Der Kampf um die Antarktis

Reinhard Krause im Gespräch mit Andreas Müller · 14.12.2011
Von der Ausbeutung der antarktischen Gewässer bis zum internationalen Antarktisvertrag war es ein weiter Weg. Der Wissenschaftshistoriker Reinhard Krause empfiehlt die Übereinkunft, die eine friedliche Nutzung der Region vorschreibt, als Modell für sensible Naturräume.
Andreas Müller: Vor 100 Jahren betrat der erste Mensch den Südpol, den wohl unwirtlichste Ort, den man sich auf unserem Planeten vorstellen kann. Dennoch begann damals eine Dynamik, die auch andere Weltteile erlebt, nachdem sie von europäischen Abenteurern entdeckt worden waren. Nationen meldeten Besitzansprüche an, die Schätze der Natur wurden entdeckt und weckten Begehrlichkeiten, schließlich setzte ein intensives Ringen um die Ausbeutung der Ressourcen ein. Die unberührte Umwelt drohte Schaden zu nehmen. Doch in der Antarktis gelang etwas Beispielhaftes: Mit der Vereinbarung über die Einrichtung eines Weltparks wurde die Antarktis unter Schutz gestellt. Zu Gast hier bei uns im "Radiofeuilleton" ist jetzt Reinhard Krause, der als Wissenschaftshistoriker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung diese Entwicklung verfolgt hat. Schönen guten Tag!

Reinhard Krause: Ja, guten Tag, Herr Müller!

Müller: Der Wettlauf um den Pol zwischen Amundsen und Scott – das ist ein historisches Drama. Was aber ist daran heute noch bedeutend?

Krause: Ja, man muss sich natürlich vor Augen halten, dass 1911, als dieser Wettlauf, wie Sie den nennen, stattfand, weite Teile der Antarktis noch gar nicht entdeckt waren. Das heißt also, sowohl die Umrisse als auch das Innere der Antarktis war weitgehend Terra incognita, also unbekanntes Land, und von daher machten natürlich diese Expeditionen durchaus einen Sinn.

Müller: Ich habe in einer Fernsehdokumentation Reinhold Messner gehört, der selbst die Antarktis durchquert hat. Der hat festgestellt, dass es seitdem niemandem mehr gelungen ist, über die Routen dieser beiden Pioniere zum Südpol zu gelangen, also er sagte, das ist bis heute nicht mehr geschafft worden, das sei eine einzigartige Leistung gewesen.

Krause: Das war natürlich eine großartige Leistung, aber wenn man das natürlich unter wissenschaftlichen Aspekten betrachtet oder auch unter geografie-historischen Aspekten, war natürlich dieser Wettlauf zwischen Scott und Amundsen also weniger bedeutend. Also es hat zu dem Zeitpunkt, 1911, bedeutende andere Expeditionen gegeben, unter anderem eine deutsche Expedition unter der Leitung von Wilhelm Filchner, dem berühmten Asien-Forscher, eine Expedition, die in das Innere der Weddell-See ging. Und da war die geografische Fragestellung natürlich viel gravierender. Es ging darum, festzustellen, ob die Westantarktis mit der Ostantarktis in Verbindung stand, während – das muss man ganz deutlich sagen – die Polerreichung natürlich keinerlei geografierelevante Bedeutung mehr hatte, denn, was die meisten Personen nicht wissen: 1908 ist ja bereits Shackleton bis auf 100 Seemeilen diesem Pol nahegekommen. Übertrieben ausgedrückt: Wenn sich die Forscher übereinander gestellt hätten, hätten sie bis zum Pol hingucken können. Und sie konnten natürlich sehen, dass dieses Südpolgebiet in einer großen, weiten, strukturlosen Ebene lag.

Müller: Also keine wissenschaftliche Bedeutung. Die Antarktis ist ein extrem unwirtlicher Ort, dennoch erwachte bei einigen Nationen Nordamerikas, Asiens und Europas im frühen 20. Jahrhundert ein großes Interesse an der Region. Welchen Nutzen bot denn die Antarktis in den 1920er-, 1930er-Jahren?

