Der Leuchtturm als Schule der Existenz

15.12.2010
Der Schriftsteller und Journalist Jean-Pierre Abraham wurde 1936 in Nantes geboren, der Hauptstadt der alten Provinz Bretagne. Seinen Aufenthalt auf dem Leuchtturm Armen Anfang der 60er Jahre hielt er in einem Tagebuch fest, das zu einem beispiellosen Zeugnis der Einsamkeit wurde.
Der Leuchtturm Armen ruht auf einem lediglich 100 Quadratmeter großen Felsen vor der bretonischen Küste, er ragt kaum aus dem Meer. So muss man ständig den Eindruck haben, auf dem Nichts zu stehen, praktisch zu schweben. Das schöne, erstaunliche Titelbild des Buches ist also nur wenig übertrieben: Da schaut nur das obere Drittel mit der Laterne aus dem dunkelblauen Meer.

Die Errichtung des Leuchtturms erforderte übermenschliche Anstrengungen. 14 Jahre dauerte der Bau, von 1867-81, man konnte immer nur ein paar Stunden pro Jahr mauern, eine Knochenarbeit, die an Sisyphos erinnert haben muss; Abraham schreibt darüber ganz am Schluss einige Sätze.

Aber was ihn interessiert, ist das Phänomen totaler Einsamkeit. Die Leute nennen den Turm die "Hölle der Höllen". Tatsächlich scheint er sich außerhalb dieser Welt zu befinden, mithin der richtige Ort zu sein, Abrahams Lebenswunsch zu erfüllen, nämlich "jene Einsamkeit zu erreichen, über die es nichts mehr zu sagen gibt".

Erst dann wohl hat man die pure Existenz erreicht, sie wird hier gesucht, nicht der Sinn des Lebens. Und dazu hat er dann doch etwas zu sagen, Tiefgründiges, Kluges. Erst wer die Angst kennt, kann mit Rettung rechnen, zum Beispiel. Etwas Misanthropisches hat das Unternehmen doch, vielleicht ist es nicht anders zu machen. Zwar versieht man seinen Dienst auf dem Leuchtturm immer zu zweit, aber der Kollege, der einmal Martin, einmal Clet heißt, ist beinahe ein notwendiges Übel. Clet "redet viel zu viel". Und Martin hat einen "grässlich bleichen Schädel", der tatsächlich einem Totenkopf gleicht. Erst in der Todesgefahr, als Wasser in den Turm eindringt, erkennt der Erzähler den Freund in ihm.

Die Existenz des Einsiedlers, die er auf dem Turm zu führen lernt, bleibt ihm dennoch wichtiger, eben existenzieller: "Ich mag dieses Dasein, das sich so wenig aus der Welt da draußen macht, ich liebe seine Art, zur Ordnung zu rufen. "Das Treppenhaus des Turms – ist es nicht eine Art Kreuzgang? Der Leuchtturmwärter – ist er nicht eine Art Mönch? Mit dem Weg über die Geduld erlernt er hier die Intensität, hier kann man neben sich treten und zugleich in sich ruhen. Am Ende, denkt er, kann er vielleicht sogar ein "guter Steuermann" werden, der "Sorglosigkeit und Streitsucht" in sich vereint – eine weise und humorvolle Erkenntnis.

Drei Bücher begleiten seinen Aufenthalt: ein Bildband von Vermeer, in dessen "Briefleserin" er "das blanke Antlitz der Angst" erkennt, eine Gedichtsammlung von Pierre Reverdy, einem surrealistischen, später religiösen Dichter und Freund von Picasso, Braque und Matisse, sowie ein Buch über ein Zisterzienserkloster, "das ich zweifellos nie besuchen werde", schreibt Abraham. Braucht er auch nicht, er war auf dem Leuchtturm.

Besprochen von Peter Urban-Halle

Jean-Pierre Abraham: Der Leuchtturm
Aus dem Französischen von Ingeborg Waldinger
Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2010
160 Seiten, 17,95 Euro