"Der letzte Wolf" von Jean-Jacques Annaud

Ein friedliches 3D - kein Actionfilm

Der französische Filmregisseur Jean-Jacques Annaud
Der französische Filmregisseur Jean-Jacques Annaud © AFP / Damien Meyer
Patrick Wellinski im Gespräch mit Jean-Jacques Annaud · 24.10.2015
Der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud ist für "Der letzte Wolf" in die unberührte Landschaft der Inneren Mongolei gezogen. Und auch wenn er in 3D gedreht hat, betont er: "Ich habe ein sehr friedliches 3D gemacht. Das hat nichts mit Actionfilmen zu tun."
Der letzte Wolf - so heißt der neue Film des französischen Regisseurs Jean Jacques Annaud. Der Film basiert auf dem chinesischen Bestseller "Der Zorn der Wölfe" und erzählt die Geschichte eines Studenten, der in den 1960er Jahren ein paar mongolischen Nomaden die Bildung näher bringen soll. So lernt er ihre Kultur kennen und vor allem ihre Liebe zu den Wölfen, die aber von den chinesischen Behörden gejagt werden. "Der letzte Wolf" ist komplett mit chinesischem Geld gedreht, hat in der Volksrepublik alle Kinorekorde gebrochen und kommt nächsten Donnerstag in unsere Kinos. Ich habe Jean Jacques Annaud zum Interview getroffen und wollte zunächst von ihm wissen, wie es dazu kommt, dass ein französischer Regisseur einen chinesischen Bestseller verfilmt?
Jean-Jacques Annaud: Da kamen halt sehr charmante Produzenten zu mir nach Paris und sagten mir ganz offen, wir können diesen Film noch nicht so drehen, wie Sie das können. Und wir wollen eigentlich gar keinen amerikanischen Regisseur dafür haben. Ich wusste natürlich, dass es sich um ein sehr schwieriges Sujet handelt und dass es hier um eine chinesische Problematik geht. Und dann gab es sehr viele Aspekte, die mich dann doch sehr interessiert haben. Einerseits ist es eben ein Film über China, aber vor allem eben auch über die Innere Mongolei. Und dann war es auch ein Film über Wölfe, und meine chinesischen Kollegen sagten ganz offen, wir können das so nicht inszenieren, wir können keine Wölfe inszenieren, so, wie Sie Tiere inszenieren können. Das war einfach auch ein phänomenales Buch, ich glaube, ich habe nur alle zehn Jahre so eine Art Kulturschock, wenn ich ein Buch lese.
Beispielsweise war mir das auch so bei Umberto Ecos "Name der Rose" gegangen, wo man zunächst natürlich denkt, es ist unmöglich, dieses Buch zu verfilmen, aber ich sagte mir schon damals bei Eco, ich werde es mal versuchen und habe dann 17 Drehbuchfassungen geschrieben. Und dieses Buch hier, "Der letzte Wolf", das kann man auf verschiedene Art und Weise lesen. Das ist ein Abenteuerroman, man kann es als einen ethnologischen Roman lesen, es geht um die Kulturrevolution. Es gibt ganz viele Dinge, man kann auch eine zarte Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann und einem Wolf einfach nur inszenieren, das steht als Symbol vielleicht auch für das, was Wölfe und Lämmer ausmachen, für Mongolen und Chinesen. Also, da ist so viel drin, es ist so vielschichtig, es erinnerte mich doch dann wieder an Umberto Ecos "Im Namen der Rose". Das war damals ein Thriller, der im Mittelalter spielte, politische Kommentare auch zur heutigen Zeit, zum Beispiel, wenn Wissen verboten wird. In dem Fall war auch dieses Buch, dieses chinesische Buch, eine so reichhaltige Quelle, dass es mich fasziniert hat. Und ich habe mich schon immer für die Mongolei interessiert, für die mongolische Kultur interessiert, und ab und zu filme ich auch ganz gerne Tiere. Und diese Mischung, die ich in diesem Buch fand, das war schon etwas Seltenes. Und dann kam noch eine interessante Geschichte hinzu: Als ich dann unseren späteren Wolf-Trainer, der in Kanada lebt, sagte er sofort, oh, ich höre einen französischen Akzent. Ich weiß, warum Sie anrufen, Sie wollen bestimmt "Der letzte Wolf" verfilmen, und Sie sind garantiert Jean-Jacques Annaud. Das war ein lustiger Zufall, aber ich kam dann wohl mit diesem Film im richtigen Moment. Und dann habe ich auch herausgefunden, als ich einmal in China in der Filmhochschule war, dass meine Filme dort sozusagen zu Pflichtaufgaben der chinesischen Studenten gehören. Es gab also doch sehr viele Gründe, warum ich dann vielleicht doch der Richtige war.
