Der Mitentdecker der Evolution

21.05.2013
Er war einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, Mitschöpfer der Evolutionstheorie und Begründer der Biogeografie, der Lehre von der geografischen Verbreitung von Tieren und Pflanzen: Alfred Russel Wallace. Mit seiner spannend erzählten Wallace-Biografie gibt der Berliner Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht diesem Forscher nun die ihm gebührende Anerkennung.
Alfred Russel Wallace, geboren 1823 in Wales. Landvermesser, Lehrer, begeisterter Leser von Darwins und Humboldts Reiseberichten. Mitte der 1840er Jahre fällt ihm ein damals populäres Buch über Evolution von Robert Chambers in die Hände. Das krude Werk hat zweierlei Folgen: Es macht Wallace zum überzeugten Evolutionisten, und es bestärkt Charles Darwin, der es gleichzeitig liest und seine Schwächen genau erkennt, die eigene Theorie gründlicher auszuarbeiten.

1848 geht Wallace nach Brasilien. Er will dort Tierarten sammeln, sie wissenschaftlich bestimmen und in England an Sammler veräußern. Allein in den ersten beiden Monaten findet er 1300 Insektenarten. Auf seiner Rückreise nach London 1852 sinkt sein Schiff im Atlantik. Wallace wird gerettet, aber sein Material geht verloren. Doch Wallace gibt nicht auf.

Glaubrecht erzählt anschaulich, lebendig und durchaus spannend von Wallaces Arbeit und Denken, auch weil er auf zahlreiche Briefe und die Autobiografie von Wallace zurückgreift. Die Leser kommen dem Helden so sehr nah, vor allem bei dessen wichtigsten Forschungsreise durch den Malaiischen Archipel in den Jahren 1854-1862.

Dort sieht Wallace, dass sich die Tierwelt von Insel zu Insel radikal unterscheidet. Diese Trennlinie zwischen asiatischer und australischer Fauna, die beispielsweise zwischen Bali und Lombok verläuft, ist heute als Wallace-Linie bekannt. Ebenso wichtig sind seine Erkenntnisse zur Evolution, die er in zwei Artikeln 1855 und 1858 niederlegt: Jede Art hat sich sowohl räumlich und zeitlich aus einer vorher existierenden entwickelt, und nur die am besten angepassten überleben.

Wallace schickt beide Artikel per Postschiff aus Asien nach England. Empfänger ist Charles Darwin, der an seiner Evolutionstheorie arbeitet. Der ist, so Glaubrecht, entsetzt: Kommt Wallace ihm zuvor? Formuliert er die Evolutionstheorie? Wallaces Manuskripte werden nicht veröffentlicht. Stattdessen lassen Freunde von Darwin sie auf einer Tagung am 1. Juli 1858 gemeinsam mit einem Text von Darwin verlesen. So entgeht Wallace der Ruhm, als Erster die Prinzipien der Evolution veröffentlicht zu haben. Ob Darwin auch bei ihm abschrieb – man weiß es nicht. Wahrscheinlich kommt er dank seiner Forschungen einfach gleichzeitig zu ähnlichen Ergebnissen.

Wallace kümmert der entgangene Ruhm nicht. Der Waliser ist, so Glaubrecht, sehr bescheiden, zudem führt sein Denken weit über die reine Naturwissenschaft hinaus. Ihn interessieren auch soziale Fragen, und er setzt sich schon früh für Naturschutz ein. Seine Bescheidenheit und Nicht-Spezialisierung führen dazu, dass Wallace außerhalb Englands 100 Jahre nach seinem Tod nur noch Fachleuten bekannt ist. Matthias Glaubrecht verdanken wir, dass sich das jetzt ändern wird.

Besprochen von Günther Wessel

Matthias Glaubrecht, Am Ende des Archipels. Alfred Russel Wallace
Galiani Verlag, Berlin 2013
442 Seiten, 24,99 Euro
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