"Der Krieg der Welten" auf der Bühne

Wir glauben, was wir glauben möchten

04:54 Minuten
Szene aus dem Film "Krieg der Welten"
Die Marsianer kommen! Ihnen sind die Rohstoffe ausgegangen - und auf der Erde gibt es unglücklicherweise welche. © dpa/ Zpress
Von Natalie Klinger · 10.01.2019
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Ein Radiohörspiel von H.G. Wells' Science-Fiction-Roman "Krieg der Welten" soll 1938 in den USA eine Massenpanik ausgelöst haben - eine Medienlegende, wie man heute weiß. Nun zeigt das Londoner New Diorama eine Bühnen-Adaption - mit aktuellen Bezügen.
"It’s coming this way, about 20 yards from my right ..."
So ähnlich muss es überall aus Wohnzimmern in den USA geschallt haben, damals, 1938, als Radios noch so groß wie Kommoden waren und Amerika live mitbekam, wie ein Reporter von Aliens verbrannt wurde. Oder zumindest glaubten sie das – viele hatten den Anfang von Orson Welles' Hörspiel verpasst und damit die wichtige Info, dass es sich um Science-Fiction handelte.
Orson Welles bei der Aufnahme zum Hörspiel "War of the Worlds" am 30.10.1938 in New York
Orson Welles bei der Aufnahme zum Hörspiel "Der Krieg der Welten" in New York© picture alliance / dpa
Vier Darsteller spielen auf der Bühne Ausschnitte daraus nach. Sie wechseln ständig zwischen Zeitebenen und Handlungssträngen, haben mehrere Rollen, aber tragen stets die gleiche Stoffhose mit Hemd. Um folgen zu können, muss man genau hinschauen. Das CBS-Mikro als Requisite fürs Hörspiel. Der effektlose Klang der Stimme im Erzählmodus:
"I know what you’re thinking. Stupid Americans! They believed journalists had died and the army were being deployed, they believed it all."

Meena und ihr erster Podcast

Und dann ist da noch Meena: "I’m Meena, a YouTubber, Blogger and influencer. And in this podcast, my first ever podcast, I’m going to follow a story across oceans."
Meenas Erzählstrang transportiert das Material in die Gegenwart. Für ihren Podcast schleust sie sich in Grover’s Mill, dem realen Schauplatz des fiktionalen Geschehens damals, in eine Familie ein.
Wir erleben einen Ausschnitt Amerikas kurz vor der Präsidentschaftswahl. Beim Abendbrot wettert der Vater gegen diese eine chinesische Firma, die alle unabhängigen Geschäfte aufkauft, so vielleicht auch sein eigenes.
"One Chinese company is buying up all the independent businesses like we have and they’re taking them to China. Soon there’s going to be state law that says that I can’t employ someone unless they have Chinese heritage."

Die Chinesen kommen

Bald, meint er, dürfe er nur noch Mitarbeiter chinesischer Herkunft einstellen. Fake News natürlich – die, wie Influencerin Meena herausfindet, sein eigener Sohn aus dem Schlafzimmer in die Welt sendet. Nur, um mit den Klicks Geld zu verdienen. Das sei die Zukunft. RIP Print-Journalismus.
I’ve already seen a significant return. I do proper journalism, but print journalism, RIP, right, I mean this is the fucking future."
Meena empört sich, bis sie - und wir im Publikum – vom Sohn erfahren, dass wir selbst Opfer von Fake News geworden sind. Die Hysterie über die marsianische Invasion damals – das meiste davon Quatsch.
"It’s all bullshit, the hysteria, the reaction, ass what nonsense to sell papers."

Misstrauen gegenüber dem Medium

Zeitungen bauschten die Geschichte am Tag nach dem Hörspiel auf, um Misstrauen gegenüber dem neuen Medium Radio zu sähen, von dem sie sich bedroht fühlten.
Dabei ergab eine Umfrage unter 5000 Radiohörern am gleichen Abend, dass 98 Prozent gar nicht Orson Welles Hörspiel eingeschaltet hatten. Von denjenigen Befragten, die es gehört hatten, glaubte keiner daran, dass es echt sei. Wohl kaum eine Massenpanik.
Das wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.

Kern der Fake-News-Problematik

"The War of the Worlds" führt uns effektiv vor: Wir glauben, was wir glauben möchten. Davor ist niemand gefeit, auch kein liberales Theaterpublikum, das meint, auf der richtigen Seite der Falschinformationen zu stehen.
Das Stück trifft so den Kern der Fake-News-Problematik auf den Punkt. Was 1938 das Radio war, ist heute das Internet mit seinen neuen Formaten: An den Beispielen des Vaters, aber auch Meenas Podcast, zeigt sich, dass uns oft noch die Kompetenz fehlt, dort Fakt von Fiktion zu trennen.
"Was damals die Invasion der Marsianer war, ist heute das Smartphone in unseren Händen, der ständige Zugriff auf alle Katastrophen der Welt", sagt Autorin Isley Lynn. "Wir sollen heute vor zu vielen Dingen gleichzeitig Angst haben."

"Eine Idiotin wie wir alle"

Und wer sich Angst machen lässt, dem wird es schwer fallen, zu hinterfragen, wem mit dieser Angst eigentlich geholfen ist. Hätte Isley Lynn wohl damals an die Aliens geglaubt?
"Ich würde hoffen, dass ich es nicht geglaubt hätte. Aber ich bin eine Idiotin wie wir alle. Und wenn wir uns das mit weniger Scham eingestehen könnten, wie sehr wir Menschen Geschichten glauben wollen, dann wäre uns damit sehr gut getan."
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