"Der Markt muss dem Produkt Buch gerecht werden"

Moderation: Jürgen König · 16.03.2006
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels will prüfen, ob die Kostenbeteiligung von Verlagen an Umbauten und Neueröffnungen bei Buchhandelsketten den Wettbewerbsregeln entspricht. Es müsse geprüft werden, ob diese Strategie grundsätzlich dem Produkt Buch gerecht werde, sagte der Vorsteher des Börsenvereins, Gottfried Honnefelder, zum Beginn der Leipziger Buchmesse.
Jürgen König: Guten Morgen, Herr Honnefelder.

Gottfried Honnefelder: Guten Morgen, Herr König.

König: Über 2000 Aussteller aus 33 Ländern, 1800 Veranstaltungen. Dazu ein Börsenverein, der sagt, die Stimmung in der Buchbranche helle sich auf, ein Viertel der Buchhändler glaube, die Umsatzentwicklung werde in den nächsten Monaten gut. Und diese positive Stimmung werde sich auch auf die Buchkäufer übertragen. Herr Honnefelder, was macht Sie, was macht die Branche so optimistisch?

Honnefelder: Sie sind sensibel für Stimmungsnuancen. Die Hochstimmung, von der Sie anfangs sprachen, das würde ich nicht attestieren. Es ist ein gedämpfter Optimismus. Es ist eine gute Stimmung aber von einer Hochstimmung sind wir ganz weit weg, denn die wirtschaftliche Entwicklung des Buchhandels ist ja auch soweit weg nicht von der allgemeinen Entwicklung. Was unser Gewerbe ausmacht, ist aber dass wir nicht nur mit einem - Sie sagten es eben - mit einem Wirtschaftsgut Buch handeln, sondern auch mit einem Kulturgut. Und dieses Kulturgut ist Stimmungen unterworfen. Es ist auch abhängig von Utopien, von neuen Ideen, von Gedanken, die auf einen zukommen. Und das sind eigentlich die entscheidenden Dinge, von denen aus sozusagen man eine Prognose auf die Zukunft ziehen kann. Insofern ist der Buchhandel gut gestimmt. Die beiden vergangenen Jahre, wo wir nach vier Jahren des Rückgangs wieder nach vorne gegangen sind, glaubt die Branche in diesem Jahr halten zu können. Und vielleicht gibt es ja von außen auch noch Stimulanzen, die uns darüber hinaus führen.

König: Reden wir einmal vom Buchhandel. Die Buchhandelskette Thalia expandiert unvermindert weiter. Weltbild-Plus eröffnet nahezu im Monatsrhythmus neue Filialen, dazu gibt es Großanbieter, Hugendubel, Mayersche Buchhandlung, Buchhandel im Internet nicht zu vergessen. Das muss doch einen traditionellen Buchhändler in ziemlich große Alarmbereitschaft versetzen.

Honnefelder: Selbstverständlich. Der Wettbewerb nimmt zu, er ist im Augenblick im Handel sehr stark, er war zwischendurch auch bei den Verlagen sehr stark. Und das ist eine Herausforderung: Indem also unabhängige Buchhändler stehen zu den Filialunternehmen, die natürlich mit großer Finanzierungskraft antreten. Und hier muss vor allen Dingen den mittleren und kleineren Buchhandlungen etwas einfallen. Und so wie ich das sehe, tut es dies auch. Denn sie besinnen sich mehr und mehr auf ihre eigenen Kompetenzen, die sie haben, auf ihre Wettbewerbsvorteile, die sie haben. Und die liegen auch auf der Hand.

König: Also sich Spezialgebiete suchen?

Honnefelder: Sie können sich Spezialgebiete suchen. Aber sie … verfügen über ein fachkundlich hohes Know-how. Sie haben vielleicht Ideen, eben auf anderen Wegen sozusagen den Kunden an sich zu binden als andere. Wir werden sehen, wie diese Entwicklung weitergeht. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass der Konzentrationsprozess noch erheblich weiter zunimmt. Allerdings, und hier ist der Börsenverein sehr aufmerksam, soll dieser Konzentrationsprozess auch laufen nach den inneren Regeln, die unserem Produkt Buch angemessen sind. Denn das sind nun einmal doch andere Regeln als nur wirtschaftliche.

