Der Königspalast steht Kopf

Rezensiert von Claudia Kramatschek · 13.09.2005
Martin Mosebachs Roman "Das Beben" entführt nach Indien. Hier lebt König "Hiseines", der Besuch bekommt: von einem jungen deutschen Architekten, der aus dem alten Palast des Königs ein Hotel für zahlungskräftige Touristen machen soll. Der Deutsche nutzt die Reise auch dafür, um vor Manon, der Tochter seines Auftraggebers, zu fliehen, die ihm den Kopf verdreht, sich aber als kapriziöse junge Frau erwiesen hat. Doch Manon reist ihm nach - und löst im Königspalast ein wahres Beben aus.
Martin Mosebach gilt in der deutschsprachigen Literaturlandschaft als ein "Unzeitgemäßer": Denn seine Bücher enthalten sich sowohl in Stoff wie in Stil aller neumodischen Attitüde. Stattdessen pflegt der Autor stilistische Eleganz und wählt abgelegene, oft historische Sujets.
Unzeitgemäß ist auch die Hauptfigur seines neuen Romans "Das Beben". Denn im Mittelpunkt der Betrachtung steht ein indischer König.

Das Buch entführt nach Indien - genauer in das heutige kleine Sanchor im Bundesstaat Radjastan. Hier lebt "Hiseines", der gegenwärtige König, dessen Vorfahren seit dreihundert Generationen das einstige Königtum regieren. Und nun bekommt er Besuch: von einem jungen deutschen Architekten - dem Ich-Erzähler -, der aus dem alten Palast des Königs ein Hotel für zahlungskräftige Touristen machen soll. Doch für den westlichen Besucher ist diese Reise von Frankfurt nach Indien mehr als nur ein Geschäft: Er nutzt die Reise, um vor Manon, der Tochter seines Auftraggebers, zu fliehen, die ihm den Kopf verdreht, sich aber als kapriziöse junge Frau erwiesen hat. Von der Reise nach Indien erhofft er sich eine Katharsis seiner Gefühle. Doch Manon reist ihm nach - und löst im Königspalast ein wahres Beben aus...

Mosebach wäre nicht der Autor, als den man ihn bislang kennen gelernt hat, würde er nun einfach einen Liebesroman schreiben oder sich auf den ausgetretenen Pfaden einer Indien-Mode bewegen. "Das Beben" erzählt zwar von der Liebe zwischen der kapriziösen Manon und dem Ich-Erzähler - vor allem aber von den Verzerrungen und Verrenkungen, die sich für die Beteiligten daraus ergeben. Und der Autor erzählt von Indien - in einer Weise, die vor allem die unterschiedlichen Lebensformen des Landes plastisch und sinnlich vor Augen führen.

Dazu gehört als erstes die Figur des Königs: als Inbegriff einer Staatsform, die unter dem Banner der Moderne abdanken musste - und doch zeitlos ewig bleibt. Auf die Suche nach solchen Relikten des Ewigen, Zeitlosen hat sich Mosebach bislang in all seinen Romanen begeben. In "Das Beben" sind es der König und seine von Traditionen geprägte Welt, mit der Mosebach die kurzlebige Betriebsamkeit der westlichen Welt ins Fragwürdige rückt, wenn er diesem König einen westlichen Architekten als Gegenspieler gibt, der sich der "Hotelisierung der Welt" verschrieben hat.

Von diesem Gegensatz zwischen Ost und West, Tradition und Moderne lebt der Roman. Wunderbar versteht es Mosebach, historisches Wissen über indische Staatsformen, Mythen und Legenden mit amüsanten Seitenhieben gegen den Kulturbetrieb des Westens zu verbinden. Über allem aber schwebt seine literarische Feier des Stofflichen, das sich in Indien auf Schritt und Tritt dem Auge darbietet: ob Farben oder Gerüche, ob Gesten oder Architektur. Mosebach, dessen Blick auch der eines Malers ist, öffnet mit seiner detail- und bildreichen Sprache das Fenster in eine unbekannte Welt.


Martin Mosebach: "Das Beben." Roman. Hanser Verlag 2005. 416 S., 24,90 Euro.