Der Kurator als Künstler

Rezensiert von Rudolf Schmitz · 27.04.2006
Der Schweizer Harald Szeemann war einer der einflussreichsten Ausstellungsmacher der letzten Jahrzehnte. Der Kunstkritiker Hans-Joachim Müller zeichnet die künstlerische Vision und den Lebensweg des 2005 verstorbenen, visionären Kunstregisseurs nach. Neben Szeemanns Arbeit als Kurator und Ausstellungskonzepten stellt Müller die Geschichte der Kunst nach 1960 dar.
Hans-Joachim Müller, langjähriger Kunstkritiker der Zeitung "ZEIT", heute freier Autor für "FAZ", "ZEIT" und "art-Magazin", macht keinen Hehl daraus, dass er eng mit Szeemann befreundet war und seine "Werkchronik" des Ausstellungsmachers von Sympathie, Geistesverwandschaft und Trauer durchzogen ist: So einen wird es so schnell nicht mehr geben.

Vor allem müsse gesagt werden, dass Szeemann einen Beruf erfunden habe, den es bis dahin nicht gab: den des reisenden, ungebundenen und risikobereiten Kunstregisseurs. Erst jetzt, im Rückblick auf die Staunen erregende Menge seiner kuratierten Ausstellungen werde deutlich, wie die eine den ausgerollten Faden der anderen weiterspann, wie sie sich alle einer Erregungslogik verdankten, die Szeemanns vitalem Umgang mit der Kunst zugrunde lag.

Chronologisch zwar, aber anhand von Begriffen wie Freiheit, Energien, Körper, Utopien, Stille, Zwischenräume und Weltkunst verfolgt der Autor diese Erregungslogik, diese Suche nach der Intensität der künstlerischen Position und Aussage. Entscheidende Stationen wie "When Attitudes become Form", Kunsthalle Bern, 1969, oder die Documenta 1972 münden in die Vorstellung vom "Museum der Obsessionen", das Szeemann im Laufe seines Lebens anfüllt mit den "Spinnern" und "Pionieren der Imagination", die jene Intensität mitbringen, die der offizielle Kunstbetrieb vermissen ließ.

Nach der Revue der Denkschulen und Fantasiegattungen - Junggesellenmaschinen, Monte Verita, Hang zum Gesamtkunstwerk - findet Szeemann dann zurück zum stillen, nur für sich stehenden Werk. Er wird zum weltweit meistgesuchten und meistbeschäftigten Ausstellungsmacher, zum Spezialisten für großflächige Panoramen, für hallenweite Kunstcamps, für Biennalen in Kwangju, Lyon, Venedig.

War er womöglich doch der erste Künstler unter seinen Künstlern, fragt Müller zum Schluss, um dann salomonisch zu antworten: Zumindest war er der Künstler unter den Ausstellungsmachern.

Das Buch ist gewinnbringend gescheit, auf Augenhöhe mit Harald Szeemann geschrieben. Es fällt manchmal etwas zu sehr in einen verzwickten, sprachlichen Duktus seines verehrten Vorbildes. Die mögliche Kritik am Szeemann der späten Jahre wird angedeutet - Routinier, Szeemann-Groove, Obsessionen-Medley - aber nicht wirklich erwogen. Es gibt und gab nur Szeemann, keine anderen Kuratoren kommen als Vergleichsmodelle in Betracht.

Die Begriffskapitel sind von Fotos der jeweiligen Ausstellungsarenen begleitet, ebenso von sehr persönlichen Fotos des Kurators - Szeemann im Ringelhemd, bartlos, mit verträumten Augen, als Protagonist seines Einmanntheaters in Bern, 1956.

Eine von Sympathie, Verehrung, Freundschaft und Wehmut getragene Hommage, der ein wenig mehr Distanz gut getan hätte. Nicht wenige Formulierungen bleiben hängen: "Obsession als heilungsbedürftige Besessenheit" zum Beispiel, oder: "Verwandlung der Kunstform in ihre Energiegestalt".

Für jeden der wissen will, was zum Teufel es mit diesem Harald Szeemann auf sich hatte und zugleich eine kleine Geschichte der Kunst nach 1960 sucht, bestens geeignet. Wer jedoch nicht unbedingt zur Fankultur neigt, wird sich gelegentlich schwer tun.

Hans-Joachim Müller: Harald Szeemann - Ausstellungsmacher
Hatje Cantz Verlag, 2006.
168 Seiten und 94 Abbildungen. 24,80 Euro