Der Klang des Eises

Von Bettina Ritter · 16.09.2009
Die Suche nach neuer Musik, nach neuen Geräuschen, treibt den Norweger Terje Isungset raus in die Natur. Der Schlagzeuger trommelt auf Hölzern und Steinen, lässt Chöre unter Wasser singen und mischt sie mit Wal- und Delfingeräuschen. Besonders bekannt ist er aber für seine Eismusik.
"Für einen Musiker ist es wichtig, dass er sein Gehirn abschaltet, wenn er spielt. Ich arbeite daran, in der Musik zu sein, wenn ich spiele, und versuche, es der Musik zu überlassen, mir die Richtung zu zeigen."

Er habe es sich nie ausgesucht, dass er auf Steinen oder auf Eis spielen würde, sagt Terje Isungset. Die Materialien seien zu ihm gekommen, er habe angefangen, sie zu benutzen, und die Musik einfach passieren lassen. Der 45-Jährige mit den blonden Locken und den blauen Augen lächelt offen. Er sitzt auf dem Sofa seines Holzhauses in einer kleinen Stadt in der Mitte Norwegens, umgeben von hohen Bergen. Hier verbringt er seine Ferien mit seiner Ehefrau, einer Krankenschwester und seinen drei Töchtern.

"Die meisten meiner Instrumente sind einfach aufgetaucht oder sie wurden mir gegeben. Gestern bin ich in den Bergen gewandert und auf einmal hörte ich dieses Geräusch. Und es war ein Stein, der unter meinem Fuß war. Jetzt ist er hier."

Avantgarde, tief verwurzelt in Tradition – so beschreibt Terje Isungset selbst seine Musik. Seit fast 40 Jahren spielt er Schlagzeug. Aufgewachsen ist er mit drei Geschwistern auf einer Schaffarm in der Mitte Norwegens. Als Junge begleitete er seinen Vater, einen Fabrikarbeiter, der Akkordeon in einer Band spielte, zu Auftritten bei Hochzeiten und Weihnachtsfeiern.

"Als ich 18 wurde, bin ich nach Bergen gezogen, an die Westküste, und schnell wurde ich der Drummer der Stadt. Es gab eine Zeit, da habe ich in 14 Bands gleichzeitig gespielt und hatte viele Konzerte."

"Als ich Mitte 20 war, fühlte ich, dass ich der Musik irgendwie nichts mehr zu geben hatte. Jeder Schlagzeuger konnte meinen Job machen, oder sogar besser, fand ich. Also fing ich an, nach meinem eigenen musikalischen Ausdruck zu suchen. Das hat fast zehn Jahre lang gedauert."

Das Ergebnis dieser Suche: Eine neue musikalische Ausdrucksweise, die ganz seine eigene sei, sagt Terje Isungset. Dazu gehören auch neue Instrumente, die er selbst baut. Glocken von der Schaffarm seiner Eltern, Stöcke, Steine, Schieferplatten und Glas. Seine Drumkits und Percussions bestehen heute aus mehr als 200 Einzelteilen. Auf die Idee, Instrumente aus Eis zu bauen, kam er Ende der 90er-Jahre. Damals wurde Isungset gefragt, ob er ein Konzert in einem gefrorenen Wasserfall geben könnte anlässlich der Olympischen Winterspiele in Lillehammer.

""Normalerweise schneiden wir mit einer Kettensäge ein großes Stück aus einem gefrorenen See oder einem Fluss. Dann schnitze ich daraus Instrumente mit meinem Messer. Es ist wichtig, dass das Eis so wenige Luftblasen wie möglich hat, sonst klingt es nicht so gut. In Japan habe ich schon mal künstliches Eis aus einer Fabrik gehabt. Das hat sich überhaupt nicht gut angehört. Man schlägt mit einem Stock dagegen und es sagt: Klunk.""

Xylofone, Harfen und Hörner – bis zu fünf Tage dauert es, bis Isungset alle Instrumente für ein Konzert gebaut hat. Während dieser Zeit ist er sehr von der Natur abhängig, erzählt er. Je nach Temperaturschwankung verändern auch die Instrumente ihren Klang oder können gar in sich zusammenbrechen. Einmal im Jahr nimmt Isungset eine CD auf. Immer im Winter in Norwegen oder Schweden. Das sind echte Highlights, strahlt er.

"Wir bauen Iglus. Das Plattenlabel All Ice Records ist wahrscheinlich das einzige Label der Welt, das für jede Session ein neues Aufnahmestudio baut. Und ein Iglu ist perfekt. Die Temperatur ist sehr stabil, minus vier bis minus acht Grad. Und das Beste ist, dass es absolut still ist. Das lauteste Geräusch ist oft der eigene Herzschlag. Die Stille ist toll, weil die Eismusik sehr, sehr sanft ist. Draußen sollte nicht zu viel Wind sein."

Leben und arbeiten mit und in der Natur. Auch seine Freizeit verbringt Terje Isungset – typisch norwegisch – gern draußen. Im Sommer beim Wandern, im Winter beim Skifahren. Sein neustes Projekt lockt den Schlagzeuger jetzt ausnahmsweise mal wieder nach drinnen: Musik auf Percussions aus Glas. Die Suche nach neuen, ungewöhnlichen Sounds hört für Terje Isungset nicht auf.