König: Jetzt hat ja vor einigen Wochen die Buchhandelskette Thalia von den Verlagen eine Neueröffnungsprämie für neue Filialen, für Umbauten, für größere Renovationen verlangt. Das hat für große Aufregung gesorgt. Was ist daraus eigentlich geworden? Wie ist der Stand der Dinge?

Honnefelder: Der Stand der Dinge ist der, dass der Vorstand des Börsenvereins im Januar beschlossen hat, sich dieser Sache nicht nur bei Thalia, sondern grundsätzlich anzunehmen und zu prüfen, ob das mit den Wettbewerbsregeln übereinstimmt. Mit den Verkehrsregeln, die wir haben, aber im Besonderen auch mit jenen inneren Regeln, von denen ich eben sprach, wie man dem Buch gerecht werden muss. Denn es geht nicht darum, dass alle Marktteilnehmer den rechtlichen Spielraum bis an die letzte Grenze ausnutzen können, ohne dass sie gleichzeitig dem Buch nicht mehr ganz gerecht werden.

König: Sie haben gesagt, die großen Messethemen für die Buchbranche seien in diesem Jahr die Volltextsuche online und die Auseinandersetzung um das Urhebervertragsrecht. Darüber wollen wir auch gleich noch reden. Vorher die Frage, das Thema Abhängigkeit der Verlage von den Händlern ist kein großes Thema mehr?

Honnefelder: Aber ja. Es gibt keinen Anlass, dass das kein großes Thema mehr ist. Die Nachfragemacht ist so stark geworden, dass vor allen Dingen Verlage, die nicht für den Mainstream produzieren und nicht Bücher machen, die sowieso erwartet werden, sondern die Bücher machen, die ihrer Zeit vielleicht fünf Minuten voraus sind, wo nicht direkt jeder zugreift, die aber vielleicht in zehn Jahren die Seller der Nation sind, dass solche Verlage vom Buchhandel weniger eingekauft werden als früher. Die Bereitschaft, solche Dinge zu disponieren und sich auch hier ins ökonomische Wagnis hineinzubegeben, die schwindet im Handel natürlich durchaus.

König: Zumal ja auch die Filialistenkonzepte, wie ich einer Studie entnommen habe, von den Kunden sehr gut angenommen werden.

Honnefelder: Ja nun. Es ist gar keine Frage, das wird Ihnen wie mir nicht anders gehen, dass ein gewaltig großes Buchangebot an Titeln, nehmen Sie mal ein Buchhaus mit 50.000, 60, 70, 80.000 Titeln, das ist natürlich eine Lust, dort zu stöbern. Aber dem gegenüber gibt es natürlich auch ein eben feiner selektiertes Sortiment, wo man sehr genauer hinguckt.

König: Die Buchpreisbindung steht und die Frage danach ist glaube ich so alt, wie die Buchpreisbindung selber. Kann der Druck eines Monopolisten so groß werden, dass sie fällt?

Honnefelder: Nein. Ich glaube nicht, dass das eine direkte Auswirkung auf die Preisbindung hat. Es geht ja darum, dass die Preisbindung nicht verwendet werden darf gegen sich selbst. Also wenn wir feststellen müssten, dass sozusagen die Subkultur mit der Kultur spielt, dann ist es nicht mehr in Ordnung. Und seien Sie versichert, da werden wir ein waches Auge drauf werfen.

König: Kommen wir mal zu den Messethemen, wie Sie sagen, auch in der Buchbranche findet der Aufbruch ins digitale Zeitalter statt. Beim Börsenverein hat der Vorstand grünes Licht für die Volltextsuche online gegeben. Können Sie uns noch einmal erklären, wie das funktionieren soll?

Honnefelder: Ja, wir alle wissen mit den großen Suchmaschinen umzugehen. Und es ist gar keine Frage, dass diese großen Suchmaschinen auch interessiert sind, ganze Buchinhalte - also einen ganzen Roman oder ein ganzes Sachbuch oder anderes - zur Verfügung zu stellen. Da geht es natürlich um eine der wichtigsten Aufgaben des Verlegers überhaupt: um die Sicherung der Rechte des Autors an dieser Geschichte. Insofern hat der Börsenverein gesagt, wir müssen sehr vorsichtig sein und danach gucken, dass wir die Wahlfreiheit der Autoren - zu sagen, wo ihre Bücher in digitaler Form angeboten werden oder nicht -, dass wir die Wahlfreiheit der Verlage, die auch sagen können, wo oder wo nicht, dass die globale Vertriebsfreiheit, dass also im Grunde genommen all die Rechte, die vom Autor her abgeleitet werden, dass die gewahrt werden. Und deshalb hat der Börsenverein gesagt, wir brauchen eine eigene dem Buch gemäße Suchmaschine. Und dazu wollen wir die Grundgegebenheiten aufbauen, damit jedes Mitglied im Börsenverein daran partizipieren kann.