Nach Kamerun im Auftrag des Kulturinstituts - ein Kulturschock
Patrick Wellinski: Sie haben ja schon gesagt, dass Sie sich sehr für die mongolische Kultur interessieren. Und in der Tat ist das ein Film, der darüber handelt, dass ein Student in die Mongolei geht, um den Nomaden dort Lesen und Schreiben beizubringen. Und er verfällt dieser Kultur, natürlich auch der Liebe zu den Wölfen. Wie recherchieren Sie so was? Was lesen Sie? Oder sind Sie dort vor Ort?
Annaud: Dieser junge Mann bin in gewisser Weise auch ich, weil genau in demselben Jahr, genau zu dieser Zeit, als dieser junge chinesische Student in die Innere Mongolei geschickt wird, hat man mich nach Kamerun geschickt, und ich sollte dort im Auftrag des Filminstituts Unterricht geben. Für mich war das damals auch ein Kulturschock, und ich verstehe sehr wohl, was für ein Wunder es ist, wenn man sich einer anderen Kultur, einer anderen Landschaft öffnet. Und ich weiß auch, was die Kultur der Nomaden bedeutet, wenn man eben nicht sesshaft ist, wenn man einfach nur dahin geht, wo es gut für das Vieh ist, wo gutes Gras wächst. Ganz andere Perspektiven öffnen sich den Nomaden im Vergleich zum Beispiel zu denen, die dann irgendwo sesshaft leben.
Und das habe ich auch direkt in Afrika erlebt. Bei der mongolischen Kultur war es schon so, dass ich schon als Kind total fasziniert war, wie aus so einem kleinen Land mit so wenigen Einwohnern von vielleicht gerade mal einer Million das größte Weltreich der Geschichte werden konnte. Weil das größte Weltreich der Geschichte war nicht das Römische Reich, sondern das Mongolische Reich. Und einer der Gründe, warum sie so erfolgreich waren, liegt darin, dass sie die Kriegsstrategie der Wölfe kopiert haben. Asien ist ein Kontinent, der mich auch filmisch immer wieder fasziniert hat. Ich habe dort mehrere Filme gedreht, wie "Der Liebhaber" oder "Sieben Jahre in Tibet", aber auch "Zwei Brüder", den ich in Kambodscha gedreht habe. Das sind alles Filme, die in Asien entstanden sind, und in dem Fall, die Kultur der Wölfe, die chinesische Kultur, die mongolische Kultur, und das alles während der Kulturrevolution, das hat mich fasziniert.
Wellinski: Ihr Film erzählt von einer totalen Freiheit, nach dem Wunsch nach einer Freiheit, einer innerlichen für Tiere, aber auch für Menschen. Und dann drehen Sie einen Film in einem Land, das gerne diese Freiheit beschneidet. Hatten Sie Probleme, und sehen Sie auch dieses Problem für Ihren Film?
Annaud: Sicherlich bestand diese Gefahr, und ich hatte da auch wirklich Bedenken. Es gab ja auch sehr viele Bespiele von chinesischen Kollegen, die enorme Probleme mit Ihren Filmen hatten. Aber als diese chinesischen Produzenten damals zu mir nach Paris kamen, sagten sie mir sofort, fühlen Sie sich bitte frei, wir vertrauen Ihnen. Und ich sagte, warum, und sie antworteten, weil Sie Asien lieben, weil Sie China lieben. Trotz eines Filmes wie "Sieben Jahre in Tibet". Sie lieben die Natur. Wir wissen, dass wir in China ein Problem haben mit Umweltzerstörung, dass wir unsere Natur besser schützen müssen. Dieses Gespräch fand 2008 statt. Mittlerweile, heute, das wissen Sie auch, sind die Offiziellen in China sehr viel offener geworden, wenn es um das Thema der Umweltzerstörung geht, um Gifte im Wasser, im Essen. Das wird heute alles thematisiert. Das war 2008 aber noch nicht der Fall. Und trotzdem garantierte man mir die Freiheit, das ich den Film so machen könne wie ich wollte. Und ich muss auch sagen, die Dreharbeiten waren sehr angenehm. Und bis zum Kinostart war ich trotzdem beunruhigt.
