Der Junge mit den magischen Kräften

12.01.2010
Südafrika im 18. Jahrhundert: Auf einer holländischen Farm kommt ein Junge vom Stamm der Khoi zur Welt und hört kurz nach der Geburt auf zu atmen. Als man das Baby beerdigen will, sitzt eine leuchtend grüne Gottesanbeterin auf ihm. Sie ist für die Khoi, von den Holländern Hottentotten genannt, eine Glücksbringerin. Tatsächlich beginnt der Säugling wieder zu atmen.
So dramatisch beginnt das Leben Kupido Kakerlaks, eines ungewöhnlichen Jungen, der über magische Kräfte verfügt, da ihn der Gott der Jäger beschützt. Sein Blick kann Tiere töten. Doch als Kupido bei einer Jagd leichtfertig den Namen seines göttlichen Helfers ausspricht, versagt der Zauber, und sein Herr stirbt. So wendet sich der Junge einem anderen Gott zu, dem der Weißen, denn der besitzt ebenfalls Zauberkräfte und zwar in Form des geschriebenen Wortes. So wie die Kolonisatoren möchte auch Kupido lesen und schreiben lernen. Das führt ihn auf eine abenteuerliche Reise durch Südafrika, auf der er seine Frau kennenlernt, eine schwarze Seifensiederin, die ebenfalls über magische Kräfte verfügt.

Doch sie kann ihren Mann weder vom Fremdgehen noch von der Trinkerei abhalten. Dann entdeckt er in ihrem Wohnort die Kirchengemeinde, lässt sich von den Gesängen bezaubern und lernt bei den Missionaren lesen und schreiben. Die Bibel und die christliche Lehre faszinieren ihn. Kupido wird getauft und ein geradezu fanatischer Gläubiger, der seinen alten Lastern entsagt und seinen Landsleuten wortgewaltig zu predigen versteht.

André Brink schlüpft im ersten Teil seines Romans in die Haut des Khoi-Jungen und entführt uns in die Mythologie der südafrikanischen Ureinwohner. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt – und damit knüpft Brink an den magischen Realismus Lateinamerikas an, – geschehen Wunder. In der Landschaft, in Tieren, Pflanzen und Steinen verkörpert sich die Macht der verschiedenen Gottheiten. Man darf sie nicht erzürnen. Sie rächen sich bitterlich. Ein ähnliches Verhalten erwartet Kupido auch vom christlichen Gott, der für ihn dieser Götterwelt überlegen ist. Er erwartet von ihm klare Zeichen seiner Macht und ist enttäuscht, wenn sie ausbleiben.

Der Roman beruht auf einem historischen Ereignis. Damals wurde tatsächlich der erste schwarze südafrikanische Missionar ordiniert. Allerdings scheiterte er, so wie auch Kupido, an der menschenverachtenden Überheblichkeit der weißen Kolonisatoren. Viele der holländischen Farmer behandelten ihre schwarzen Arbeiter und Sklaven schlechter als ihr Vieh.

Der Roman, eine wortgewaltige Beschwörung der kulturellen Vielfalt und ihrer immensen Konflikte, ist als Selbsterkundung eines Landes zu verstehen, die das sich zwar als Regenbogennation begreift, aber mit seiner Vergangenheit noch lange nicht abgeschlossen hat. Der Leser taucht in eine fremde Welt ein, die ihm am Ende ein Stück weit vertrauter erscheint.

Besprochen von Johannes Kaiser

André Brink: Kupidos Chronik
Roman
Aus dem Englischen von Inge Leipold
Osburg Verlag, Berlin 2009
367 Seiten, 19,95 Euro