Der Kulturbetrieb und die Rechten in Mecklenburg-Vorpommern

In kulturpolitischer Hinsicht bislang nicht groß aufgefallen

Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald: Anhänger der Partei Alternative für Deutschland (AfD) laufen bei ihrer Demonstration unter dem Motto "Nein zum globalen Migrationspakt" durch die Altstadt.
In Greifswald demonstrierte die AfD unter dem Motto "Nein zum globalen Migrationspakt" © picture alliance/Stefan Sauer/dpa
Von Silke Hasselmann · 25.12.2018
Welche Folgen hat der Erfolg der AfD im Kunst- und Kulturbetrieb? In Mecklenburg-Vorpommern ist die Partei die zweitstärkste Kraft im Landtag, außerdem leitet ein AfD-Abgeordneter den Kulturausschuss. Ein Besuch im größten Theater von Mecklenburg-Vorpommern.
Humperdincks "Hänsel und Gretel" wird aufgeführt und den Takt im Schweriner Orchestergraben setzt ein hochaufgeschossener, graziler Afroamerikaner. "Ich heiße Michael Ellis Ingram und bin jetzt in meiner dritten Spielzeit am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin als Korrepetitor und Kapellmeister."
Als der aus Missouri stammende Ingram 2016 in Schwerin ankam, saßen fünf Abgeordnete der NPD im Landtag. Die Rechtsradikalen schafften den Wiedereinzug bei der Landtagswahl im September 2016 nicht. Doch statt das zu feiern, sahen auch viele Theaterkollegen in der AfD die nächste "große Gefahr von rechts für das Klima in Mecklenburg-Vorpommern".

Das Publikum ist intelligent genug

Allerdings: Von der Bühne herab plumpe Agitation "gegen rechts" zu betreiben ist Ingrams Sache nicht. Ähnlich sieht es der Intendant des Mecklenburgischen Staatstheaters, Lars Tietje: "Weil ich immer glaube, dass das Publikum eigentlich intelligent genug ist. Wenn Sie bestimmte Stoffe auf die Bühne stellen, dann müssen Sie sie nicht auch noch überhöhen, indem Sie sagen: 'Hier - Achtung Zeigefinger! - damit ist jetzt unsere aktuelle Situation gemeint' Aber das ist echt eine Geschmackssache. Es gibt auch viel Publikum, die sagen: 'Das wollen wir sehen. Wir wollen es noch mal unterstrichen haben!' Und deshalb hat beides seine Berechtigung."
Dass sich das Betriebsklima am Mecklenburgischen Staatstheater in den letzten beiden Jahren extrem verschlechtert hat, hat freilich nichts mit der AfD zu tun. Ein Hauptgrund laut Intendant Tietje: die Zumutungen der Theaterreform. Das Land sei in Gestalt der SPD-geführten Ministerien für Kultur und für Finanzen Mitgesellschafter des Schweriner Theaters und erwarte auch einen Stellenabbau.

Will man so vertreten werden?

"Also es ist eher so, dass sich die AfD für das Theater stark macht. Da gab es jetzt eine Theaterdebatte im Sommer um den Theaterpakt, und 'Morgen werde ich mich für das Theater einsetzen!' Also, es ist eher so rum, dass man sich die Frage stellen muss: 'Will man so vertreten werden?' Aber es gibt keine direkte Einflussnahme. Schon mal gar nicht, was unsere Spielpläne oder so angeht", sagt der Intendant.
Nur knapp 500 Meter entfernt vom Theatergebäude steht das Schweriner Schloss, das den Landtag beherbergt. Dort sitzt für die AfD auch der 63-jährige Jörg Kröger. Als Vorsitzender des Bildungs- und Kulturausschusses ärgert er sich besonders über die langlebige Unterstellung aus Wahlkampfzeiten, AfD-Politiker wie er wollten die Spielpläne "deutscher" machen und das Theater entpolitisieren.
"Das ist eigentlich Blödsinn. Ganz im Gegenteil. Ich möchte nicht, dass das Theater hier irgendwie zum Komödienstadl verkommt, wo nur noch Schwänke gespielt werden. Sicher, so was gehört auch zum Programm. Aber ich bin der DDR sozialisiert, sage ich immer. Da war das Theater ja richtig gesellschaftskritisch, und gerade das Schweriner hat hier mit Christoph Schroth ganz große Sachen gemacht", so Kröger.

Politische Scherze untersagt

Doch die Zeiten von 1974 bis 1989, als Christoph Schroth hier Schauspieldirektor war, sind lange vorbei. Heute komme leider auch Mecklenburg-Vorpommerns größtes Vollspartentheaterhaus ziemlich handzahm daher - also dem politisch korrekten Zeitgeist folgend, sagt der langjährige Premierenabonnent vom Verein der Schweriner Theaterfreunde: "Wenn man sieht, dass selbst der Intendant zum letzten Theaterfest quasi politische Scherze untersagt hat. Das hat mich schon irritiert, muss ich sagen."
In kulturpolitischer Hinsicht ist die AfD bislang nicht groß aufgefallen. Doch die Ziele fasst Jörg Kröger so zusammen: Rettung noch unsanierter Gutshäuser vor dem endgültigen Verfall, mehr deutschsprachige Schlagermusik im Radio, Restitution von Kunst, die sich der DDR-Staat einverleibte, Ausbau der niederdeutschen Fritz-Reuter-Bühne, Entideologisierung der staatlichen Kulturförderung.

Kunst braucht immer Zuschüsse

"Also die Kunst- und Kulturszene kann sich in der Regel nicht von sich selbst ernähren. Die braucht immer Zuschüsse. Wir erleben nur jetzt im Moment, dass diese Zuschüsse sehr stark ideologisiert werden, so dass "Demokratie" und "Toleranz" und "Weltoffenheit" in der Überschrift stehen müssen, um an Fördermittel für Kunst- und Kulturprojekte heranzukommen", erläutert Kröger.
Das benachteilige laut Jörg Kröger oft regionale Kultur- und Heimatvereine. Zurück ins Große Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters. Kapellmeister Michael Ellis Ingram erzählt, wie er mit dem vermeintlichen Rechtsruck in Mecklenburg-Vorpommern umgeht, vor allem mit der fließenden Grenze zwischen Vorurteil und verständlicher Sorge von Einheimischen gegenüber Ausländern.
"Die Leute wollen nicht, dass die eigene Kultur zugrunde geht. Sie wollen, dass die Kultur bewahrt wird, bereichert wird. Das will ich ja auch. Und ich mache das auch ganz plastisch und konkret. Also nachher dirigiere ich die Wiederaufnahme von 'Hänsel und Gretel'. Das ist ja deutsches Kulturgut schlechthin. Anderes Beispiel: Ich bin sehr häufig mit der Fritz-Reuter-Bühne unterwegs und habe auch viele Lieder auf Plattdütsch für sie komponiert. Ich durfte auch mit einigen Liedern von mir auftreten bei der Eröffnung des Plenarsaales, und mir war ganz bewusst, dass die Kollegen von der AfD zu meiner Rechten saßen. Und das war eine Gelegenheit zu sagen, zu zeigen: Wir gefährden die Kultur hier nicht. Wir bereichern sie. Also wir Ausländer", erzählt Ingram.
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