Der kränkende Kranke

02.07.2013
An Krankheiten, Beschwerden und Wehwehchen mangelte es Samuel Beckett nicht. Aber davon ließ er sich nicht unterkriegen. Im Gegenteil. So gnadenlos deutlich wie er seine Gebrechen beschrieb, so gnadenlos offen verriss er auch seine kreativen Mitmenschen.
Beckett ist ständig krank. Zumindest klagt er laufend über seine Leiden. Herzattacken hier, geschwollener Hoden da, Fistel am Nacken dort. Dabei ist er nie wehleidig, sondern heroisch-komisch. Nur ein Beispiel:

"Seit meiner doppelseitigen trockenen Rippenfellentzündung zu Weihnachten kann ich auf kein spezielles Gebrechen mehr verweisen, es sei denn die Talgzyste am After, die zum Glück durch einen Furz hinweggefegt wurde, bevor sie operiert werden musste."

Diese Briefstelle ist bühnenreif und Beckett pur. Er hütet den Hypochonder, aber er wird sich beim Briefschreiben der Folgen klar und bekennt seinem damals wichtigsten Freund (Thomas Mc Greevy), seine Sünden wie bei einer Beichte:

"Missmut & Einsamkeit & Apathie & Naserümpfen waren Punkte in einem Katalog der Überlegenheit."

Selbsterkenntnis führt indessen bei Beckett keineswegs zur Besserung. Er kehrt wenigstens der Mutter in Dublin den Rücken, aber er trinkt weiter, pflegt weiterhin seine verfluchten und geschätzten Krankheiten, die ihn von den anderen fernhalten.

Blasende Biersäufer und schüttelnde Hinterbacken
Sein "arrogantes Anderssein" führt erst zu dem, was Beckett auch in diesen Briefen auszeichnet: Zu seiner Urteilskraft. Und die gewinnt dadurch an Schärfe, dass er den Missmut über sich und die Welt pflegt, um sein Auserwähltsein zu rechtfertigen. Der Verworfene verwirft die anderen. Goethes Tasso empfindet er als Klischeeschleuder. Eugen Jochum, den er 1937 in Berlin sieht, ist für ihn "die Sorte Dirigent, von denen man glauben möchte, sie haben als Bus- oder Straßenbahnschaffner angefangen". Sein Dirigat der Pastorale ist entsprechend "eine Beleidigung für Ohr und Verstand".

Als Wilhelm Furtwängler 1934 in London gastiert, beobachtet Beckett, dass er sich von seinen Blechbläsern führen lässt, "die blasen, wie es nur Biersäufer fertigbringen". Und dass Furtwängler "seine zarten Hinterbacken schüttelte, als müsste er dringend zur Toilette." Außerdem bedecke dieser Furtwängler seine Blößen mit ineinander verschlungenen Hakenkreuzfahnen. Das Urteil sitzt.

Auch in den Briefen beweist er sein politisches Urteilsvermögen. Beckett zieht sich eben nicht in den Elfenbeinturm zurück, wie manche deutsche Zeitgenossen der inneren Emigration oder auch der damalige Berlinbesucher Jean Paul Sartre. Beckett nimmt Partei für die "entarteten Künstler" und wird sich in der französischen Résistance engagieren, aber da endet leider der 1. Briefband.

Ein "Sprachlochbohrer"in Aktion
Beckett entwickelt in den Briefen wie nebenbei wesentliche Momente seiner Ästhetik. Über die er sich später nie in Interviews oder getrennt von seinen Werken äußern wollte. So kann er das Pathos nicht leiden. Das ist seine Lehre, die er aus dem Besuch der Berliner Museen 1937 zieht. Er kann "die großen Könner, die Kraftmeier, Tyrannen, Wegelagerer und Nörgler, die Rembrandts, Halses Tizians und Rubenses" und alle Kunst, die einen "beim Kragen packt" nicht ausstehen. Indem er diese Idole mit einem Federstrich wegräumt, findet er Platz für seinen eigenen Weg. Der im Umgang mit Menschen so scheue Beckett lässt sich in Kunstdingen nicht einschüchtern.

Für seine eigene Kunst sucht Beckett eine ihm eigene Sprache. Auch darüber schreibt er in seinen Briefen: Er will ein Loch in die Sprache bohren, "bis das Dahinterkauernde durchsickert."

"In dieser Dissonanz von Mitteln und Gebrauch wird man vielleicht ein Geflüster der Endmusik oder des Allem zu Grunde liegenden Schweigens spüren können".

1937 geschrieben klingt das schon nach dem "Endspiel" von 1957.

Ausgerechnet eine entscheidende ästhetische Brief-Sendung aber wurde in den Anmerkungsapparat verbannt und nur in einem Auszug zitiert. Beckett schreibt (an Mary Manning Howe am 11.07. 1937):

"Ich gründe eine Logoklasten-Liga. Momentan bin ich das einzige Mitglied. Die Idee ist zerrissenes Schreiben, damit die Leere hervortreten kann wie eine Hernie."

Selbst in der Ästhetik beschäftigt sich Beckett mit seinen Eingeweiden.

Besprochen von Ruthard Stäblein

Der Schriftsteller Samuel Beckett im Jahr 1966
© AP Archiv
Samuel Beckett: "Weitermachen ist mehr, als ich tun kann - Briefe 1929–1940"
Aus dem Englischen und Französischen von Chris Hirte
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
856 Seiten, 39,95 Euro
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