Der lakonische Slang der Wanderarbeiter
In Zeiten der verbreiteten Verarmungsangst werden Bücher mit sozialkritischem Appeal wieder entdeckt. So auch John Steinbecks Roman "Von Mäusen und Menschen", ein amerikanischer Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts, der jetzt als Hörbuch erschienen ist. Mit Ulrich Pleitgen ist der ideale Leser gefunden. Allein aus den spröden Dialogen heraus gelingt es Pleitgen, den Figuren akustisches Profil zu geben.
"Von Mäusen und Menschen" hat den Wanderarbeiterblues. 1937 erschienen, verarbeitet der kleine Roman Erfahrungen, die John Steinbeck selbst als herumvagabundierender Erntehelfer gemacht hatte, und spiegelt die Verelendung der Farmer in der Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre. Hunderttausende verließen damals Oklahoma, Arkansas, Missouri oder Texas und suchten ihr karges Auskommen in Kalifornien. "Okies" hießen diese Gestalten, die noch in den Songs eines Bob Dylan oder J.J. Cale Spuren hinterlassen haben.
Ein ungleiches Wanderarbeiter-Paar steht im Zentrum des Buches. Da ist Lennie Small, geistig ein zurückgebliebener Winzling, aber ein Riese an Gemüt und Körperkraft, der mit letzterer immer wieder ungewollt Schaden anrichtet. Mäuse und kleine Hunde muss er zwanghaft "streicheln"; nur leider sind seine Hände wie Schraubstöcke, weshalb das kleinformatige Getier seine Zärtlichkeiten meist nicht überlebt. George Milton, sein klügerer Begleiter, ist dem ungeschlachten Kumpel fürsorglich verbunden. Immer wieder versucht er ihn vor Schaden zu bewahren, auch wenn er sich lauthals darüber beschwert, dass er wegen Lennie zu nichts komme - worunter er vor allem ein lustiges Leben mit Alkohol und Frauen versteht. Insgeheim weiß er, dass nur die Sorge um Lennie seiner haltlosen Existenz so etwas wie "Sinn" gibt.
"Slim rückte ein wenig nach hinten, so dass das grelle Licht ihm nicht ins Gesicht fiel. 'Komisch, wie ihr zwei euch so zusammengetan habt. (...) Weißt ja, wie das mit den Arbeitern ist. (...) Scheinen sich nie aus einem anderen was zu machen. Ist komisch: So’n Bekloppten wie ihn, und einen gescheiten kleinen Kerl wie dich zusammen rumziehen zu sehen.'
'Er ist nicht bekloppt', sagte George. '(...) Und so gescheit wie du sagst, bin ich auch nicht, sonst würde ich nicht für 50 Dollar und Unterkunft Gerste aufladen.'"
Lennie und George träumen gemeinsam von einer schöneren Zukunft. Es muss ja nicht viel sein, ein kleiner Platz im Leben, ein "bisschen Land", "bloß etwas, das einem gehört." Die von Not und Gewalt geprägte Welt der Erntearbeiter sieht jedoch anders aus: Schuften auf einer Farm, ein paar Dollar sparen, um endlich der Abhängigkeit zu entkommen. Aber dann gehen sie doch nur wieder in die nächste Stadt und versaufen und verhuren ihr Geld. Lennie und George wollen diesem fatalen Kreislauf entkommen.
"'Aber uns kann das nicht passieren.'
Hier fiel Lennie ein: 'Aber uns nicht. Und warum nicht? Weil ich dich hab. Und du passt auf mich auf. Und du hast mich. Und ich pass auf dich auf. Darum.'
Er lachte entzückt.
'Jetzt erzähl weiter, George.'
'Du kannst es auswendig. Du kannst allein weiter machen.'
'Nein, du. Ich vergess manchmal was. Erzähl, wie es sein wird.'
'Okay. Eines Tages schmeißen wir unser Geld zusammen und kaufen ein kleines Anwesen und ein paar Hektar Land. Und eine Kuh und ein paar Schweine. Und ...'
'Und leben in Saus und Braus!', rief Lennie. 'Und haben Kaninchen. Los, George. Erzähl, was wir im Garten haben. Und von den Kaninchenställen, und vom Regen im Winter, und vom Ofen, und wie dick der Rahm auf der Milch ist, dass man ihn kaum schneiden kann. Erzähl es, George!'"