König: Nennen wir Ihren Konkurrenten, Google will auch die Bücher der Welt digitalisieren.

Honnefelder: Das ist kein Konkurrent.

König: Na gut, aber sozusagen die Alternative, die ein Autor oder ein Verlag hätte. Und Google hat im Moment das bessere Know-how. Wie wollen Sie das ausgleichen?

Honnefelder: Es geht ja nicht hier um Wettbewerb mit Google. Bitte vergessen Sie das ganz schnell, das sind ganz unterschiedliche Welten. Wir können uns sehr gut vorstellen, dass die Sicherung der Inhalte, wie wir sie dann sozusagen anbieten, auch für Google sehr interessant ist, die es dann weitergeben. Es geht um ein Prinzip, sozusagen die Texte selbst und die Verfügungsgewalt in der Hand zu behalten.

König: Bis zum Frühjahr wollten Sie 100 Verlage für dieses Projekt gewinnen. Ist das gelungen?

Honnefelder: Ich glaube, dass es nicht nur 100 sind. Es gibt noch keine Umfragen. Das sind bereits jetzt mehr.

König: Die die Bücher erst ermöglichen, die Schriftsteller, lassen Sie uns über sie zuletzt sprechen. Die Buchbranche hat im letzten Jahr Gewinn erwirtschaftet mit über 55 Prozent. Ist daran die fremdsprachige Literatur beteiligt? Das ist ein sehr, sehr hoher Anteil. Was machen unsere deutschen Autoren, dass sie nicht so gerne gelesen werden, wie die ausländischen?

Honnefelder: Ja, hier müssen Sie ein bisschen die Statistik hinterfragen. Die fremdsprachige Literatur hat am gesamten Buchumsatz einen Anteil von gerade einmal 2,7 Prozent. Und im vergangenen Jahr sind 30 Prozent mehr neue Titel, also mehr neue Bücher erschienen. Und deshalb ist dieser enorme Zuwachs von 55 Prozent erklärlich. Es ist also nicht so, als ob bei uns plötzlich die Lesesucht ausgebrochen wäre, alles was fremdsprachig ist, lieber zu lesen.

König: Na gut, aber die großen Auflagen, einmal abgesehen von Daniel Kehlmann und vielleicht in Zukunft Clemens Meyer, die großen Auflagen machen ausländische Autoren.

Honnefelder: Ja, ja, das ist schon richtig. Aber das ist nun wahrlich nichts Neues. Als ich vor über 30 Jahren im Verlagswesen meine Tätigkeit begann, da standen auf den Spiegel-Bestsellerlisten fast nur fremdsprachige Titel.

König: Sehen Sie die Tendenzen, dass sich das ändern könnte?

Honnefelder: Im Augenblick haben wir wieder ein sehr großes - Sie haben es ja gerade gesagt - ein sehr großes Interesse an der deutschsprachigen Literatur. Und der Börsenverein tut eine Menge daran, dieses Interesse eben nicht nur im Inland zu behalten, nicht nur dass wir eben für jüngere Autoren, wie Kehlmann oder Arno Geiger, der den Buchpreis bekam, große Auflagen zu erhalten. Sondern dass wir vor allen Dingen im Ausland mit diesen Büchern gehört werden. Denn wenn Sie sehen, in welchen Quoten wir ausländische Literatur übersetzen, und umgekehrt wie klein die Quoten sind, in der unsere Bücher im Ausland gelesen werden, dann ist da ein Notstand. Und wir müssen dringend etwas tun, dass die deutschsprachige Stimme gestärkt wird. Und vergessen Sie nicht, das Deutsche gehört nun einmal nicht zu den großen Sprachen, die auch in der UNO und in der UNESCO geführt werden.

König: Die Buchbranche: guten Mutes in aufregenden Zeiten. Ein Gespräch mit Gottfried Honnefelder.