Der Modellbau hebt ab

Von Marko Pauli · 12.05.2011
Es zählt zu den meistbesuchten Touristen-Attraktionen der Hansestadt - das Miniatur-Wunderland. Nun wurde die ohnehin schon riesige Modelleisenbahnanlage um einen exakten Nachbau des Hamburger Flughafens erweitert.
Wie von Geisterhand gesteuert rollt das Modell eines modernen Großraumflugzeugs entlang blinkender LEDs zur 14 Meter langen Start- und Landebahn. Angekommen, ein kurzes Verharren, das Geräusch der Turbinen wird lauter, dann beschleunigt die Maschine. Am Rande schauen die Besucher des neuen Airports der Fantasiestadt Knuffingen zu, halten Kameras auf das immer schneller werdende Flugzeug – und staunen, als es tatsächlich abhebt.

Doch es fliegt nicht wirklich. Unter der Startbahn fährt ein Schlitten, auf dem zwei hauchdünne Stäbe befestigt sind, diese rasten im Flugzeugbauch ein und heben die Maschine hoch und höher. Am Ende des Raumes verschwindet sie im wolkenverhangenen Himmel, in einer mit Plastiklamellen präparierten Wand. Spielend leicht und elegant sieht das aus, und bei jedem Flugzeugtyp anders.

"Wir haben da vorne eine DC6, die fliegt schon relativ früh ab, mit einem hohen Anstellwinkel, ein A380 geht ganz sanft und langsam weg. Genauso ist es auch bei den Landungen, dass dann je nach Flugzeugtyp der Original-Landeanstellwinkel nachgemacht wird, die Original-Turbinengeräusche."

Erklärt Sebastian Drechsler, jüngerer Bruder der Zwillinge Gerrit und Frederick Braun, die das Miniaturwunderland vor zehn Jahren erschaffen und Jahr für Jahr erweitert haben. Hinter der Wolkenwand werden die Flugzeuge unsichtbar für die Besucher in einem Liftsystem abgelegt und fürs spätere Landen vorbereitet. Ansonsten läuft alles ab wie auf einem echten Flughafen. Eine computergesteuerte Choreografie, zu der auch die Bewegungen auf den Rollfeldern und an den Flughafengebäuden gehören.

"Zum Beispiel da vorne kommt ein A 380 an. Da kommen bis zu 15 Fahrzeuge. An so einem Flugzeug fahren nicht normale Autos rum, da ist sogar der Müllwagen eine Spezialkonstruktion. Da gibt es so unendlich viel, was es im Modell nicht zu kaufen gibt. Was wir dann von Hand bauen mussten, da die Fahreigenschaften zu entwickeln; dann eigene kleine Akkus, Prozessoren, Motoren dafür zu entwickeln. Das hat dazu geführt, dass allein dieser Flughafen, nur diese Simulation um die 50.000 Programmierzeilen lang ist."

Programmiert wurden sie vom älteren Bruder Gerrit Braun, der jetzt, nach sechs langen Jahren Arbeit, geschafft, aber gut gelaunt, am Flughafen das komplexe System beobachtet und kleine Fehler notiert. Ganz genau hat er auch einst beim Vorbild, dem Hamburger Flughafen, zugesehen:

"Wenn man als Normalsterblicher auf ein Rollfeld guckt, wirkt das wie chaotisches Gewusel. Nun hab ich mir die Prozesse angeguckt und geschaut, dass es sich eigentlich immer wiederholt. Weil es ist klar: Ein Flugzeug muss getankt werden, ein Flugzeug braucht Essen, das Klo, die Kabine muss sauber gemacht werden, Frischwasser. Im Winter enteist werden. Das sind so zehn Prozesse, die bei jedem Flugzeug stattfinden müssen. All solche Sachen, die habe ich einmal als Grundgerüst programmiert, und dann kann man für jedes Flugzeug, an jeder Parkposition solche Grundzyklen eingeben, das sind diese 200.000 Parameter und ein Zufallswert. Das heißt es ist ein geregelter Zufall. Das heißt, jeder Prozess stimmt, aber es ist nie gleich."

