Der Mythos der Göttin Isis

Wiederbelebung im Alten Ägypten

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Relief im Tempel der Isis auf der Insel Philae.
Auf der ägyptischen Insel Philae wurde der Göttin Isis ein ganzer Tempel erbaut. Das Relief zeigt sie bei der Wiederbelebung ihres Mannes Osiris. © Imago / Richard Maschmeyer
Von Cornelia Wegerhoff · 25.04.2021
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Schon im Alten Ägypten glaubten die Menschen an ein Leben nach dem Tod. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Göttin Isis, eine der mächtigsten Gottheiten am Nil. Sie konnte sogar ihren ermordeten Bruder und Mann "wiederbeleben".
Über den Nil tuckert ein Motorboot. Südlich von Assuan bringt es Touristen zu einer Insel im Fluß. Schon aus der Ferne lässt sich dort ein prächtiger Tempel ausmachen. Die alten Ägypter haben ihn vor etwa 2200 Jahren der Göttin Isis geweiht. Über 20 Meter hoch ragt der sogenannte erste Pylon in den Himmel, ein Eingangstor, das dem einer Festung gleicht.
Das Boot legt an. Isis scheint schon auf ihre irdischen Gäste zu warten. Ein meterhohes, imposantes Relief auf der Fassade des Tempels zeigt die Göttin in Gestalt einer anmutigen, zierlichen Frau mit einer Sonnenscheibe und Kuhhörnern auf dem Kopf.

Ein altägyptischer Krimi

So wie einst die Priester im Tempel huldigen heute die Reiseführer Isis' magischen Kräften. Und sie erzählen in allen Sprachen der Welt eine Art antiken Krimi, in dem die Göttin eine der Hauptrollen spielt.
Das Opfer ist Osiris, Bruder und göttlicher Gemahl von Isis: "Osiris war zu der damaligen Zeit der Herrscher im Götterreich und sein Bruder Seth war sehr eifersüchtig auf ihn und wollte natürlich eigentlich auch gerne der König sein", erzählt die Ägyptologin Carola Nafroth aus Münster.
Der Osiris-Mythos gehört zu den bekanntesten Erzählungen aus der Pharaonenzeit. "Dann hat Seth sich überlegt: Wie kann ich das machen? Ich muss ja irgendwie meinen Bruder loswerden", erläutert Nafroth weiter. "Und er kam dann auf die Idee, eine Kiste herstellen zu lassen, die genau den Maßen seines Bruders entsprach. Und bei einem großen Fest wurde diese Kiste, die wunderschön mit Gold und Edelsteinen besetzt war, in den Festsaal gebracht. Und Seth forderte nun alle Gäste auf, sich doch mal in diese Kiste zu legen, und wer hineinpasste, würde etwas gewinnen."

Bestialischer Brudermord an Osiris

Eine List, denn natürlich landete am Ende Osiris in der Kiste. Seth machte blitzschnell den Deckel zu und warf die Kiste samt gehasstem Bruder in den Nil.
Osiris kam ums Leben. Doch Seth reichte das noch nicht, wie Carola Nafroth erklärt: "Und er hat dann die Kiste wieder herausgeholt, hat seinen Bruder aus dieser Kiste gehoben, ihn in 42 Teile zerstückelt und diese einzelnen Leichenteile dann über das ganze Land verstreut und dort auch versteckt."
Heimtückischer Mord und Leichenschändung. Carola Nafroth räumt ein, dass die altägyptischen Götter zumindest der Erzählung nach keinen freundlichen Umgang miteinander pflegten: "Diese Götter hatten auch Wesenszüge der Menschen. Also es gab Liebe, Hass; es gab Konkurrenzdenken; es gab Trauer, es gab Krankheiten, Tod."