Die anrührende kleine Utopie rückt eines Tages in greifbare Nähe, als ein anderer Arbeiter, der alte Candy, ihnen sein gespartes Geld zuschießen will. Sie können es fast nicht glauben. Und es wird auch nichts daraus, denn da ist noch "Curleys Frau", eine aufreizend attraktive junge Person, die zwischen all den rauhen Kerlen wie eine Rose im Kürbisfeld wirkt. Auf der öden Farm packt sie vor Langeweile schier die Verzweiflung. Ihre Koketterie provoziert die Männer auf unterschiedliche Weise: den einen hängt die Zunge, George dagegen packt die Wut, weil er in Curleys Frau den "Köder fürs Kittchen" sieht. Auch Lennie, mit seinem animalischen Gespür für Gefahren, ergreift die Panik.
"Plötzlich rief Lennie: 'Ich mag den Ort nicht, George. Ist kein guter Ort. Ich will weg hier!'
'Wir müssen durchhalten, bis wir was verdient haben. Das ist nicht zu ändern, Lennie. Wir gehen weg, sobald wir können. Mir gefällt es hier genauso wenig wie dir.' (...)
Lennie drückte sich an ihn. 'Gehen wir weg, George. Komm, hauen wir ab. Iss gemein hier.'"
Wären sie doch "abgehauen"! Nun wird die selbst so unglückliche Femme fatale den beiden zum Schicksal. Eines Nachmittags, allein mit dem mächtigen Lennie in der Scheune, wird sie anschmiegsam. Aber als Lennie ihr übers Haar streicht, bekommt sie es mit der Angst zu tun. Was Lennie wiederum ganz nervös macht. Und hoppla - schon hat er ihr das Genick gebrochen. Er flieht und versteckt sich. George findet ihn; es kommt zu einem tödlichen Finale von ergreifender Melodramatik.
Das Buch lebt von den Dialogen im lakonischen Slang der Wanderarbeiter, die Mirjam Presslers Neuübersetzung so gut es geht ins Deutsche gebracht hat. Mit Ulrich Pleitgen ist der ideale Leser gefunden. Seine Stimme wirkt so ungeschliffen wie die "Okies" selbst. Rauchig und ruppig, dann aber wieder zu leisen, gemütvollen Tönen fähig. Das ist kunstvoll, aber niemals artifiziell. Allein aus den spröden Dialogen heraus gelingt es Pleitgen, den Figuren akustisches Profil zu geben.
Wir hören, wie Lennie zwischen überschießender Freude und bodenlosem Kummer schwankt, wie George, der Bedächtige, immer wieder in harsche Aggression ausbricht, oder wie sich der alte Candy sorgenvoll grämt, weil er befürchtet, ihm könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen wie seinem kranken Hund - der wurde einfach erschossen, weil die anderen seinen Gestank nicht mehr ausgehalten haben. Sie alle bringt Pleitgen zum Leben, so dass dieses Hörbuch zum wirklichen Hörerlebnis wird. Von "Mäusen und Menschen" ist mehr als eine Sozialreportage: ein menschliches Drama.
John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen
Aus dem Amerikanischen von Mirjam Pressler. Ungekürzt gelesen von Ulrich Pleitgen.
Verlag Hörbuch Hamburg, 2006. 3 CDs, 217 Minuten
Ein ungleiches Wanderarbeiter-Paar steht im Zentrum des Buches. Da ist Lennie Small, geistig ein zurückgebliebener Winzling, aber ein Riese an Gemüt und Körperkraft, der mit letzterer immer wieder ungewollt Schaden anrichtet. Mäuse und kleine Hunde muss er zwanghaft "streicheln"; nur leider sind seine Hände wie Schraubstöcke, weshalb das kleinformatige Getier seine Zärtlichkeiten meist nicht überlebt. George Milton, sein klügerer Begleiter, ist dem ungeschlachten Kumpel fürsorglich verbunden. Immer wieder versucht er ihn vor Schaden zu bewahren, auch wenn er sich lauthals darüber beschwert, dass er wegen Lennie zu nichts komme - worunter er vor allem ein lustiges Leben mit Alkohol und Frauen versteht. Insgeheim weiß er, dass nur die Sorge um Lennie seiner haltlosen Existenz so etwas wie "Sinn" gibt.
"Slim rückte ein wenig nach hinten, so dass das grelle Licht ihm nicht ins Gesicht fiel. 'Komisch, wie ihr zwei euch so zusammengetan habt. (...) Weißt ja, wie das mit den Arbeitern ist. (...) Scheinen sich nie aus einem anderen was zu machen. Ist komisch: So’n Bekloppten wie ihn, und einen gescheiten kleinen Kerl wie dich zusammen rumziehen zu sehen.'
'Er ist nicht bekloppt', sagte George. '(...) Und so gescheit wie du sagst, bin ich auch nicht, sonst würde ich nicht für 50 Dollar und Unterkunft Gerste aufladen.'"