Die Flug- und Fahrzeuge auf dem Rollfeld bewegen sich alle aus eigener Kraft und sind mit Microcontrollern ausgestattet. Einer ist für die Steuerung des jeweiligen Fahrzeugs zuständig, der andere bekommt über an der Decke installierte Satellitensender per Infrarot Befehle, was zu tun ist. Ein Computer steuert sämtliches Geschehen, Start und Landung ...

"... wie kommen diese Stangen in die Flugzeuge rein, in welche Höhe müssen sie gebracht werden, wo ist der Anschlag im Flugzeug, wir müssen auf 1/10 Millimeter genau sein."
Auch den Transport der Flugzeuge unter der Anlage und die Bewegungen aller Fahrzeuge auf dem Rollfeld übernimmt der Steuerungscomputer.

"Der kontrolliert auch, ob sie dort ankommen, wo sie ankommen sollen; auch die Pushbacker und Fahrgastbrücken. All das steuert der Computer über einen Can-Open-Bus, das Sicherheitssystem, das im Auto für Airbag und ABS verwendet wird."

Schon düst Gerrit Braun wieder zum Pilotenstand. Ein Flugzeug ist ausgefallen, womit kurzfristig der gesamte Flughafen zum Stillstand kommt. Geübt klettert er auf die Anlage und untersucht die Maschine - auch das ein faszinierender Moment für die Besucher, in dieser kleinen filigranen Welt einen Menschen in Lebensgröße zu sehen – wie Gulliver in Liliput.

Kurz darauf läuft der Betrieb wieder und es wird Nacht, nicht nur auf dem Flughafen, sondern im gesamten Wunderland, ein blinkendes und buntes Lichtermeer bestimmt das Geschehen.

"Ein Tag im Miwula dauert 15 Minuten. Von Osten des Gebäudes fängt es an zu dämmern, dann haben wir vier Zeitzonen, vier Minuten später ist es ganz im Westen, in Skandinavien angekommen, dann ist es dunkel. Dann fängt es nach zwei Minuten wieder an Morgen zu werden in der Schweiz, und dann gehen die 300.000 LEDs, die wir auf der Anlage haben, langsam nacheinander aus."

Dass der 150 Quadratmeter große Flughafen stolze 3,5 Millionen Euro kostete, hat nicht nur mit der aufwendigen Elektrotechnik, sondern auch mit der Architektur zu tun, die exakt der des Hamburger Flughafens, in einem Maßstab von 1:87 entspricht. Sebastian Drechsler deutet auf ein rundes Parkhaus.

"Da sind 3.500 Arbeitsstunden rein geflossen. Weil jedes der einzelnen Metallteile, das ist nicht etwa ein Draht, der einmal durchgezogen wurde, sondern da mussten mehrere tausend Metallteile per Hand rein gesetzt werden. Oder da vorne, die kleinen Kofferwagen, die gibt es in der Form nicht als Modell zu kaufen, der ist einen halben Fingernagel groß, und dann muss von Hand ein Kofferwagen gebaut werden. Und davon nicht einer, sondern mehrere Tausend."

Geschoben werden sie von Figuren. 15.000 von ihnen – so vielfältig wie in der wirklichen Welt - lassen den Flughafen erst lebendig wirken. Unzählige Szenerien darstellend, laden sie auf jedem Quadratmeter der Anlage zum Verweilen ein.

"Wir haben mittlerweile 210 Leute, die hier arbeiten. Das ist von der 18-jährigen Kunststudentin bis zum 85-jährigen Modellbau-Veteran. Und alle bilden ziemlich eigenständig ihre Wahrnehmung der Welt ab, sodass jeder Gast sich was rausziehen kann. Es ist für viele so ein bisschen wie Ostereiersuche für Erwachsene."

Auch deshalb wohl zählt das Miniatur-Wunderland zu den meistbesuchten Touristen-Attraktionen in Hamburg. Vorbei scheinen die Zeiten, da Modellbau ausschließlich in Hobbykellern betrieben wurde und nur Männer mittleren Alters interessierte. Wobei natürlich auch diese schwärmend vor der Anlage stehen:

"Ganz toll, könnt gar nicht besser sein hier. Das ist, wenn man das Hobby zum Beruf macht."