die Pflicht des Bischofs vorsieht, dass er die kriminellen Priester anzeigen muss. Und der Papst hat nicht gesagt, dass das eine allgemeine Regel und Pflicht in der Weltkirche sein soll.

Wuttke: Benedikt XVI., um mal die andere Seite zu beschreiben, er wird als ein sehr guter Zuhörer geschätzt, auf der anderen Seite aber auch als nicht wirklich kommunikationsfreudig beschrieben. Wie sehen Sie das, macht ihn das Alter noch einsamer?

Politi: Ja, Kardinal Ratzinger war damals in der Glaubenskongregation auch berühmt, weil er sehr gute Teamarbeit leistete und auch ganz jungen Mitarbeitern sehr gerne zuhörte. Und vor seiner Wahl hat er auch gesagt, dass die Kirche heute in der modernen Welt nicht wie eine absolute Monarchie regiert werden kann. Aber praktisch regiert er doch irgendwie wie ein einsamer Monarch. Er hat eigentlich nur Beziehungen mit seinem Stab der Mitarbeiter im Vatikan.

Johannes Paul II. traf sehr viele Leute am Frühstück oder am Mittagessen. So konnte er in Kontakt kommen mit Bischöfen, mit Intellektuellen, mit Priestern, mit anderen einfachen Gläubigen, die irgendwo eine Verantwortung auf der Welt hatten, und so den Puls der Welt hatten. Und Benedikt XVI. hat eben diese Kontakte nicht und er sieht auch zum Beispiel die Bischöfe jetzt, wenn sie in eine Ad-limina-Visite kommen, sieht er sie nur kollektiv und spricht nicht mit jedem Bischof einzeln.

Und auch die Botschafter des Vatikans, die Nuntien, die empfängt er nur am Anfang oder am Ende einer Mission, und nicht fortwährend, wenn sie zum Beispiel nach Rom kommen. Und so fehlt ihm viel der Kontakt und die Inputs, die von der Welt und von der Gesellschaft kommen können.

Wuttke: Lange Jahre, ich habe es schon erwähnt, waren Sie journalistischer Beobachter des Vatikan. Gestern hat Benedikt XVI. beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz um Kraft gebeten. Was sagen denn Ihre Kontakte im Vatikan, beschäftigt sich der Papst selbst mit seinem Alter, seiner Endlichkeit?

Politi: Ja, ich würde sagen, das sagt er auch, das tut er auch mit sehr viel Humor und auch mit sehr viel Zuversicht und mit Pflichtgefühl. Er ist der erste Papst, der öffentlich gesagt hat, dass er zu einem Rücktritt bereit wäre, aus physischen, geistigen oder psychischen Gründen, und das ist auch sehr mutig, dass er das gesagt hat.

Und das wäre auch eine kleine Revolution oder eine große Revolution in der Geschichte der Päpste. Aber andererseits hat er auch immer unterstrichen, er würde nicht aus Angst zurücktreten.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur am heutigen 85. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. der italienische Buchautor und langjährige journalistische Beobachter des Vatikan Marco Politi, ich danke Ihnen sehr, einen schönen Tag nach Rom!

Politi: Gut, auf Wiedersehen, alles Gute!


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