Krause: Ja, ganz interessant waren die großen Expeditionen, die der Amerikaner Richard Byrd durchgeführt hat in den 20er- und 30er-Jahren. Und damals wurden auch erstmals Flugzeuge zum Einsatz gebracht und gleichzeitig wurden auf den Expeditionen ausgedehnte Bodenerkundungen durchgeführt, das heißt also, da sind dann auch Feldgeologen dabei gewesen, und so ein bisschen erkennt man, dass da die ersten Ideen von Lagerstätten und Ähnlichem auftauchen. Aber was man eben feststellen muss: Diese geologischen Aspekte haben damals nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die biologischen Aspekte, das heißt, die Ausbeutung der Antarktis oder die Ausbeutung der Gewässer der Antarktis, die war im Vordergrund. Also denken Sie daran, alsodass ... Der Walfang hat eine riesengroße Rolle gespielt, und das ging ... Insbesondere in Deutschland war das also ein ganz, ganz großes Thema, das Schließen der Fettlücke, denken Sie an die Autarkiebestrebungen des Deutschen Reiches zu dem Zeitpunkt, und die Deutschen haben große Flotten aus dem Boden gestampft und sind damit in die antarktischen Gewässer gefahren und haben also Wale ja zu Tausenden dort erlegt. Und in dem Zusammenhang war das natürlich auch interessant, wenn man hoheitsrechtliche Ansprüche an diese bestimmten Gebiete anmelden konnte, einfach um sozusagen dort Stationen und ja, also Möglichkeiten der Lagerung und so weiter, und so weiter zu haben. Und auch daher rührte auch eine große deutsche Expedition übrigens, die große Expedition nach Neuschwabenland mit einem Katapultschiff der Lufthansa.

Müller: Also die wissenschaftliche Forschung, die war zunächst gar nicht so wichtig. Wie verlief die denn dann später, also als man merkte, es kann nicht nur um Rohstoffe und Wale gehen?

Krause: Ja, da gibt es also einen ganz einschneidenden Punkt, und das ist einfach schlicht umschrieben mit dem Begriff Internationales Geophysikalisches Jahr. Also einerseits gab es natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg riesengroße, amerikanische Operationen da unten – also da gab es die sogenannte Operation Highjump hieß das, da fuhren also 13 Schiffe, 23 Flugzeuge, was weiß ich, ein paar tausend Leute da runter, und das heißt also, diese ganze Sache stand unter einer gewissen Spannung, die also was mit dem Ost-West-Konflikt schon zu tun hatte –, und auf der anderen Seite gab es eben die Bemühungen, ein großes internationales wissenschaftliches Unternehmen zu starten, was also als drittes Polarjahr ursprünglich deklariert war, und es ist dann später zum Internationalen Geophysikalischen Jahr umfunktioniert worden. Und innerhalb dieses Internationalen Geophysikalischen Jahres gab es eben einen ganz starken Sektor, der sich also mit Antarktisforschung befasst hat.

Müller: Das war in den 50er-Jahren.

Krause: Richtig, das war also 57 bis 59.

Müller: Vor 100 Jahren setzte der erste Mensch seinen Fuß auf den Südpol, das war auch der Beginn eines regen Interesses vieler Nationen an dieser Region. Darüber sprechen wir im Deutschlandradio Kultur mit Reinhard Krause vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Ich will noch mal kurz zurück, also nach dem Zweiten Weltkrieg, das war 1947 genau, da warf ein US-Flugzeug die Flaggen aller UN-Nationen über dem Südpol ab, also da war die Antarktis noch das Symbol der Brüderlichkeit aller Völker. Aber es gab dann ja diese Begehrlichkeiten. Wenn man damals die Bodenschätze, die man da vermutet hatte, hemmungslos ausgebeutet hätte – was für ein Schicksal hätte der Antarktis gedroht?