Ich kann Ihnen versichern, dass in China genau die gleiche Fassung jetzt herausgekommen ist, die Sie auch gesehen haben, die auch in Amerika in die Kinos kommt. Aber so ganz sicher war ich mir meiner Sache nicht, weil ich hatte schon von Beispielen gehört, dass Filme dann auch in letzter Sekunde verschoben worden waren. Mir ist schon bewusst, dass ich da sehr privilegiert war mit dieser künstlerischen Freiheit, die man mir gegeben hat. Und ich erinnere mich dann auch wieder an Bernd Eichinger, mit dem ich "Der Name der Rose" gedreht habe, der mir auch sehr viele Freiheiten ließ, aber so eine Art freundlichen Druck auf mich ausübte. Ich durfte zwar das letzte Wort behalten, aber da war schon ein freundlicher Druck von Bernd Eichinger. Falls Sie ihn kennen, dann wissen Sie ja, wie extravagant und wunderbar er als Typ sein konnte. In diesem Fall jedoch, bei "Der letzte Wolf", haben mich die chinesischen Produzenten wirklich machen lassen, was ich wollte, und keiner hat sich eingemischt, man kam nicht mal bei mir in den Schneideraum. Und als ich in London mit James Hawner, der ja leider in diesem Sommer bei einem Flugzeugunglück verstorben ist, als wir beide am Soundtrack saßen, der nun wirklich nicht billig war, haben wir uns auch gefragt, warum kommt eigentlich keiner und mischt sich ein. Sie haben uns einfach vertraut. Und ein befreundeter Produzent in Hongkong hat mir noch mal bestätigt, dass dieses Vertrauen einfach darin lag, weil die Chinesen wussten, dass ich ihr Land mag, dass ich die Mongolei mag und dass ich Tiere mag, in dem Fall die Wölfe. Und dass die Chinesen eingesehen hatten, dass es besser sei, mir meine Freiheit zu garantieren und mich einfach meinen Film machen zu lassen.
"Leider ist es so, dass so viele dumme und so viele peinliche Filme auf 3D gedreht werden"
Wellinski: Letzte Frage, Herr Annaud. Ihr Film ist in 3D. War das für Sie von vornherein klar, und welchen Mehrwert hat 3D in diesem Film?
Annaud: Der Hauptgrund, warum ich mich für 3D entschieden habe, lag einfach darin: Ich wollte den Wölfen auch den Raum geben, den sie einnehmen. Und ich denke, ich habe ein sehr friedliches 3D gemacht. Das hat nichts mit diesen Actionfilmen zu tun, die jetzt die Kinos überschwemmen und die gar keine Story mehr haben. Und vergessen Sie nicht, dass ich in den letzten Jahrzehnten eigentlich der Erste war, der mit 3D wieder angefangen hat, einer Technik, die man eigentlich in den 60er-Jahren langsam vergessen hatte. Mein Film, "Wings of Courage", der in den IMAX-Kinos lief, hat da vielleicht auch eine ganze Bewegung wieder neu belebt.
Leider ist es nur so, dass so viele dumme und so viele peinliche Filme auf 3D gedreht werden. Aber wenn Sie mich jetzt interviewen, bin ich ja auch in 3D, und ich bombardiere Sie jetzt nicht, ich springe nicht auf Sie zu, und das Mikrofon, das Sie mir entgegenhalten, hat ja auch diesen 3D-Effekt. Also, was ich damit sagen will, ist, ich wollte, dass man so eine Erfahrung mit den Wölfen macht. Ein kleiner Wolf berührt einen ganz anders als ein erwachsener Wolf, bei denen alles in den Augen liegt, wo man genau spürt, was er denkt, wenn man ihm nur in die Augen schaut. Und viele mögen mittlerweile 3D-Filme nicht mehr, weil sie damit schlechte Filme assoziieren. Aber ich glaube, wenn man sich meinen Film in der 3D-Fassung anschaut, dann führt das zu mehr Realismus, zu einer größeren Nähe zu den Darstellern. Und mit den Darstellern meine ich auch die Wölfe. Insgesamt, glaube ich, ist es ein sehr angenehmes Seherlebnis, das zu sehr viel mehr Emotionen führt.
Wellinski: Thank you very much for your movie, for your time, and I wish you the best of luck. Merci beaucoup!
Annaud: Merci!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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