Der kreative Rückzug der Fotografen

Von Jochen Stöckmann · 26.07.2013
In den Hamburger Deichtorhallen sind noch bis Mitte Oktober die besten Bilder, Bildstrecken und Bild-Kampagnen zu sehen, die im vergangenen Jahr in deutschen Magazinen, Zeitungen und im Netz zu finden waren. Die Besucher der Ausstellung dürfen dabei ihre eigenen Gewinner ermitteln.
Kein überragendes Einzelfoto, keine spektakuläre "Ikone" dominiert in diesem Jahr die Hamburger Schau der Anwärter auf die "Lead Awards", sondern visuelle Strömungen, fast schon Reklame-Tsunamis: Mediale Inszenierungen, wie jener freie Fall durch die Stratosphäre, der als Leitmotiv nicht nur eine Flut von Bildern nach sich zog, sondern auch eine Konsumenten-Community im Namen des beworbenen Muntermachers zusammenbrachte:

"Die Werbung begreift, dass sie das, was früher nur ein Medienprodukt konnte, nämlich eine Gemeinschaft von Lesern zu schaffen – Leser-Blatt-Bindung herzustellen – dass die Werbung heutzutage das selber kann. Das Tolle zum Beispiel an diesem Red-Bull-Strato-Projekt mit Felix Baumgartner bei dem freien Fall ist einerseits das Ereignis selbst – 17 Millionen Menschen vor dem Bildschirm – aber andererseits, dass sich das durch unglaublich viele Persiflagen und kleine Spots im Internet fortsetzt."

Für Markus Peichl, den Vorsitzenden der "Lead Award"-Jury, markieren diese von den Konsumenten selbst kreierten Werbebilder eine Zäsur: In Zeitungen und Zeitschriften geschaltete Einzelanzeigen verlieren an Bedeutung, die Erlöse in diesem Bereich brechen weiter ein. Eben erst hat Mathias Döpfner als Chef des Springer Verlags die Konsequenz gezogen und sich von traditionsreichen Printtiteln getrennt. Springer wird zum Medienhaus – und die Fotografen zu Content-Lieferanten, zu Produzenten von Allzweck-Bildern, die sich in Zeitschriften und Zeitungen ebenso verwenden lassen wie im Internetportal oder für das Tablet-Magazin.

"Wer diesen Weg geht, geht den Weg in die Beliebigkeit und wird sich als Zerstörer der Fotografie verdient machen. Vielleicht hätte Herr Döpfner sich diese Ausstellung vorher anschauen sollen, bevor er die Entscheidung getroffen hat sich von diesen Printtiteln, von diesen Zeitungen und Zeitschriften zu trennen. Wichtig ist, dass die Medienhäuser begreifen, dass die Fotografie für die jeweiligen Kanäle – Print, Online – eigene Mittel braucht und was für unglaubliche visuelle Kraft, was für unglaubliche Stärke in der Fotografie in Zeitungen und Zeitschriften zu finden ist."
Die Stärke ist ein Ergebnis der Krise: Weil kaum eine Redaktion noch Budgets für größere Reportagen hat, versuchen sich viele Fotografen notgedrungen selbst als Produzenten. Und dabei überlebt, wer individuelle Geschichten erzählen kann, wer sich abhebt von der modisch aufgepeppten, aber im Grunde immer gleichen "Content"-Massenware. Zum Beispiel ein Kriegsfotograf wie Christopher Anderson, der im "Zeit Magazin" die einfühlsame Langzeitbeobachtung "Die ersten Jahre mit meinem Sohn" präsentiert. Oder Lina Scheynius, ehemaliges Model, die als Autodidaktin mit unprätentiösen Farbfotos das "Tagebuch einer jungen Frau" aufblättert.

"Da gibt es eine ganz interessante Entwicklung: Die Fotografen beschäftigen sich dann auch sehr stark mit ihrem eigenen Umfeld. Dadurch werden die Arbeiten privater, intimer. Und das Erstaunliche ist, dass diese privaten und intimen Arbeiten sich aber massiv von dem unterscheiden, was wir an veröffentlichter Privatheit im Internet kennen. Der Blick ist dichter, der Blick ist intensiver, der Blick ist ruhiger, der Blick ist kontemplativer. Dass die Fotografie diesen Weg geht, ist eigentlich vor fünf, sechs oder sieben Jahren nicht zu erwarten gewesen."

Dieser kreative Rückzug ins Private hat sogar F.C. Gundlach überrascht, den großen alten Mann der Reportage- und Modefotografie: Bei einem ersten Gang durch die Ausstellung war er angetan von der "ruhigen Bildsprache" seiner jungen Kollegen. Es könnte eine trügerische Ruhe sein. Denn erfahrene Reporter wie Paolo Pellegrin haben – nachdem man sie durch hektische Kriegs- und Katastropheneinsätze längst verschlissen glaubte – die subversive Kraft der Bilder neu entdeckt. Mit Genehmigung der US-Behörden durfte der Magnum-Fotograf sich im Gefangenenlager von Guantanamo umsehen, und hat dabei immer wieder unbemerkt aus der Hüfte seine brisanten Aufnahmen gemacht:

"Seine Reportage enthält Bilder, die aus dieser heimlichen, versteckten Fotografie entstanden sind. Auch das zeigt, dass man eben andere Wege gehen muss, mutige Wege gehen muss. Und diese Involvierung des Fotografen in das Bild führt natürlich auch dazu, dass er auf die Geschichte hinter dem Bild auch Einfluss nimmt."

Wenn Pellegrin selbst die Entstehung seiner Guantanamo-Fotos nachzeichnet, ergibt das in der Imagination des Lesers, des Bildbetrachters ein Panorama vom "Ort, den es nicht mehr geben dürfte". Wenn Fotografen derart wahrhaftig und überzeugend ihre Geschichten erzählen, schaffen sie eine ganz besondere "Leserbindung" – und bescheren den klassischen und für die Fotografie immer noch Maßstäbe setzenden Printmedien am Ende eine beachtliche Überlebenschance.


Mehr Infos im Netz:

"Visual Leader 2013" in den Hamburger Deichtorhallen