Krause: Ja, das kann ich natürlich auch nicht sagen, aber Tatsache ist, Sie haben recht: Also diese Idee, dass dort unten Bodenschätze lagern und riesengroße Uranvorkommen geistern durch die Presse, die hat natürlich da die politische Situation bestimmt. Aber alles das ist im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres abgewendet worden. Und es gab ganz starke Ideen, die kamen natürlich aus der Richtung, wir haben schon so viel Geld dafür investiert, wir wollen dort unten weiterforschen und so weiter, es ging also in diese Richtung, diesen Zustand, der im Internationalen Geophysikalischen Jahr herrschte, diesen aufrechtzuerhalten. Das heißt, die Wissenschaftler brauchten jetzt einen politischen Rückhalt, damit sie also die Grundsätze des Internationalen Geophysikalischen Jahres – freier Zugang, freie Forschung und so weiter – aufrechterhalten konnten. Und da, über diese Schiene kam es zu dem ersten internationalen großen Antarktisvertrag.

Müller: Also ab 1957 mühte man sich um den Schutz der Antarktis, diverse Verträge wurden dazu geschlossen. Wie erfolgreich waren die?

Krause: Ja, das Ganze ist eine einzige Erfolgsgeschichte, wenn man das so sagen darf. Also das Interessante an der ganzen Angelegenheit ist ja, dass sich eine beschränkte Anzahl von Nationen einen global akzeptierten Naturpark errichtet haben, dass die wissenschaftlichen Organisationen gewissermaßen die Politik in die Richtung gedrängt haben, die Antarktis also frei von allen militärischen Aktionen zu halten. Dieses Gebiet war also ausgenommen von allen kriegerischen Auseinandersetzungen. Das entspricht natürlich der Problemstellung der Jahre um 1960. Also der Vertrag ist ursprünglich im Dezember 59 geschlossen worden, und dieser Vertrag hat sich also die gesamte Zeit bis heute natürlich erhalten, nur die Zielrichtung des Vertrages hat sich natürlich im Laufe der Zeit geändert, also wir sind heute natürlich auf Umweltschutz und auf solche Sachen fokussiert.

Müller: Was ich interessant finde: Da haben sich Leute damals geeinigt, einen Weltpark einzurichten, eine riesige Region unter Schutz zu setzen – man redet ja auch über Ähnliches, wenn es zum Beispiel um das Amazonasbecken geht et cetera, aber da wird munter weiter abgeholzt, da scheint das nicht zu funktionieren. Wie begründet sich das? Hängt das wirklich damit zusammen, dass die Antarktis so ein unwirtlicher Ort ist, dass man vielleicht irgendwie gesagt hat, na ja, da kommen wir sowieso nicht sehr weit mit unseren Versuchen?

Krause: Also dieses Thema, was Sie hier anschneiden, das interessiert mich persönlich natürlich hochgradig, denn im Grunde genommen ist es so, dass sich dieses Antarctic Treaty System oder der Antarktisvertrag sich durchaus auch auf andere Gebiete unseres Globus anwenden ließe. Es ist natürlich gar nicht einzusehen oder gar nicht ... völkerrechtlich nach meiner Auffassung gar nicht verständlich, dass also diese riesigen Urwaldgebiete des Amazonas irgendwie das Eigentum von Nationen sein sollten. Nach meiner Auffassung ist das also, dass diese großen Gebiete einen ähnlichen Status haben sollten wie die Weltmeere: Sie sind also sozusagen ein Weltnaturerbe. Und es wäre natürlich durchaus denkbar, dass man dieses System des Antarktisvertrages ... also eine begrenzte Anzahl von Nationen finanziert also die Forschung, und alle Probleme, die in so einem speziellen Gebiet auftauchen, und stellt damit also alle diejenigen zufrieden, die zum Beispiel dort wohnen würden, sprich also in diesem Falle, wenn man von Urwäldern spricht, die Ureinwohner. Das wäre ein System, was durchaus möglich wäre und durchaus gangbar und durchaus machbar wäre, nach meiner Auffassung.

Müller: Die Antarktis scheint aber gut geschützt. Drohen diesem Weltpark trotzdem Risiken?

Krause: Aus dem Antarktisvertrag auszusteigen, das ist ja immer nur zu bestimmten Fristen möglich, und ein Aussteigen würde ja auch noch nicht bedeuten, dass der Vertrag dann also ungültig wird, er müsste dann neu verhandelt werden. Also dass da im Zusammenhang speziell mit der Antarktis irgendwelche bedrohlichen Entwicklungen sind, bedrohliche Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Antarktisvertrag, das kann ich nicht erkennen.

Müller: Das war vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Reinhard Krause. Haben Sie vielen Dank!

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