Lennie und George träumen gemeinsam von einer schöneren Zukunft. Es muss ja nicht viel sein, ein kleiner Platz im Leben, ein "bisschen Land", "bloß etwas, das einem gehört." Die von Not und Gewalt geprägte Welt der Erntearbeiter sieht jedoch anders aus: Schuften auf einer Farm, ein paar Dollar sparen, um endlich der Abhängigkeit zu entkommen. Aber dann gehen sie doch nur wieder in die nächste Stadt und versaufen und verhuren ihr Geld. Lennie und George wollen diesem fatalen Kreislauf entkommen.
"'Aber uns kann das nicht passieren.'
Hier fiel Lennie ein: 'Aber uns nicht. Und warum nicht? Weil ich dich hab. Und du passt auf mich auf. Und du hast mich. Und ich pass auf dich auf. Darum.'
Er lachte entzückt.
'Jetzt erzähl weiter, George.'
'Du kannst es auswendig. Du kannst allein weiter machen.'
'Nein, du. Ich vergess manchmal was. Erzähl, wie es sein wird.'
'Okay. Eines Tages schmeißen wir unser Geld zusammen und kaufen ein kleines Anwesen und ein paar Hektar Land. Und eine Kuh und ein paar Schweine. Und ...'
'Und leben in Saus und Braus!', rief Lennie. 'Und haben Kaninchen. Los, George. Erzähl, was wir im Garten haben. Und von den Kaninchenställen, und vom Regen im Winter, und vom Ofen, und wie dick der Rahm auf der Milch ist, dass man ihn kaum schneiden kann. Erzähl es, George!'"
Die anrührende kleine Utopie rückt eines Tages in greifbare Nähe, als ein anderer Arbeiter, der alte Candy, ihnen sein gespartes Geld zuschießen will. Sie können es fast nicht glauben. Und es wird auch nichts daraus, denn da ist noch "Curleys Frau", eine aufreizend attraktive junge Person, die zwischen all den rauhen Kerlen wie eine Rose im Kürbisfeld wirkt. Auf der öden Farm packt sie vor Langeweile schier die Verzweiflung. Ihre Koketterie provoziert die Männer auf unterschiedliche Weise: den einen hängt die Zunge, George dagegen packt die Wut, weil er in Curleys Frau den "Köder fürs Kittchen" sieht. Auch Lennie, mit seinem animalischen Gespür für Gefahren, ergreift die Panik.
"Plötzlich rief Lennie: 'Ich mag den Ort nicht, George. Ist kein guter Ort. Ich will weg hier!'
'Wir müssen durchhalten, bis wir was verdient haben. Das ist nicht zu ändern, Lennie. Wir gehen weg, sobald wir können. Mir gefällt es hier genauso wenig wie dir.' (...)
Lennie drückte sich an ihn. 'Gehen wir weg, George. Komm, hauen wir ab. Iss gemein hier.'"
Wären sie doch "abgehauen"! Nun wird die selbst so unglückliche Femme fatale den beiden zum Schicksal. Eines Nachmittags, allein mit dem mächtigen Lennie in der Scheune, wird sie anschmiegsam. Aber als Lennie ihr übers Haar streicht, bekommt sie es mit der Angst zu tun. Was Lennie wiederum ganz nervös macht. Und hoppla - schon hat er ihr das Genick gebrochen. Er flieht und versteckt sich. George findet ihn; es kommt zu einem tödlichen Finale von ergreifender Melodramatik.
Das Buch lebt von den Dialogen im lakonischen Slang der Wanderarbeiter, die Mirjam Presslers Neuübersetzung so gut es geht ins Deutsche gebracht hat. Mit Ulrich Pleitgen ist der ideale Leser gefunden. Seine Stimme wirkt so ungeschliffen wie die "Okies" selbst. Rauchig und ruppig, dann aber wieder zu leisen, gemütvollen Tönen fähig. Das ist kunstvoll, aber niemals artifiziell. Allein aus den spröden Dialogen heraus gelingt es Pleitgen, den Figuren akustisches Profil zu geben.
Wir hören, wie Lennie zwischen überschießender Freude und bodenlosem Kummer schwankt, wie George, der Bedächtige, immer wieder in harsche Aggression ausbricht, oder wie sich der alte Candy sorgenvoll grämt, weil er befürchtet, ihm könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen wie seinem kranken Hund - der wurde einfach erschossen, weil die anderen seinen Gestank nicht mehr ausgehalten haben. Sie alle bringt Pleitgen zum Leben, so dass dieses Hörbuch zum wirklichen Hörerlebnis wird. Von "Mäusen und Menschen" ist mehr als eine Sozialreportage: ein menschliches Drama.
John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen
Aus dem Amerikanischen von Mirjam Pressler. Ungekürzt gelesen von Ulrich Pleitgen.
Verlag Hörbuch Hamburg, 2006. 3 CDs, 217 Minuten