Der Mythos Stahl in den Gesichtern

Von Anette Schneider · 16.06.2011
Anlässlich des 200. Firmenjubiläums öffnet Krupp erstmals sein Archiv für die Öffentlichkeit. Als Waffenschmiede für zwei Weltkriege ist dieses Unternehmen nicht gerade harmlos. Die Foto-Ausstellung in der Essener Villa Hügel hat allerdings viele weiße Flecken.
Ein großes Leuchtbild mit dem Firmenlogo eröffnet die Ausstellung. Es folgen die Räume mit Fotografien aus zwei Jahrhunderten. Genauer: Mit den "bedeutendsten Schätzen" der "einzigartigen Sammlung", wie der Folder zur Ausstellung verspricht - und Ralf Stremmel, der Leiter des Fotoarchivs, erläutert:

"Vieles ist noch nie öffentlich gezeigt worden. Und es soll ein Querschnitt sein. Sowohl was die Zeit angeht wie auch die Themen. Roter Faden, Leitfrage der Ausstellung ist die Frage nach den Zwecken, nach den Verwendungen, den Gebrauchsweisen von Fotografie. 'Was kann Fotografie sein?' Fotografie kann zur Werbung und Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden. Das erfolgt bei Krupp seit 1861. Fotografie kann aber auch rein zur internen Dokumentation dienen."

So sieht man neben einigen privaten Porträts der Familie Krupp Blicke in Fabrikhallen und Schmelzöfen, auf Arbeitsvorgänge und Produkte, und auf die jeweiligen Konzernleiter - mal mit politischen Herrschern, mal mit ihren Vorständen, mal als Patriarch mit Arbeitern.

Bereits 1861 hatte Krupp eine Fotowerkstatt einrichten lassen, in der zeitweilig 500 Mann nichts anderes taten als die Werksgeschichte zu dokumentieren und massiv Außenwerbung zu betreiben: Für Weltausstellungen entstanden acht Meter lange Werkspanoramen, Broschüren warben für Eisenbahnschienen und Kanonen. Arbeiter dienten den Fotografen anfänglich nur dazu, um Arbeitsvorgänge vorzuführen. 1960 entstand allerdings eine Serie, die das Bild des Werktätigen beschwört, der ganz in seiner Arbeit aufgeht:

"Da rückt die Kamera dem Gesicht der Arbeiter sehr nahe. Es kommt fast dazu, dass man in den Falten des Gesichtes liest: In den Gesichtern soll sich der Mythos Stahl, vielleicht auch der Mythos Krupp widerspiegeln."

Den kreierte Krupp auch mithilfe sozialer Einrichtungen: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte der "Patriarch" mit Krupp-Läden, Krupp-Bildungsstätten, Krupp-Wohnsiedlungen und Krupp-Krankenhäuser für seine Arbeiter. Was weder die Bilder, noch die Begleittexte erzählen: Die Einrichtungen dienten auch der sozialen und politischen Kontrolle der Arbeiter.

"Alfred Krupp hat einmal mit dem Gedanken gespielt, eine umfangreiche Dokumentation all seiner Arbeiter anfertigen zu lassen, um dann später Porträts derjenigen zu haben, die schnell wieder entlassen werden, vielleicht auch aus politischen Gründen. Also so eine Art Fotografie als schwarzes Buch für diejenigen, die man nicht beschäftigen wollte. Das blieb Plan, das blieb Wunschdenken."

Kein Wunschdenken blieb das ständige Wachstum des Konzerns. 1859 zählte er zu den größten Rüstungsproduzenten des Landes. Während des Ersten Weltkriegs boomte er ebenso wie während des Faschismus. Die Ausstellung erzählt diese kriegerische Erfolgsgeschichte nicht. Denn, so betont Ralf Stremmel:

"Wir machen keine unternehmensgeschichtliche Ausstellung, in der wir einzelne Aspekte der Unternehmensgeschichte abhandeln. Das erfolgt in der historischen Dauerausstellung in der Villa Hügel, das erfolgt in vielerlei Publikationen. Nichtsdestotrotz spiegelt sich natürlich Krupp-Geschichte in der Fotografie, und wir wollen hier auch nicht die dunkle Seite verschweigen. Sie werden also beispielsweise ein Foto sehen von Hitler und Mussolini, wie sie 1937 im Unternehmen Gast sind."

Das Warum, Zusammenhänge und Hintergründe erfährt man nicht. Auch nicht in der erwähnten historischen Ausstellung. Mit weißen Flecken geht es weiter: Der ab 1939 in den überfallenen Ländern durchgeführte Raub von Produktionsanlagen, sowie die Ausbeutung von etwa 100.000 Zwangs- und Fremdarbeitern kommen nicht vor. Unvorstellbar, dass es dazu kein Bildmaterial gibt.

"Es gibt Aufnahmen von Zwangsarbeitern. Die sind teilweise auch publiziert worden. Wobei es fast durchgehend gestellte Aufnahmen sind, von denen wir nicht sagen können, wie hoch der Grad der Inszenierung ist."

Doch wollte die Ausstellung nicht gerade zeigen, wie Krupp Fotografie für unterschiedliche Zwecke nutzte und inszenierte? Na gut, und sie wollte die "bedeutendsten Schätze" der "einzigartigen Sammlung" vorstellen. Das macht sie auch: Im vorletzten Raum hängen großformatige Landschaftsansichten, dazu liegen in Vitrinen zahlreiche Fotobücher.

"Fotografie kann auch - auch das zeigen wir in der Ausstellung - Hobby, privates Freizeitvergnügen sein."

Nämlich das von Alfried Krupp, dem letzten Alleineigentümer Krupps. Der das Unternehmen zu einem "nationalsozialistischen Musterbetrieb" machte. Der 1948 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess "wegen Ausbeutung von Zwangsarbeitern sowie Plünderung von Wirtschaftsgütern in besetzten Gebieten" zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde und bereits nach 30 Monaten wieder frei kam. Der danach mit dem durch Ausbeutung und Ausplünderung erwirtschafteten Reichtum das Unternehmen schnell wieder nach oben brachte - was die Ausstellung alles verschweigt. Und der - dies zeigt die Ausstellung - in den 50er-Jahren das Reisen und Fotografieren begann: "Im Fluge durch Brasilien, Chile, Peru, Mexiko", "Im Fluge durch die Türkei", "Im Fluge durch Südost-Asien und Ägypten" heißen drei seiner zahlreichen Bildbände.

Wenn einem da nicht schlecht werden kann.

Informationen der Villa Hügel zur Ausstellung
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