Der Kirchenvater

Vorgestellt von Susanne Mack · 28.04.2005
Augustinus ist ein Denker im Geisteskosmos der Spätantike und eine schillernde Gestalt in der Geschichte des frühen Christentums. Sein lebenslanges, streitbares Wirken für die Verbreitung des Katholizismus hat ihm den Titel " Kirchenvater " eingebracht. Augustinus hat ethische Normen formuliert, die uns bis heute beschäftigen, ob wir nun Christen sind oder nicht.
Garry Wills zeichnet die Lebensgeschichte des Augustinus nach. Chronologisch anhand der Orte, wo dieses Leben sich entfaltet hat. - Was hat er zu welcher Zeit erlebt, wie hat er gedacht, was hat er gelesen, was geschrieben, wie war seine Wirkung als Kirchenpolitiker? Diese Fragen haben den Autor beschäftigt, und oft bemüht er Augustinus selbst, denn der hat uns seine "Confessiones" hinterlassen, ein mehrbändiges autobiographisches Werk. Außerdem werden reichlich Augustinus-Forscher zitiert, und Garry Wills scheut sich auch nicht vor eigenen Spekulationen in Bezug auf die Gründe und Folgen augustinischen Denkens und augustinischer Kirchenpolitik.

Augustinus wird 354 in Thagaste geboren, einer Kleinstadt in Nordafrika nahe Karthago, das lag damals in der römischen Provinz. In seiner Jugend führt er - nach eigener Auskunft - ein lasterhaftes Leben: frönt heftig der Fleischeslust, treibt sich mit Diebesgesindel umher, pöbelt und klaut. Er ist aber ein begabter Kopf, hat studiert an der Universität von Karthago. Schließlich geht er nach Rom. Dann nach Mailand, wird Rhetor am Hofe des christlichen Kaisers. Eines Tages, in einem römischen Garten, unter einem Feigenbaum, ereilt ihn eine Vision: die Bibel erscheint vor seinem geistigen Auge und eine Kinderstimme flüstert " Nimm es - und lies!" Dieses Ereignis verändert Augustinus‘ Leben. Er lässt sich taufen von Ambrosius, dem berühmten Bischof von Mailand und wird acht Jahre später selbst zum Bischof geweiht: in Hippo Regius, seiner afrikanischen Heimat. Schon zu Lebzeiten ist Augustinus in der römisch-katholischen Kirche eine Instanz, bekannt für seine Unbeugsamkeit in theologischen Grundsatzfragen, bekannt aber auch als begnadeter Rhetor und geschickter Diplomat.

Augustinus hat uns neununddreißig Bücher hinterlassen, dazu rund dreihundert Briefe und über vierhundert Predigten. Anhand dieser Dokumente hat Garry Wills die Theologie und auch die kirchenpolitischen Ansichten des Augustinus rekonstruiert.

"Tu' was Du willst, solange Du es aus Liebe tust". Das ist eine zentrale Aussage der augustinischen Theologie. Denn Gott ist die Liebe. Ein Mensch, der sich nur für sich selbst interessiert, wird in sich verkümmern und arm werden. Lieblosigkeit, sprich: Egoismus - für Augustinus ist dies die Ur- und die Erbsünde des Menschen überhaupt.

Die wahre und beständige Liebe allerdings, da ist sich Augustinus sehr sicher, ist notwendig asexuell. Sex ist für Christen nur in der Ehe und dort ausschließlich zum Zwecke der Zeugung gut. - Dieser Hymnus auf die Enthaltsamkeit ist nicht genuin christlich, betont Garry Wills. Er entspricht vielmehr dem philosophischen Zeitgeist der Spätantike.

Aus dem Gebot der Liebe, so Augustinus, folgt notwendig das Gebot der Wahrhaftigkeit. Lügen ist feige und kommt für einen Christen nicht in Frage. Genauso wenig wie die Selbst -Tötung: das ist eine Sünde gegen Gott. Auch die Todesstrafe hält Augustinus für unchristlich, denn " Die Rache ist mein", spricht der Herr. Dafür dürfen Christen ruhig ein bisschen nachhelfen, wenn's darum geht, Nichtchristen und Häretiker für den rechten Glauben zu gewinnen. "Zwinget sie hinein!" (in die katholische Kirche), hat Augustinus gesagt. -" Ein ziemlicher Hardliner " meint Garry Wills. Ohne zu erwähnen, dass bei Augustinus immer nur vom "Zwang mit den Mitteln des Geistes" die Rede ist: von starken Argumenten und rhetorischer Finesse, nicht aber von Waffengewalt.

Garry Wills Augustinus-Biographie ist ein wenig überfrachtet mit Zitaten. Auch die Gliederung des Textes lässt zu wünschen übrig: die Kapitel-Überschriften sind nichts sagend. Aber es ist dennoch ein schwungvoller Text voll streitbarer Thesen über einen, der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat in einer turbulenten Zeit. Zweihundert Seiten. Nicht zuviel und nicht zuwenig für ein schönes Wochenende im Lesesessel.

Über den Autor:

Garry Wills ist Amerikaner und lebt in Evanston, Illinois. Für sein Buch "Lincoln at Gettysburg" hat er den Pulitzer-Preis erhalten. Die Original-Ausgabe seiner Augustinus-Biographie ("Saint Augustine") erschien 1999 bei Viking Penguin in New York.

Garry Wills: Augustinus
Aus dem Englischen von Holger Fliessbach
Claassen-Verlag München 2004
205 Seiten