Der Kapitän bleibt an Land

Von Dirk Asendorpf · 15.05.2013
Autonome Frachter ohne Crew auf hoher See sind für die Forschung eine Herausforderung. Alle technischen Systeme müssen bei Wind und Wetter wochenlang zuverlässig funktionieren - bis der nächste Hafen erreicht wird. Ein europaweites Verbundprojekt entwickelt die nötigen Voraussetzungen.
Anker lichten, Leinen los und ab geht die Fahrt des Massengutfrachters quer über den Ozean. Mindestens 20 Mann Besatzung, darunter drei Nautiker müssen jetzt an Bord sein, so schreibt es das internationale Seerecht vor. Doch das könnte sich ändern, glauben die Wissenschaftler des Forschungsprojekts MUNIN. Die englische Abkürzung steht für "unbemannte Seefahrt durch intelligente Netzwerke".

Der Wirtschaftsingenieur Hans-Christoph Burmeister vom Hamburger Fraunhofer Center für maritime Logistik koordiniert die Forschungsarbeit. Am Demonstrator zeigt er die Möglichkeiten der Schiffsfernbedienung. Wie auf einer echten Brücke hat er die Instrumente, Hebel und Knöpfe für die Steuerung des Schiffes vor sich. Dahinter zeigen drei Flachbildschirme den Blick übers Wasser, aus dem Computerlautsprecher kommt typischer Funksprechverkehr.

Hans-Christoph Burmeister: "Wenn ich aus dem Fenster gucke – das Ganze ist auf einer 3-D-Simulation abgebildet – sehe ich, dass ich hier jetzt backbord ein auf mich zukommendes Schiff habe. Das heißt, ich müsste in diesem Fall einfach Kurs halten, weil ich auf der Seekarte sehe, dass ein ausreichender Abstand von 200, 300 Metern schon eingehalten wird. Das autonome Navigationssystem muss das jetzt natürlich weiterhin prüfen. Gucken, dass das fremde Schiff auch seinen Kurs hält und auch sicherstellen, dass das eigene Schiff Kurs und Geschwindigkeit hält, was nach den Kollisionsverhütungsregeln weltweit vorgeschrieben ist."

Kameras, Radar und Sensoren für die Orientierung
Aus den von Kameras, Radar und Dutzenden Sensoren für Temperatur, Wind und Wellen gesammelten Daten bestimmt das autonome Schiff weitgehend selbständig seinen Kurs. Nur bei unklaren Situationen oder technischen Problemen soll der Mensch eingreifen, der die Fahrt per Satellitenverbindung von einem Büro an Land aus überwacht. Zur Not kann er dann auch mit dem entgegenkommenden Schiff Kontakt aufnehmen.

Hans-Christoph Burmeister: "Für die Funkkommunikation, die wir hier im Hintergrund hören, bleibt einfach nur die Möglichkeit, das Ganze weiter an eine Landstation zu schalten, wo dann eine entsprechende Person, Nautiker, sitzt, der dann die Kommunikation über so eine Relaisstation übernimmt."

In der Simulation scheint das Zusammenspiel aus intelligenter Selbststeuerung an Bord und Fernüberwachung von Land gut zu klappen. Ob es allerdings auch in der Realität funktionieren würde, ist umstritten.

Der Bremer Lotse Peter Marcus kann sich das nicht vorstellen – vor allem nicht mitten in einer Schlechtwetterfront:

"Dafür geht ein Seemann auch mal draußen in die Nock und fühlt den Wind. Die Stärke des Windes, den Geschmack der Seeluft, den Geruch der Seeluft und trifft darauf seine Entscheidung. Das sind Bauchentscheidungen, die aber aufgrund von Erfahrungen zum richtigen Ergebnis führen. Und der Bauch in Hamburg kann nicht entscheiden, was ein Schiff im Südatlantik jetzt tun sollte. Es fehlen alle Details, die wichtig sind: die Sichtverhältnisse, der umliegende Verkehr. Da gibt's überall im Atlantik Stellen, wo viel gefischt wird. Viele von den kleinen Fischereifahrzeugen sind nicht identifizierbar für irgendjemanden, der in Hamburg mit den Füßen aufm Tisch das Schiff fährt. Das geht nicht.""

Hans-Christoph Burmeister kennt diese Bedenken. Er glaubt trotzdem an das besatzungslose Schiff. Natürlich nicht in küstennahmen Gewässern mit dichtem Verkehr. Wohl aber für die einsamen Fahrten über den offenen Atlantik. Da passiere so wenig, dass die Elektronik ohne Probleme alleine klar käme. Und für den Extremfall gebe es ja noch ein vorprogrammiertes Notfallverhalten.

Hans-Christoph Burmeister: "Wenn keine Kommunikation zur Landstation vorhanden ist, wird es erst mal was unternehmen, um Schaden zu vermeiden und die Sicherheit der Schifffahrt zu gewährleisten. Es kann natürlich passieren, dass es in seltenen Fällen Situationen gibt, die das Schiff nicht lösen kann. Dann werden entsprechende Fail-to-Safe-Procedures vorgesehen, beispielsweise ein sofortiges Aufstoppen, je nach Wassertiefgang eine Notankerung etc. um da Schaden zu vermeiden."

Außerhalb der Küstenzone ohne Crew
Sobald die Crew so ein autonomes Schiff aus der Küstenzone herausgefahren hat, soll sie von Bord gehen – per Beiboot oder Helikopter. Für den langen Weg über den offenen Ozean übernimmt der Computer die Navigation, in der Nähe des Zielhafens kommt dann wieder eine Crew an Bord. Diese Vision liegt allerdings noch in weiter Ferne – weniger aus technischen, sondern aus juristischen Gründen. Bisher gilt ein besatzungsloses Schiff auf hoher See als herrenlos und kann von jedem übernommen werden.

Carlos Jahn, der Leiter des Hamburger Fraunhofer Centers, rückt denn auch eher die möglichen Zwischenschritte in den Vordergrund:

"Was ich persönlich sehe, ist, dass wir die vorhandene Besatzung entlasten und schrittweise reduzieren können. Dass nicht ein kompletter Dienst auf der Brücke über 24 Stunden über drei Nautiker im Wechsel nötig ist. Sondern dass es vielleicht möglich ist, mit zwei Nautikern ein Schiff zu betreiben. Die dann im freien Seeraum bei einer entsprechenden Wetter- und Sichtsituation für einige Stunden das Schiff autonom fahren lassen, um andere Aufgaben zu übernehmen oder sich zu erholen. Und das Schiff in der Zeit autonom agiert oder von Land überwacht wird."

Mit Seefahrtsromantik hat der durchgetaktete Betrieb moderner Linienschifffahrt sowieso nichts mehr zu tun. Bei Massengutfrachtern geht der Trend außerdem zum sogenannten Slow Steaming – einer langsamen und damit besonders treibstoffsparenden Fahrweise. Die Reederei spart dadurch Geld, doch für die Besatzung verlängert sich die Langeweile auf hoher See.

Für Hans-Christoph Burmeister ein weiterer Grund für die Verlagerung der Navigation an Land:

"Familienplanung mit nem Nautikerberuf zu vereinen, wo ich das Jahr vier, fünf Monate immer weg bin, ist natürlich deutlich schwieriger, als wenn ich so ne Arbeit von Land aus ausüben könnte. Ich bin gerne aufm Wasser, aber ich bin auch gerne bei meiner Frau."
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