Der Meister des Lichts

22.10.2007
Wie kein anderer konnte er Licht und Schatten auf die Leinwand bannen - der holländische Maler Rembrandt van Rijn. Die Autorin Sarah Emily Miano zeichnet - aus fiktiven Tagebuchaufzeichnungen und Briefen collagiert - ein Porträt des Meisters.
Pünktlich zum Rembrandt-Jahr 2006 erschien der zweite Roman der jungen nordamerikanisch-britischen Autorin Sarah Emily Miano "Rembrandt van Rijn" in London. Nun ist er auch auf Deutsch erschienen: ein umfangreiches, materialreiches, visuelles, dichtes Werk, das sich dem großen Maler aus verschiedenen Perspektiven nähert, denen wiederum mehrere Erzählstimmen entsprechen.

Rembrandt selbst kommt zu Wort in einem Tagebuch, in dem er Jahrzehnte seines Lebens festhält: seine Beziehungen zu Saskia und Hendrickje, seine Vaterschaft, seine Neugier auf Dinge der Welt, der Unterricht, den er jungen Schülern gibt, Gespräche oder Briefe, die er mit Persönlichkeiten wie Spinoza führt. Vor allem aber reflektiert er über seine Malerei - sowohl im grundlegend ästhetischen Sinne wie auch im ganz handwerklich-praktischen: Wie geht er mit Farben, mit Massen, mit dem Stoff, mit den Modellen um?

Immer wieder werden unvermittelt in die Momentaufnahmen, Erzählungen und Reflexionen theatrale Szenen eingeblendet, die Rembrandt unmittelbar im Gespräch zeigen - hier übernimmt der Text für sich Rembrandts Lehrtechnik, seine Schüler die zu malenden Szenen erst einmal aufführen zu lassen, damit sie ein Gespür für sie bekommen.
Pieter Blaeu, ein junger Verleger, lernt den alten Rembrandt kennen und ist fasziniert. Er sieht das Tagebuch - und will es haben, um über Rembrandt zu schreiben. Er erhält es freilich erst lange nach Rembrandts Tod, und der Roman, den wir lesen, ist das Buch, das er aus eigenen Erlebnissen und Erinnerungen einerseits und den Rembrandtschen Aufzeichnungen andererseits montiert. Es ist dies eine in der europäischen Literatur verbreitete und in der Postmoderne zu besonderer Beliebtheit gelangte Erzähl- und Herausgeberfiktion.

Blaeu lernt die vermeintlich geheimnisvolle Clara kennen, in die er sich verliebt, sowie Rembrandts Sohn Titus und er sucht Rembrandts Bekanntschaft. Sein fixe Idee wird, dem Geheimnis von dessen Persönlichkeit und Genie auf die Schliche zu kommen. Rembrandt, eigenbrötlerisch und misstrauisch, macht es ihm nicht leicht, aber am Ende entsteht doch eine Art Beziehung zwischen den beiden. Diese wird nicht wirklich überzeugend begründet mit Hilfe der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn. Blaeu fantasiert sich als Rembrandts verlorenen Sohn und am Ende - nach dem frühen Tod von Titus, Rembrandts leiblichem Sohn - scheint es, als akzeptiere Rembrandt ihn als solchen. Es gibt weitere Ungereimtheiten im Roman. Oft sind die Brüche zwischen historischer Erzählung und zeitgenössischen Sprechweisen und auch Überzeugungen allzu deutlich; schwer zu entscheiden, ob das raffinierte Absicht ist oder nicht.

Der Roman schwelgt geradezu in dem Schmutz und dem Elend, das das Leben im 17. Jahrhundert auch ausmacht, aber er frönt auch dem Klischee vom "prallen Leben". Intime Tagebücher wie das hier imaginierte führte man im 17. Jahrhundert schwerlich. Es ist allerdings künstlerische Freiheit, so etwas als Darstellungsmittel, das Unmittelbarkeit garantiert, in einen Roman einzuführen. Die sporadische Einführung weiterer Erzählstimmen ist allzu bemüht: Ein Haus, in das Rembrandt einziehen wird, wird als vollbusige Frau präsentiert, die von sich und ihrer Sehnsucht nach Bewohnern erzählt, oder eine Leiche, die seziert wird, schildert ihren eigenen Tod. Warum Clara geheimnisvoll sein soll, wird so so wenig evident wie es der Erzählung förderlich ist. Und auch Pieter Blaeu bleibt als Charakter ein wenig blaß, wenn er auch zunehmend Sympathien gewinnt.

Mein Fazit aber lautet: Diesem Roman gelingt es erstaunlich gut, Bilder - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne - einer vergangenen Zeit lebendig und die Faszination durch das Geheimnis des Genies anschaulich zu machen: In welchem Verhältnis stehen künstlerische Kreation und Mensch.

Am Ende hat Rembrandt fast alle Menschen verloren, die er geliebt hat. Er ist bettelarm, ein verwahrloster, elender alter Mann, zudem blind; seine Kunst ist aus der Mode. Er vergleicht sich mit Hiob, dem Gott alle nur erdenklichen Prüfungen auferlegt. Am Ende steht seine Einsicht, dass "nicht meine Kunst mich am Leben erhalten hat, sondern die Menschen, die ich geliebt habe".

Die Autorin vermag es, die Massen und Farben gut zu verteilen - in gewissem Sinne konkurriert sie mit dem Medium Malerei - und sucht mit ihrem Text Effekte zu erzielen, die der der Malerei Rembrandts ähnlich sind. Sie kann erzählen, und die oben erwähnten Schwächen fallen demgegenüber weniger ins Gewicht.

Rezensiert von Gertrud Lehnert

Sarah Emily Miano: Rembrandt van Rijn
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke
Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 2007, 461 Seiten