Der mexikanische Oskar Schindler

Von Adolf Stock · 02.12.2012
Es ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das bisher nur wenig Beachtung fand: Der mexikanische Diplomat Gilberto Bosques half Verfolgten bei ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland, mehr als 1000 Menschen verdanken ihm ihr Leben. Die Akademie der Künste widmet Bosques nun eine Ausstellung.
Wer durch die Ausstellung "Letzte Zuflucht Mexiko" geht, versteht sehr schnell, wie viel deutsche Exilanten dem mexikanischen Diplomaten Gilberto Bosques zu verdanken haben. Mit seiner Hilfe, sagt Kuratorin Christine Fischer-Defoy, gelang ihnen die Flucht nach Mexiko.

"Gilberto Bosques kam 1939 als Diplomat nach Frankreich, sollte eigentlich in Paris Botschafter werden. Mit dem Vormarsch der deutschen Truppen ist er dann eben nach Marseille geflüchtet und hat dann dort das Generalkonsulat aufgemacht. Dort hat er, glaube ich, erst einmal in einer Garage angefangen, weil er noch gar keine Büroräume hatte. Morgens um fünf standen die ersten Flüchtlinge vor der Tür, an die er Essensgutscheine verteilt hat. Und er sagt: Wir konnten nicht nur amtlich handeln."

Gilberto Bosques mietete in Südfrankreich zwei Schlösser, wo seine Schützlinge bis zur Passage nach Mexiko unter dem Schutz der Botschaft leben konnten, und besorgte illegale Papiere, um Leben zu retten.

"Ich weiß nicht, wann der geschlafen hat. Zum Beispiel erzählt er, dass viele Leute auch da waren, die mussten dann falsche Papiere kriegen, also brauchte man Passfotos und das waren aber Leute, die im Untergrund versteckt waren, und die konnten dann nur nachts um zwar heimlich in sein Büro kommen, um sich fotografieren zu lassen. Also er wäre es wert, dass man über ihn einen Spielfilm macht, oder er wäre eine Figur für einen Roman, weil es ungeheuer eindrucksvoll ist, was er geleistet hat."

In der Akademie werden in der langen Passage, die den Pariser Platz mit dem Holocaust-Denkmal verbindet, 25 Lebenswege gezeigt. Ihr Schicksal steckt in geöffneten Alu-Koffern, vollgepackt mit Fotografien, Briefen, Zitaten und amtlichen Dokumenten. Hinzu kommen Informationen über Mexiko, über die jüdische Immigration und die Situation in Marseille sowie ein Interview mit Gilberto Bosques, das er 1993 als 101-Jähriger gab.

Zur Eröffnung steht Andrée Fischer-Marum vor dem Koffer ihrer Eltern, die im März 1942 nach Mexiko geflüchtet sind.

"Der Beginn der Flucht meiner Familie war schon in Deutschland gewesen, als 1934 mein Großvater - der war sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter - umgebracht worden ist im KZ Kislau. Und das war für die ganze Familie Marum einfach der Weg ins Exil und alles hing damit zusammen, auch die weiteren Wege … "

Die Mehrzahl der Flüchtlinge kam aus dem linkspolitischen Spektrum, darunter auch viele Juden, die im NS-Staat gleich doppelt verfolgt worden sind. Zu ihnen zählt die Schriftstellerin Anna Seghers, der Verleger Walter Janka, die Journalisten Bodo Uhse und Paul Westheim, der Komponist Hanns Eisler und die Schauspielerin Steffie Spira. Die Kuratorin Christine Fischer-Defoy beschreibt Mexiko als gastfreundliches Land.
Es ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das bisher nur wenig Beachtung fand: Der mexikanische Diplomat Gilberto Bosques half Verfolgten bei ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland, mehr als 1000 Menschen verdanken ihm ihr Leben. Die Akademie der Künste widmet Bosques nun eine Ausstellung.

"Das Besondere des mexikanischen Exils ist, dass es dort eben nicht wie in vielen anderen Ländern verboten war, sich politisch zu betätigen oder zu engagieren, sondern geradezu erwünscht war, dass die deutschen Emigranten sich dort eben auch kulturell und politisch betätigen konnten, dass sie arbeiten konnten. Und deshalb sind ja auch eine Reihe dort geblieben: Wir haben in der Ausstellung zwar viele, die entweder nach Ost- oder Westdeutschland zurückgegangen sind. Aber ein Viertel der in der Ausstellung gezeigten Biografien handelt von Menschen, die in Mexiko geblieben sind."

Dazu zählen der Fotograf Walter Reuter und der Kunsthistoriker Paul Westheim, der ein großer Kenner der mexikanischen Volkskunst war. Die Ausstellung erzählt auch von der Rückkehr der Exilanten. Mit sechs Jahren kam Andrée Marum mit ihrer Familie nach Ost-Berlin, wo man sich einen antifaschistischen Neubeginn erhoffte.

Doch schon bald wurden die Rückkehrer aus Mexiko von der Moskau-geprägten Führungselite mit Misstrauen beäugt, vielleicht auch, weil sie wirklich ein wenig freier dachten als die Funktionäre in Ost-Berlin.

"Es wurde eine Affäre konstruiert, eine Agentengeschichte, die mit dem Exil zusammenhängt, nämlich wegen Noel Field, das war ein amerikanischer Unitarier, der auch in Marseille saß. Er wurde in den 50er-Jahren in Ungarn verhaftet und in einem Schauprozess verurteilt als amerikanischer Spion. Und damit hießen automatisch alle diejenigen, die mit ihm Kontakt hatten – und das waren alle die, die im Raum Marseille eben auch von ihm Essensgutscheine, Visa oder was auch immer bekommen haben über die Unitarier - unter Generalverdacht, auch Agenten des Imperialismus zu sein."

Es war politischer Psychoterror. Die Ausstellung dokumentiert, wie der jüdische Schriftsteller Rudolf Feistmann von der SED in den Tod getrieben wurde. Kurz zuvor schrieb er an einen Freund: "Für mich ist es unerträglich, dass die Partei mir misstraut." Als offizielle Todesursache wurde auf Befehl von Wilhelm Pieck "Fleischvergiftung" angegeben.