In Ägypten lieber verschwiegen

Und da kommt die Göttin Isis ins Spiel, so Nafroth weiter: "Die liebende und trauernde Ehefrau, die vom Gram gebeugt war und mit ihrer Schwester Nephthys zusammen diesen Tod ihres Mannes betrauert hat und dann aber auf die Idee kam, doch übers Land zu reisen und diese einzelnen Leichenteile zusammen zu suchen."
Der Mythos ist übrigens nicht in altägyptischen Quellen zu lesen. Nur bei griechischen Schreibern wie Diodor und Plutarch aus dem ersten Jahrhundert vor und nach unserer Zeitrechnung finden sich die Erzählungen in kompletten Texten wieder, so Carola Nafroth: "Das mag zunächst merkwürdig erscheinen, denn die Ägypter haben ja sonst eigentlich fast alles aufgeschrieben. Aber in diesem Fall ist das durchaus nachvollziehbar, weil es eine negative Geschichte war. Und Negatives hat man nicht so gerne niedergeschrieben."
Dafür finden sich auf altägyptischen Särgen Isis-Zitate, die die dramatischen Szenen beschreiben, in denen sie ihren zerstückelten Bruder und Gatten Osiris wiederfindet: "Oh Müder, Müder, der da liegt! Müder an diesem Platz, von dem du nicht wusstest, dass ich ihn kenne! Siehe, ich habe dich gefunden auf dieser deiner Seite liegend, großer Müder. "

Frau Frankenstein vom Nil

Isis sagt zu ihrer Schwester: "Komm, heben wir seinen Kopf! Komm, fügen wir seine Knochen zusammen!" Das einzige Körperstück von Osiris, das Isis nicht wiederfinden kann, ist ausgerechnet sein Geschlechtsteil. Es wurde dem Mythos nach von einem Krokodil gefressen.
Carola Nafroth: "Isis hat dann einen Penis nachgeformt, hat sich in einen Vogel verwandelt und schwebt quasi jetzt über dem halb erweckten Körper ihres Mannes, der durch ihre Zauberkraft halt eben in der Lage ist, sie zu befruchten und dadurch wird sie dann schwanger."
Der Göttin Isis gelingt also zumindest für einen kurzen wichtigen Moment die Wiederbelebung von Osiris, der fortan als Gott und Richter über die Toten und die Unterwelt herrscht, so Nafroth: "Und jeder Ägypter hat ja eben auch gehofft, dass er nach seinem Tod in dieses Totenreich einkehren kann. Das heißt, dieser Gedanke der Wiederbelebung ist natürlich in der weiteren Folge ein Gedanke des ewigen Lebens. Und Isis hat das möglich gemacht."
Auch im Philae-Tempel ist die Szene der wundersamen Wiederbelebung in Wandreliefs festgehalten.

Vorbild für christliche Darstellungen?

Die "zauberreiche" Isis wurde durch den Mythos zur Schutzgöttin der alten Ägypter – und zur Hoffnungsträgerin auf ein Leben im Jenseits. Und sie war die Mutter von Horus, dem neuen göttlichen Herrscher von Ägypten.
"Hier haben wir eine typische Statuette der Göttin Isis, aus der Spätzeit aus Bronze gefertigt. Auf ihren Knien sitzt ihr kleiner Sohn Horus und sie bietet ihm mit der rechten Hand ihre linke Brust an, um ihn zu stillen."
Ein Bild, das sofort an die christliche Darstellung der Mutter Maria mit dem Jesus-Kind erinnert, wie Carola Nafroth bestätigt. Sie ist auch Koptologin, hat also neben der Geschichte des alten Ägyptens auch die Geschichte der christlichen Urkirche am Nil erforscht: "Schon ab dem 1. Jahrhundert nach Christus gab es Christen in Ägypten, die natürlich diese Darstellung auch kannten. Und da sieht man schon diese Verbindungen in der Ikonographie. Und es ist durchaus auch nachvollziehbar und vorstellbar, dass diese alte ägyptische Darstellungsweise der Isis als liebende, als treusorgende Mutter auch die spätere Darstellungsweise der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind beeinflusst haben kann."
Die Göttin Isis wurde so auch noch bis ins 6. Jahrhundert nach Christus kultisch verehrt. Parallel wurde der Philae-Tempel in der Nähe von Assuan in dieser Zeit kurzerhand in eine christliche Kirche umgewandelt.
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